"Müssen zu Information verführen"

Wrabetz muss den Redakteuren erklären, was er konkret will
ORF-Boss Alexander Wrabetz will Hasspostings auf Facebook mit Faktenchecks kontern /Absage an einen zentralen Info-Chef.

KURIER: Herr Generaldirektor, am 9. August 2016 findet die ORF-Neuwahl statt. Warum soll der Stiftungsrat Ihren Vertrag als ORF-Chef für weitere fünf Jahre verlängern?

Alexander Wrabetz: Ich habe mich noch nicht geäußert, was die Frage meiner Vertragsverlängerung betrifft und werde das auch heute nicht tun. Wenn Ihre Frage auf meine Bilanz abzielt: In dieser Geschäftsführungsperiode haben wir gezeigt, dass wir eines der erfolgreichsten öffentlich-rechtlichen Unternehmen in Europa sind. Wir sind Marktführer im Fernehen und Radio, wir sind auf hohem Niveau kontinuierlich wachsend im Online-Bereich, wir sind in den schwarzen Zahlen. Wir haben einen Song Contest hingelegt, der auch laut internationalen Beobachtern wirklich einer der besten in der Geschichte war. Und wir haben ein Zukunftsprogramm.

Was ist dessen Schwerpunkt?

Der ORF müsste aus meiner Sicht das Informationsangebot noch weiter ausbauen. Unsere allergrößte Aufgabe ist, zu schauen, dass die Zahl der sogenannten "information avoider", der "Informationsvermeider" nicht wächst. Das Problem in unserer Demokratie sind nicht die, die sich statt Zeitunglesen oder Fernsehen die Informationen online holen. Das Problem sind die, die sich für gar keine Form der Information interessieren, außer dass sie vielleicht ein Facebook-Posting, das sie von Freunden weitergeleitet bekommen, für Information halten. Es geht hier um 35 bis 40 Prozent der Bevölkerung. Es ist die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, diese Leute zu Information zu verführen, ihnen auf die Plattformen, auf denen sie sind, zu folgen, um sie in die klassischen Informationsangebote hineinzuholen oder sie mit neuen Informationsangeboten zu versorgen.

Wenn also auf Facebook verbreitet wird, Flüchtlinge vergewaltigen und rauben, soll der ORF auch dort Fakten entgegensetzen und nicht nur in der Berichterstattung in TV und Radio?

Wir wollen keine Facebook-Polizei sein, aber wir wollen einen Faktencheck, eine Einordnung, anbieten. Derzeit lassen wir Zehntausende User mit irgendwelchen Facebook-Postings ziemlich lange allein. Aber dazu muss rechtlich außer Streit sein, dass auch dies Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Derzeit dürfen unsere Online-Aktivitäten nur bestehendes Programm begleiten. Aber oft habe ich noch gar kein Programm zu einer Debatte, die bereits im Internet stattfindet. Künftig wird es vielleicht so sein, dass aus einer Facebook-Diskussion ein Fernseh-Thema wird und nicht umgekehrt.

War es ein Fehler, ins "Bürgerforum" über Flüchtlinge den Chef der Identitären zu laden?

Ziel des Bürgerforums war, auch jene Bürger, die am besorgtesten über die Flüchtlingssituation sind, zu Wort kommen zu lassen. Dem "Bürgerforum"-Team und Peter Resetarits ist das sehr gut gelungen. Besser wäre es gewesen, statt des Identitären-Funktionärs einen weiteren Bürger zu Wort kommen zu lassen. Dass es sich bei den Identitären um eine Gruppe am Rande des Verfassungsbogens handelt, die die Sorgen der Menschen für ihre Zwecke missbraucht, hätte angesprochen gehört.

Planen Sie auch neue Info-Formate im Fernsehen?

Ja. Wir wollen eine neue Begeisterung für Wissenschaft wecken.

Ein neues "Modern Times"?

Das war ein hervorragendes Format. Wenn wir schon bei Chiffren sind – auch eine neue Plattform für den gesellschaftlichen Diskurs abseits tagespolitischer Themen à la "Club 2" fehlt derzeit im ORF meiner Meinung nach.

Sie sind bald zehn Jahre Generaldirektor und waren zuvor ORF-Finanzchef – hat der politische Einfluss eher zu- oder eher abgenommen?

Es gibt ein kontinuierlich hohes Interesse der Politik am ORF, einfach, weil er eine vielgenutzte Informationsquelle ist. Gleichzeitig ist die Akzeptanz, dass hier journalistisch gearbeitet wird, deutlich gestiegen.

Die Bestellung des Generaldirektors bleibt aber eine politische Angelegenheit.

Wünschenswert wäre, und so steht es auch im Gesetz, dass bei der Bestellung der Geschäftsführung nur eine Rolle spielt, ob die Arbeit der Geschäftsführung gut gemacht wurde. Ich hoffe, dass das auch 2016 so sein wird, unabhängig davon, wer sich bewirbt.

Sie bauen das ORF-Zentrum um, um TV, Radio und Online in einem Haus zusammenzuführen. Wird es einen zentralen Chefredakteur geben?

Die Führungsstrukturen werden sich sicher ändern, aber in der komplett neuen Form wird es sie erst ab 2020 geben, wenn wir die neuen Räumlichkeiten bezogen haben. Einen zentralen Informationsdirektor, der vom Ö1-"Frühjournal" bis zu "Zib 24" alles entscheidet, den hat es bei mir nie gegeben und würde es bei mir nie geben.

Also keinen Super-Mück, keinen zentralen Info-Steuermann wie unter Schwarz-Blau?

Seit neun Jahren stehe ich genau dafür, dass das nicht stattfindet. Ich stehe für Vielfalt. Es muss gewährleistet sein, dass Radiojournale ihre Qualität behalten können, dass eine "Zib 2" weiterhin in dieser Form gemacht werden kann – auch das ist Pluralismus, auf Sendungsebene, und dieser ist mindestens so wichtig wie politische Unabhängigkeit. Der ORF wird die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Medien verbessern müssen, aber keinen Einheitsbrei machen. Es geht dabei auch nicht nur um die Politik. Ich möchte auch nicht nur einen zentralen Kulturchef haben. Wenn dann eine Kunstrichtung von einem Kulturchef nicht als so relevant erachtet wird, hätte sie in den verschiedenen ORF-Medien eine geringere Chance. Auch hier kommt es auf die Diversität der Zugänge an.

Sie haben jüngst angedeutet, dass Sie Ihr Team gleich belassen wollen – mit Kathrin Zechner und Richard Grasl?

Da ich jetzt keine Aussage über eine Verlängerung treffe, treffe ich auch keine über ein zukünftiges Team. Nur soviel: Das jetzige, erfahrene Team mit Kathrin Zechner, Michael Götzhaber und Richard Grasl hat aus meiner Sicht sehr gute Arbeit geleistet.

Es gibt in dem angeblich parteiunabhängigen Stiftungsrat seit Kurzem eine relative ÖVP-Mehrheit. Rechnen Sie mit einem bürgerlichen Gegenkandidaten?

Wenn man es in politischen Dimensionen sieht, hat keiner der sogenannten Freundeskreise eine absolute Mehrheit. Die Frage, wie viele Kandidaten es gibt, sollte man gelassen betrachten.

Schon einmal ist der Finanzchef gegen den Generaldirektor angetreten, nämlich Sie gegen Monika Lindner. Erwarten Sie, dass sich Ihr Finanzchef Richard Grasl diesbezüglich an Ihnen ein Beispiel nimmt?

Das ist aus meiner Sicht nicht mit der Gegenwart vergleichbar, der ORF befindet sich heute in einer anderen, wesentlich unumstritteneren Situation als 2006. Ich habe auch sehr kurze Zeit, nachdem ich beschlossen habe, anzutreten, die damalige Generaldirektorin davon informiert. Sollte ich wieder antreten, gehe ich davon aus, dass ein allfälliger anderer Kandidat oder Kandidatin aus dem Haus auch den Mut hätte, das klar zu sagen.

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