Wie die Wirtschaft im Kreis geschickt wird

Vizekanzler, Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner und WKÖ-Präsident Christoph Leitl
Reinhold Mitterlehner bekommt viel Unterstützung für seine Sozialpartner-Schelte. Die Gewerbeordnung sei dringend zu entrümpeln.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner lässt sich vom Aufschrei im Kammerstaat nicht beeindrucken: "Wenn man die Empörung nimmt, die da gekommen ist, ist das für mich eher eine Bestätigung, dass die Vorwürfe in der Sache nicht falsch sind."

Trotz verärgerter Proteste der Präsidenten von Arbeiter- und Wirtschaftskammer bleibt Mitterlehner auch am Montag bei seiner im Sonntag-KURIER geäußerten Aufforderung an die Sozialpartner, statt "Klientelbedienung" in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts in den Fokus zu rücken. Als drängende Probleme nennt Mitterlehner flexible Arbeitszeiten und eine Liberalisierung der Gewerbeordnung. Mitterlehner kündigte auch an, dass er und Kanzler Kern in Zukunft mehr mit Experten kooperieren wollen und nicht unbedingt auf Sozialpartnereinigungen warten wollen, denn das sei "nicht dynamisch genug".

Entflechten

"Ein Entflechten von Regierung und Sozialpartnern könnte durchaus auch im Interesse der Sozialpartner sein", meint einer der von Mitterlehner genannten Experten, Franz Schellhorn vom liberalen Thinktank Agenda Austria. Regierungen hätten oft auch unangenehme Entscheidungen zu treffen, die die Sozialpartner als Vertreter bestimmter Interessensgruppen nicht gern mittragen wollen. "Die Weihnachtsgans ist kein glühender Fan des Heiligen Abends", sagt Schellhorn. Die Sozialpartner sollten sich auf ihre ureigenen Aufgaben wie Tarifgestaltung konzentrieren. Die Regierung wiederum solle ein "Reformklima schaffen".

Standort-Kampagne

Unterstützung für Mitterlehner kommt aus der Wiener ÖVP und der Jungen ÖVP. Letztere wird am kommenden Wochenende im Rahmen ihres Bundeskongresses den Startschuss für eine Standort-Kampagne geben. Laut Stefan Schnöll, JVP-Generalsekretär, hält die Gewerbeordnung mit der Digitalisierung nicht Schritt: "Immer mehr Selbstständige üben artverwandte Tätigkeiten aus wie Texten, Grafik, Beratung, Filmen etc. Für all diese Tätigkeiten braucht man jeweils eigene Gewerbescheine und muss damit mehrmals Kammerumlage zahlen." Die JVP fordert, ein Gewerbeschein müsse für artverwandte Tätigkeiten genügen.

Unwesen blüht

Das Gewerbeschein-Unwesen steht in voller Blüte, wie die Agenda Austria herausfand: So ist die Zahl der Gewerbescheine seit 2004 um 33,8 Prozent gestiegen. Die Zahl der Gewerbescheinbesitzer, also der Unternehmer, hat im selben Zeitraum um nur 11,4 Prozent zugenommen. Schellhorn: "Daraus lässt sich ablesen, dass viele Selbstständige mehr als einen Schein brauchen, um ihre Tätigkeit ausüben zu können."

Die JVP kennt diesbezüglich absurde Beispiele:

Gebäudereiniger benötigen einen Gewerbeschein für die Innenreinigung, einen weiteren für die Außenreinigung, und wenn sie Denkmäler reinigen wollen, benötigen sie dafür extra noch einen.

Die Nageldesignerin darf Fingernägel lackieren, aber nicht Fußnägel.

Ein Florist darf einzelne Blumen verkaufen, will er aber einen gebundenen Strauß verkaufen, benötigt er einen Gewerbeschein.

Applaus aus Wien

ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel steuert ein sattsam bekanntes Beispiel bei, wie sich Landesregierung und Sozialpartner ständig aufeinander ausreden, mit dem Ergebnis, dass sich nichts bewegt: Wien, das sich steigender Tourismuszahlen erfreut, hat immer noch keine Tourismuszonen definiert und lässt wohlbetuchte Gäste sonn- und feiertags vor geschlossenen Geschäften stehen. Andere Bundesländer haben sonntags in der Hochsaison längst geöffnet.

Blümel: "Mitterlehner hat vollkommen recht. Die Menschen haben die Nase voll vom rot-schwarzen System, vom Abtauschen, Taktieren und Blockieren. Das betrifft natürlich auch die Sozialpartnerschaft." Die Regierung habe die Signale offensichtlich verstanden, die reflexartige Reaktion der Sozialpartner zeige aber leider "null Einsicht", sagt Blümel.

Arbeitszeiten

Zu Gewerbeordnung und Ladenschluss gesellt sich ein dritter, seit Langem ungelöster Streitpunkt: der Wunsch der Wirtschaft nach flexibleren Arbeitszeiten. Die Unternehmen wollen bei Auftragsspitzen kostengünstig produzieren können, also "arbeiten, wenn Arbeit da ist". Die Gewerkschaft bremst seit jeher, ihr zentrales Argument lautet: Die Kollektivverträge erlaubten bereits eine sehr hohe Flexibilität, den Arbeitgebern gehe es nur um das Streichen teurer Überstundenzuschläge.

Derzeit beträgt die tägliche Normalarbeitszeit acht Stunden, die tägliche Höchstarbeitszeit zehn Stunden. Darüber hinaus drohen Strafen. Die Wirtschaft wünscht sich eine Anhebung um jeweils zwei Stunden, ohne die Arbeitszeit übers Jahr gesehen zu verlängern ("Durchrechnungszeitraum").

In der Praxis würden sich also nur längere Wochen mit kürzeren – je nach Auftragslage im Betrieb – abwechseln. Auf Arbeitszeitkonten werden bei diesen Modellen Gut- und Minusstunden gesammelt und übers Jahr gegengerechnet.

Vorbild Metaller

So hat es etwa (stark vereinfacht dargestellt) die Metall-Industrie in Einvernehmen mit der Metallgewerkschaft in ihrem Kollektivvertrag bereits umgesetzt. Die Wirtschaft hätte gern eine Lösung für alle Branchen, scheiterte bisher aber an Junktimen und Gegenforderungen der Gewerkschaftsseite – etwa ein leichterer Zugang zur 6. Urlaubswoche für alle.

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