Überwachungsstaat? Staatsschutzgesetz beschlossen

Überwachungsstaat? Staatsschutzgesetz beschlossen
Polizei bekommt neue Möglichkeiten zur Terrorismusbekämpfung. Alle Fakten zum neuen Gesetz.

Rechtanwälte lehnen es ab, der Österreichische Journalistenklub genauso wie die FPÖ, die Grünen und die Neos; 25.000 Menschen haben eine Petition dagegen unterschrieben: Heute wurde im Innenausschuss des Parlaments mit den Stimmen der Regierungsparteien ein Staatsschutzgesetz beschlossen, von dem der Präsident des Österreichischen Journalistenclubs, Fred Turnheim, sagt, es ermögliche „eine neue Form des Überwachungsstaates“. In der Plenarsitzung am 27. Jänner soll es vom Parlament beschlossen werden. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist das Staatsschutzgesetz und warum brauchen wir es?

Das Gesetz soll einen modernen und vernetzten polizeilichen Staatsschutz ermöglichen. Die Behörden sollen nicht nur auf Gefahren reagieren, sondern Bedrohungen schon im Vorfeld erkennen können und entsprechend darauf reagieren. Spätestens nach den jüngsten Anschlägen in Paris, Istanbul, Jakarta und Ouagadougou klingt das grundvernünftig.

Ist das Gesetz anlassbezogen?

Nein, auch wenn die jüngsten Terrorangriffe das nahe legen würden. Das Gesetz steht im Regierungsabkommen zwischen SPÖ und ÖVP aus dem Jahr 2013 und der erste Entwurf wurde im Juli 2015 vorgelegt.

Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Am 1. Juli 2016.

Was soll im Gesetz stehen?

Das "Bundesgesetz über die Organisation, Aufgaben und Befugnissen des polizeilichen Staatsschutzes", wie es eigentlich heißt, stattet das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) mit erweiterten Befugnissen aus. Schon jetzt ist es die Aufgabe der im Innenministerium angesiedelten Sicherheitsbehörde, die „verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik Österreich“ – darunter werden zum Beispiel Regierung, Parlament und Landtage verstanden – zu schützen und mit ausländischen Geheimdiensten zu operieren.

Welche „erweiterten Befugnisse“ soll das BVT nun bekommen?

Das BVT darf zum „zum Zweck der Bewertung von wahrscheinlichen Gefährdungen“ – also wann immer es möchte - sämtliche Daten einer Person, von Staatsangehörigkeit und Wohnanschrift bis hin zu „Qualifikation/Beschäftigung/Lebensverhältnisse“ verarbeiten, laut dem bislang vorliegenden Gesetzestext „dürfen auch sensible Daten“ im Sinne des Datenschutzgesetzes verarbeitet werden, „soweit dies zur Erfüllung des Zwecks unbedingt erforderlich ist“.

Für die Observation einer Person soll das BVT künftig im „zur erweiterten Gefahrenerforschung“ und zum „vorbeugenden Schutz vor verfassungsgefährdenden Angriffen“ keinen richterlichen Beschluss mehr brauchen; entscheiden darüber soll ein Rechtsschutzbeauftragter.

Was ist ein Rechtsschutzbeauftragter?

Der ist im Gesetzesentwurf als Kontrollinstanz vorgesehen. Er wird vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung nach Anhörung der Präsidenten des Nationalrates sowie der Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes auf die Dauer von fünf Jahren bestellt und hat zwei Stellvertreter. Gemeinsam sollen sie besondere Ermittlungsmethoden absegnen. Der Rechtsschutzbeauftrage muss kein Richter sein. Lediglich einer bzw. eine der Stellvertreter/innen muss mindestens zehn Jahre als Richter/Richterin oder Staatsanwalt/Staatsanwältin tätig gewesen sein.

Welche Maßnahmen benötigen eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Rechtsschutzbeauftragten?

Unter anderem die Observation von Personen, die verdeckte Ermittlung und den Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten, genauso wie die Ermittlung von Standort- wie Zugangsdaten. Der Rechtsschutzbeauftragte übermittelt außerdem jährlich einen Bericht an das Innenministerium, der auch dem geheimen Unterausschuss des Innenausschusses vorzulegen ist. Bei Bedarf ist auch ein direkter Austausch zwischen dem Rechtsschutzbeauftragten und dem Unterausschuss vorgesehen (wobei die Initiative zum Austausch von beiden Seiten ausgehen kann). Erkennt der Rechtsschutzbeauftragte, dass durch die Verwendung von Daten die Rechte von Personen verletzt wurden, hat er diese zu informieren bzw. ist zu einer Beschwerde bei der Datenschutzbehörde verpflichtet.

Wie lange dürfen Daten gespeichert werden?

Erhobene Daten zu Verdächtigen und ihren Kontaktpersonen sind grundsätzlich spätestens nach fünf Jahren zu löschen, wobei eine Aktualisierung und etwaige Richtigstellung von Daten laufend zu erfolgen hat. Eine längere Speicherung eigentlich zu löschender personenbezogener Daten ist nur in Ausnahmefällen und nur mit Zustimmung des Rechtsschutzbeauftragten gestattet, sechs Jahren nach Ende der erteilten Ermittlungs-Ermächtigung müssen sie in jedem Fall gelöscht werden. Diese Daten dürfen mit ausländischen Geheimdiensten ausgetauscht werden.

Was sind die Kritikpunkte?

Peter Pilz und Albert Steinhauser von den Grünen weisen zum Beispiel darauf hin, dass das Gesetz so formuliert ist, dass auch Personen ins Visier des Staatsschutzes geraten können, die sich über eine Landeshymne lustig machen oder von denen die Polizei annimmt, dass sie irgendwann einmal ein Hassposting verfassen könnten. Die Richtervereinigung kritisiert, dass der Rechtsschutzbeauftragte zwar eine richterliche Ausbildung haben soll, aber nicht als Richter tätig gewesen sein muss. Die „AKVorrat“, die sich schon gegen die Vorratsdatenspeicherung wehrte, warnt davor, dass im Prinzip jeder überwacht werden kann, nur wenn die Behörde einen begründeten Gefahrenverdacht sieht. Polizeilichen Ermittlern eine solche Fülle an neuen Befugnissen ohne richterliche Kontrolle zu geben, mache die Polizei zum Geheimdienst, kritisierte AKVorrat-Obmann Christof Tschohl. Indirekt werde damit auch der Zugriff auf Vorratsdaten wieder möglich, und das ohne richterliche Genehmigung. Der Präsident des österreichischen Journalistenclubs Fred Turnheim sieht in dem Gesetz einen "Angriff auf den unabhängigen Journalismus". Das Redaktionsgeheimnis werde ausgehöhlt, Informanten seien nicht mehr geschützt, investigativer Journalismus dann nicht mehr möglich. Es drohe eine "neue Form des Überwachungsstaates", sieht Turnheim in Österreich eine mit Polen vergleichbare Entwicklung.

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