Wutbürger statt Hassprediger

Neos-Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger hält nichts von FPÖ-Vergleichen: „Wir haben Haltung, die Freiheitlichen hetzen.“
Mit einem deutlichen Strategiewechsel versuchen die Pinken, politisch zu überleben.

Die Aufwallung kommt spät, da ist die Pressekonferenz beinahe schon geschafft.

Matthias Strolz sitzt vor einem pinken Plakat; mit Neos-Parlamentarier Niko Alm und Meinungsforscher Peter Hajek hat der Parteichef die Ergebnisse einer Umfrage präsentiert. Und die sagt im Wesentlichen: Österreichs Unternehmer finden die Steuerreform daneben (siehe unten).

Strolz sitzt also vor dem Neos-Plakat, daneben läuft der Video-Beamer; und dann sagt der pinke Frontmann: "Ja, ich bin wütend!"

Zum einen und zuallererst meint er damit natürlich die Steuerreform – aus seiner Sicht eine vertane Chance. Aber bei Strolz schwingt mittlerweile mehr mit, viel mehr sogar. Unzufriedenheit über die matten Wahlergebnisse in der Steiermark und dem Burgenland; Ernüchterung über die überschaubare öffentliche Präsenz seines Polit-Projekts.

"Stimme der Wütenden"

So geht es nicht weiter, weiß Strolz – und hat der Partei deshalb eine Kurskorrektur verpasst: In Wien ließ Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger Plakate mit dem nicht ganz unpopulistischen Slogan "G’scheite Kinder statt g’stopfte Politiker" affichieren. In Oberösterreich wurde der Wahlkampf kurzerhand zur "Chefsache" erklärt, sprich: Neos-Bundesgeschäftsführer Feri Thierry übernahm das Kampagnen-Management.

Und überhaupt wollen die Pinken im Sommer offensiver und kantiger werden.

"Ja, wir waren die letzten eineinhalb Jahre etwas zu zurückhaltend. Wir müssen klarer sein im Ton und können uns nicht mehr mit Tagesordnungen und Details aufhalten", sagt Strolz. "Wir sind die Stimme der Wütenden – aber ohne Angstmache."

Kann das funktionieren? Oder sind die Neos methodisch auf dem Weg zur FPÖ, wie jüngst profil befundete?

Die Pinken können mit derlei Vorhalten erwartungsgemäß wenig anfangen. "Wir spitzen mehr zu, das ja. Aber im Unterschied zur FPÖ haben wir Haltung und machen mit Hetze keinen Wahlkampf. Wir sagen einfach: Wer in Wien bessere Schulen will, der muss Neos wählen", sagt Spitzenkandidatin Meinl-Reisinger.

Auch Politik-Analyst Peter Filzmaier sieht die Pinken noch nicht in der Nähe des FPÖ-Populismus: "Man soll ein einziges Plakat nicht überbewerten. Insgesamt sprechen die Neos eine andere Sprache als die FPÖ."

Spannend ist aus Sicht des Politik-Beobachters aber ein anderer Aspekt: "Mit ihrer neuen, schärferen Ausrichtung haben die Neos einen klaren Strategiebruch begangen." 2013 seien sie mit dem Vorsatz angetreten, andere Parteien und Politiker demonstrativ zu loben. "Davon haben sie sich jetzt verabschiedet."

Dieses Risiko müssen sie aber offenkundig eingehen, Stilbruch hin oder her. Denn in Wien und Oberösterreich geht es nicht mehr um die Frage, ob man den Einzug in einen Landtag schafft. "Es geht darum", sagt Filzmaier, "ob das Projekt Neos überhaupt eine Zukunft hat."

Wutbürger statt Hassprediger
Die Neos haben sich in einer Umfrage Munition gegen die Steuerreform geholt.
Demnach motivieren die Regierungsmaßnahmen kaum einen heimischen Unternehmer, in neue Mitarbeiter zu investieren.
Im Auftrag der Neos hat Meinungsforscher Peter Hajek 300 Telefonate mit Geschäftsführern oder Mitgliedern der Geschäftsführung führen lassen. Für Hajek sind die Ergebnisse hoch signifikant: „Das habe ich so selten gesehen.“
So ist für 98 Prozent der Unternehmer die Steuerreform eher keine Motivation, neue Mitarbeiter einzustellen. Eine große Mehrheit von 79 Prozent findet zudem, dass vorwiegend die österreichische Politik dafür verantwortlich sei, dass Österreich beim Wirtschaftswachstum hinterher hinke.
Auch allgemein fällt die Steuerreform bei kleinen
und mittleren Unternehmen durch: Lediglich 22 Prozent der Befragten stehen ihr positiv beziehungsweise „eher positiv“ gegenüber, 71 Prozent hingegen negativ bzw. „eher negativ“. Einig ist man sich in der Welt der Selbstständigen aber vor allem, was die Wünsche an eine Steuerreform betrifft: Für 80 Prozent ist die Senkung der Lohnnebenkosten „sehr dringend“, für 16 „eher dringend“. „Das ist das Thema schlechthin, wenn man Arbeitsplätze schaffen will“, sagt Hajek.
Für die Neos ist die Reform ein klassisches Management-Versagen. Neos-Nationalratsmandatar Niko Alm sieht sich in der Umfrage bestätigt. „Faktum ist, dass sehr viele Unternehmer aus den Gewinnen einer Lohnnebenkosten-Reduktion Mitarbeiter einstellen würden. “
Und Parteichef Matthias Strolz sagt: „Diese Steuerreform wird die Arbeitslosigkeit in Österreich befeuern.“

Kommentare