"Wer etwas Kritisches postet, erscheint auf Erdogans Radar"

"Wer etwas Kritisches postet, erscheint auf Erdogans Radar"
Erdogan will Forscher in die Heimat zwingen. Angst geht um, denunziert zu werden.

Der kurdische Lehrer und sein Freund, ein Informatiker, der erst vor zwei Wochen die Türkei "für immer" verlassen hat, haben auch in Wien Angst. "Erdogan hat keine Soldaten in Wien, aber sein Arm reicht überall hin", sagt Ahmet. "Seine Anhänger sind radikalisiert, ich traue ihnen und dem Geheimdienst alles zu." Ahmet, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung finden will, hat eine ständige Aufenthaltserlaubnis und arbeitet heute wie viele kurdische Familien in der gehobenen Gastronomie. Dass sich die Lage in nächster Zeit bessern könnte, glaubt er nicht.

Forscher in Angst

In Österreich nicht sicher fühlen sich auch türkische Staatsbürger, die an den Hochschulen tätig sind – laut Wissenschaftsministerium 81 an der Zahl. Erdogan hat angekündigt, jene, die sich auf Dienstaufenthalt im Ausland befinden, in die Heimat zurückzuholen. Wie viele tatsächlich betroffen sind, ist unklar. Die Universitätenkonferenz (uniko) reagiert bestürzt auf Erdogans "Säuberungsaktion". Uniko-Chef Oliver Vitouch: "Hier wird intellektuelle Kritik im Keim erstickt und strukturell verunmöglicht. Das ist inakzeptabel und von EU und UNO auf das Schärfste zu verurteilen."

Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik an der Uni Wien, kennt ein paar Betroffene. "Sie müssen jetzt einmal mit der Situation klarkommen." Aslan selbst ist kein türkischer Staatsbürger.

Wie ernst die Lage ist, weiß auch Soziologe Kenan Güngör. Aufrufe in den sozialen Medien, Erdogan-Gegner zu denunzieren, machen weiter die Runde. "Viele Kollegen haben Angst. Jeder, der auch nur etwas ansatzweise Kritisches über Erdogan oder die AKP postet, kann auf dem Radar auftauchen und auf einmal unter Terrorismusverdacht stehen. Da reicht es schon, wenn man Erdogan einen Diktator nennt." Er habe seine Türkei-Reise diese Woche jedenfalls abgesagt.

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