Wiesenthal: Nachlass eines Außergewöhnlichen

Simon Wiesenthals Arbeit wird in den USA außerordentlich geschätzt. Das zeigt auch ein Theaterstück.

Manhattan, 42. Straße, ein paar Hundert Meter vom Broadway, am Freitagabend. Ein Theaterstück über das Leben von Simon Wiesenthal hat New-York-Premiere.

Das Stück spielt in Wiesenthals Wiener Dokumentationszentrum, am letzten Tag, bevor er seine Arbeit als Nazi-Jäger beendet. Er empfängt eine letzte Gruppe amerikanischer Studenten und lässt im Gespräch mit ihnen sein Leben Revue passieren.

"Ein gewöhnlicher Mann, der Außergewöhnliches getan hat" – so beschreibt Tom Dugan, der Autor und Hauptdarsteller des Stücks, Simon Wiesenthal.

Wiesenthal: Nachlass eines Außergewöhnlichen
Tom Dugan_Wiesenthal_Tom Dugan wrote and performs “Wiesenthal.” Dugan, who is Irish Catholic, says audiences seem surprised and delighted to find someone who is not Jewish leading a Holocaust-themed play. He says his father’s experiences during World War II inspired the writing of the play. (Courtesy) reviewjournal.com/entertainment/fathers-tales-wwii-inspire-writing-holocaust-play-wiesenthal
Ein alter Mann sitzt mit einer Wolldecke auf dem Sofa in seiner Bibliothek und erinnert sich, wie seine Mutter von der Gestapo abgeholt wurde. Er geht in Richtung Schreibtisch und erzählt von den grausigen Vernichtungslagern und den Tätern, die die Massenmorde organisiert haben. Zittrig hebt er das Telefon ab. "Nein, ich vergesse nicht auf die Milch", sagt er in den Hörer. Es ist seine Frau, die zu Hause auf ihn wartet.

Dieser Wechsel zwischen Alltagsszenen und Erinnerungen an menschliche Abgründe macht das Stück ergreifend. Das Publikum wird hin- und hergerissen zwischen Spannung und erleichtertem Aufatmen. Man ahnt, wie Holocaust-Überlebende es schafften, mit dem Grauen im Gedächtnis ins Leben zurück zu finden. "Wenn Sie Tränen haben wollen, schauen Sie sich eine Soap Opera an. Ich will hier keine Tränen produzieren, sondern Wissen", lässt Tom Dugan Simon Wiesenthal sagen.

Wiesenthal: Nachlass eines Außergewöhnlichen
New York House of Tolerance Simon Wiesenthal
Und zu wissen gibt es genug, nicht nur über den Holocaust, sondern auch über das Versagen in Österreich, die Täter zu verfolgen. Wiesenthal erzählt die Geschichte vom SteirerFranz Murer,dem sadistischen Schlächter von Vilnius, unter dessen Zuständigkeit die jüdische Bevölkerung im damaligen "Jerusalem des Nordens" von 80.000 auf 600 dezimiert wurde. Es war der Privatmann Wiesenthal, der nicht locker ließ, bis Murer 1963 endlich in Graz vor Gericht kam. Nur: Murer wurde frei gesprochen, weil er nur "Befehle befolgt" habe. Österreichisches Publikum applaudierte. "Westdeutschland war immer sehr eifrig, auf meine Hinweise hin NS-Verbrecher vor Gericht zu stellen. Österreich nicht", sagt Wiesenthal in dem Stück.

"Man kann nur hoffen, dass das Stück auch nach Österreich kommt", sagt Professor Anton Pelinka, Österreichs renommiertester Politologe und US-Kenner.

Wiesenthal: Nachlass eines Außergewöhnlichen
Der KURIER sprach mit Pelinka über die Bedeutung Simons Wiesenthals heute. "Simon Wiesenthal wird in den USA mit dem Bemühen assoziiert, die NS-Kriegsverbrecher vor Gericht zu bekommen." Wiesenthal habe immer wieder auf "skandalöse, speziell österreichische Defizite" bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen hingewiesen. Anstatt dies zu würdigen, hat die RegierungKreiskyWiesenthal in den 1970er-Jahren in innenpolitische Querelen hineingezogen – und attackiert. Pelinka: "Das wird Österreichs Reputation immer schaden."

Zumindest bei jenen, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen. Und diese Zahl werde wohl zunehmen, meint Pelinka. "Der Abstand von der Generation der Täter-Opfer hat das Interesse an diesem Verbrechen gegen die Menschheit bisher gesteigert."

Pelinka verweist auch auf die zweite, wichtige Bedeutung Wiesenthals in den USA: "Sein Kernsatz ,Recht, nicht Rache‘ ist die Grundlage für viele Aufklärungsaktivitäten. Im Museum of Tolerance in Los Angeles, das sich explizit auf Simon Wiesenthal beruft, ist es gelungen, nicht ,nur‘ ein Holocaust-Museum zu hinzustellen, sondern eine umfassende Vernetzung in pädagogische Aktivitäten zu erreichen, einschließlich die Mitwirkung bei Sensibilisierungsprogrammen der Polizei."

Das erwähnte Museum of Tolerance in Los Angeles hat eine Zweigstelle in New York. Sie liegt im pulsierenden Herzen Manhattans, nur wenige Meter von Times Square und Central Station entfernt. Mit auffälligen Postern spricht es die Passanten direkt an und lädt sie zum Vorbeischauen ein: "Sind Sie vorurteilsbehaftet?" "Lernen Sie mehr über die Macht von Worten und Bildern, über den Holocaust und Genozide unserer Zeit, über globale Menschenrechte, Toleranz und Prävention gegen Vorurteile." Mit Programmen wie diesen hat sich die Holocaust-Forschungsstätte in die Gegenwart gebeamt. Reden von Adolf Hitler, Josef Stalin, John F. Kennedy, Martin Luther King, Osama Bin Laden und Barack Obama werden auf ihre Hass- und Versöhnungsbotschaften analysiert. Jugendliche werden derart näher an die Vergangenheit herangeführt. Deren Lehren aus der Geschichte werden für die Gegenwart begreifbar gemacht. Im Foyer des Museums prangt in großen Lettern: "Freiheit ist kein Geschenk des Himmels, wir müssen jeden Tag für sie kämpfen. Simon Wiesenthal"

Gleich daneben steht ein Zitat von Abraham Lincoln.

Ausbildung

* 31. 12.1908 in Butschatsch (Ukraine); 20.09.2005 in Wien. Architektur-Studium in Prag.

Holocaust

1941 Verhaftung in Lemberg. Wiesenthal war in fünf Konzentrationslagern. Anfang Mai 1945 befreite ihn die US-Armee aus dem KZ Mauthausen.

Leben nach 1945

Dokumentation und Recherche von Nazi-Verbrechen. Buchautor.

Privat

Wiesenthal war mit Cyla Müller verheiratet. Eine Tochter.

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