"Politik ist wie Fußball: Alle wissen, wie’s besser geht"

Edlinger mit einer Nachbildung jenes Balles, mit dem Rapid 1941 Deutscher Meister geworden ist: „Wenn es geregnet hat, ist der Ball immer schwerer geworden.“ Als deren Präsident hat er Rapids Zeit im Nationalsozialismus untersuchen lassen
Ex-SP-Finanzminister startete in der SJ als zweiter Mann hinter Karl Blecha. Was er heute macht.

Ich bin im Frühjahr mit 99 Prozent der Stimmen als Präsident des Wiener Pensionistenverbandes wiedergewählt worden. Es gab nur zwei, die mich gestrichen haben. Und die kenn’ ich." Rudolf Edlinger lacht. Der KURIER besucht den 75-Jährigen in seinem Büro in Wien-Alsergrund. Er wirkt betont freundlich, gewitzt, gewieft, und manchmal lächelt er schelmisch.

Den Jüngeren ist er vor allem als langjähriger Präsident des Sportklub (SK) Rapid ein Begriff. Den Älteren auch als langjähriger Wiener Kommunalpolitiker, Finanzstadtrat und Finanzminister.

"Als ich 2001 Rapid-Präsident geworden bin, haben mich viele gefragt: Politik und Fußball, wie passt das zusammen? Ich habe geantwortet, dass es eine unglaubliche Parallelität gibt: Alle, die zuschauen, wissen, wie es besser geht." Edlinger schmunzelt wieder. Als Wiener beherrscht er den Schmäh.

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SK Rapid Wien

Arbeiterpartei SPÖ oder Arbeiterklub Rapid, wo war er früher dabei? "Ich hatte einen Onkel, der hat vor dem Krieg bei Rapid im Nachwuchs gespielt. Im Krieg hat er ein Bein verloren. Dafür hat er dann ehrenhalber einen Laufbandsitz bekommen, das waren Heurigenbänke am Spielfeldrand. Mit fünf Jahren hat mich der Onkel immer mitgenommen, da bin ich neben ihm im Sand gesessen. Ich trau mich zu sagen, dass ich, seit ich lebe, bei zwei Drittel aller Heimspiele von Rapid war." Dass Rapid als Arbeiterklub gilt, habe er erst viel später wahrgenommen.

Hilfe mit der Gulaschkanone

Ganz anders bei der SPÖ. Für die hatte er sich in seiner Jugend nur am Rande interessiert, sein Vater war Funktionär. "Natürlich haben wir uns gefreut, wenn die SPÖ Wahlen gewonnen hat. Aber politisiert wurde ich erst 1956, in der Ungarn-Krise." Als sowjetische Panzer alle demokratischen Bestrebungen der Ungarn unter den Ketten der Panzer vernichtete, flohen Hunderttausende Ungarn in den Westen. Österreich öffnete damals seine Tore. Edlinger half mit bei einer Gulaschkanone, um die Flüchtlinge zu versorgen. "Was ich dort gesehen habe, Frauen, Kinder, Alte, Gebrechliche, die mit nichts herkommen, da habe ich plötzlich begonnen, die Probleme politisch zu sehen. Damals noch ohne Parteipolitik." Aber dann begann sein Engagement für die Wiener Sozialdemokratie. Damals, in der Jugendorganisation der SPÖ, hieß der Bundeschef Karl Blecha. "Ich war sein Stellvertreter. Und wissen S’, wer heute mein Chef ist, der Präsident des Pensionistenverbandes? Karl Blecha. Und ich bin wieder sein Stellvertreter." Da muss er schmunzeln.

Angst vor Fremdartigen

Mit der aktuellen Situation der Flüchtlinge, vor allem mit der Ablehnung bei einem Teil der Bevölkerung, ist er alles andere als glücklich. "Es ist ja so: Leute, die wenig haben, eilen schneller, aus einem inneren Antrieb heraus, zu Hilfe, weil sie wissen, was Armut ist. Und die etwas haben, die wollen nichts hergeben. Nachdem wir aber ein Volk geworden sind, wo die überwiegende Mehrheit etwas hat, reagiert die Bevölkerung so. Das war im Jahr 1956 etwas ganz anderes."

Heute hätten die Menschen vor dem "Fremdartigen" der Flüchtlinge Angst. Ihn selber habe das nie gestört, er lebt im 15. Bezirk, ein Ausländerbezirk, wo es manchmal "wie auf einem internationalen Basar hergeht. Mir gfoit des." Dass das in Österreich nicht alle Bürger so locker nehmen, weiß er.

Entsolidarisierung

Dabei wird seine Miene ernst. "Irgendwie ist unserer Gesellschaft das humanistische Element verloren gegangen. Man entsolidarisiert sich, man gibt nichts. Und emotional lehnt man die Leute ab, und das ist anti-humanistisch. Das stimmt mich sehr nachdenklich." Da sehe er ein großes Versäumnis der Politik, den Menschen eine gewisse "staatsbürgerliche Erziehung" zuteil werden zu lassen. "Und deshalb gibt es so einen massiven Zulauf zu den Rattenfängern. Weil es ja viel leichter ist, zu hetzen, als zu gestalten."

Auf die FPÖ, die er hier meint, ist er gar nicht gut zu sprechen. "Natürlich habe ich ein Problem mit deren ausgefransten rechten Rand. Weil dort die ganzen alten und jungen Nazis drinnen sind." Daher seien sie für ihn kein Koalitionspartner. Dass die SPÖ im Burgenland nun doch mit der FPÖ koaliert, hält er, "höflich gesagt, für einen Wahnsinn. Wobei wir ja die FPÖ nie ausgegrenzt haben, sondern uns immer von ihr abgegrenzt haben. Das ist ein wichtiger Unterschied. Ich will mit denen nichts zu tun haben, da krieg’ ich einen Ausschlag."

Grenzen dicht?

Sicher, es fehle politisches Leadership, in Österreich und Europa, vor allem bei der Frage, was richtig, gut und notwendig ist. "Aber ich habe nicht geglaubt, dass ich in meinem Leben, wo ich viele Entscheidungen treffen musste, wo sicher richtige, aber auch falsche dabei waren, bei der jetzigen Flüchtlingswelle keine Lösung weiß. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich auf meine alten Tag vor einem Problem stehe, auf das ich auf europäischer Ebene keine Antwort habe. Denn die Grenzen dicht machen, das geht nicht. Aber Millionen Menschen hier aufnehmen, das geht auch nicht."

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