Zehn Lehren aus dem ersten Wahlgang

Zehn Lehren aus dem ersten Wahlgang
Was wir aus dem Ergebnis der Präsidentschaftswahl lernen können. Eine Analyse.

Der Untergang der Regierungsparteien ist besiegelt, beim gestrigen ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl wurde in Österreich ein neues politisches Zeitalter eingeläutet. Was können wir nun aus dem Wahlergebnis lernen? Eine Analyse.

1. Es ist eine Zeitenwende.

Ein Freiheitlicher als Bundespräsident? Oder ein Grüner? Das wäre Anfang des Jahres noch fast undenkbar gewesen. Jetzt ist es Realität. Das Ende der Großparteien, seit Jahren und fast schon Jahrzehnten herbeigeschrieben, ist jetzt da. Das höchste Amt im Staat wird erstmal in der Zweiten Republik nicht mehr an SPÖ oder ÖVP gehen.

2. Hohn ist unangebracht.

Bei aller Kritik an SPÖ und ÖVP: Die beiden Parteien haben Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg gut geführt, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde; es herrschen Wohlstand und sozialer Frieden. Das haben wir auch jenen zu verdanken, die Österreich in den vergangenen Jahrzehnten geführt haben. Sie können es nicht so schlecht gemacht haben.

3. Wer nicht regiert, stürzt ab.

Die goldenen Zeiten sind vorbei. Die Reformen eines Bruno Kreisky nur noch eine blasse Erinnerung. Visionen, Ideen, große Würfe – all das hat man von den Großparteien schon seit Jahren nicht mehr gehört. Der Stillstand in der Bildungspolitik ist da nur ein Beispiel. Es ist eigentlich noch schlimmer: Die Regierung lässt sich die Themen von der FPÖ diktieren, und die führt deshalb in den Umfragen.

4. Sie haben nichts dazugelernt.

Wolfgang Schüssel hat die FPÖ in die Regierung geholt, um sie zu entzaubern. Hans Niessl ging im Burgenland eine Koalition mit der FPÖ ein. Und nach dem Sommer der Hilfsbereitschaft schwenkte die rot-schwarze Bundesregierung in Sachen Asyl mehr oder weniger auf FPÖ-Linie ein. Die sagte: Wir haben immer schon gefordert, was die Regierung jetzt tut. Und sie hatte recht damit. In der Stichwahl gelandet sind nun der FPÖ-Kandidat und der, der klipp und klar sagte, er würde versuchen, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern.

5. Niemand will jetzt Kanzler sein.

Bei der Nationalratswahl 2006, der letzten, bevor Werner Faymann den Parteivorsitz übernahm, erreichte die SPÖ 35,34 Prozent. Bei aktuellen Umfragen steht die SPÖ bei 22 bis 23 Prozent. Am 24. April 2016 erreichte der Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer 11,18 Prozent. Eine Ausgangslage, die ein SPÖ-Chef eigentlich nicht überleben kann. Vielleicht werden sie noch lauter, aber bislang sind die Rufe, Faymann abzusetzen, erstaunlich spärlich und leise. Er hat die Partei so weit heruntergewirtschaftet, dass sie niemand mehr übernehmen will.

6. Vizekanzler auch nicht.

In der ÖVP regiert, glaubt man den Gerüchten und uns zugetragenen Stimmungsbildern, die Angst davor, dass Vizekanzler Reinhold Mitterlehner selbst das Handtuch werfen könnte. Weil es, analog zur SPÖ, dort niemanden gibt, der Partei und Regierungsmannschaft führen will. Wobei es mit Sebastian Kurz zumindest einen logischen Nachfolger gäbe. Der allerdings zu klug ist, als dass er jetzt die Partei übernehmen würde.

7. Hofer könnte ein Problem für Strache werden.

Steht uns jetzt eine blaue Republik bevor? Das Szenario liegt klar auf dem Tisch: Hofer wird Bundespräsident, entlässt wie angekündigt die Regierung, und bei den folgenden Neuwahlen wird die FPÖ stärkste Partei. Präsident und Kanzler stellen die FPÖ. Nur: Auch wenn die Wählerinnen und Wähler genug von Rot und Schwarz haben, heißt das noch lange nicht, dass sie gleich alle Macht im Staat in die Hände der FPÖ legen wollen. Ein Bundespräsident Hofer könnte auch bedeuten, dass die FPÖ bei den Nationalratswahlen unter den Erwartungen bleibt.

8. Wir alle in der Medienblase haben die Stimmung im Land falsch eingeschätzt.

Ob Meinungsforscher, Politikexperten oder Journalisten: Mit einem derart eindeutigen ersten Platz Hofers hat niemand gerechnet. Dort, wo wir wohnen, in den Städten, in den inneren Bezirken, in unseren kleinen Boboinseln, ist die Stimmung eine komplett andere als in Wiesfleck, wo Norbert Hofer 64 Prozent der Stimmen bekommen hat. Wir müssen raus aus unserer Komfortzone.

9. Die Spaltung verläuft zwischen Stadt und Land.

Wien, Graz und Linz – die drei größten Städte haben mehrheitlich Van der Bellen gewählt. Abseits dessen ist das Land blau gefärbt. Das geht einher mit dem Faktum, dass Bessergebildete eher Van der Bellen, formal weniger Gebildete eher Norbert Hofer gewählt haben.

10. Am 22. Mai wird eine Richtungsentscheidung getroffen.

Das ist die Konsequenz aus alledem: Diesmal geht es wirklich um etwas. Und das ist es, was die Österreicher gestern wirklich zum Ausdruck gebracht haben: Dass sie eine Wahl haben wollen. Bei aller Wertschätzung für das politische Wirken von Andreas Khol und Rudolf Hundstorfer: Wären die beiden in der Stichwahl gelandet, es wäre für das Land ziemlich egal gewesen, wer es wird. Bei Hofer gegen Van der Bellen ist das ganz anders. Zur Wahl stehen zwei komplett unterschiedliche Weltanschauungen. Und zwischen denen muss sich Österreich jetzt entscheiden.

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