Fortpflanzungsmedizin: Widerstand im ÖVP-Klub wächst

Fortpflanzungsmedizin: Widerstand im ÖVP-Klub wächst
Vorab-Diagnose von befruchteten Eizellen: Das neue Gesetz sorgt bei der Volkspartei für Turbulenzen.

Auf die ÖVP, konkreter: auf ihren Parlamentsklub, wartet ein turbulenter Freitag. Wie berichtet, treffen einander die ÖVP-Abgeordneten, um im Rahmen einer Klubsondersitzung über eines der ethisch-heikelsten Gesetze seit Langem – das "Fortpflanzungsmedizin-Gesetz" – zu beraten.

Das von ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter federführend erarbeitete Gesetz ermöglicht Samenspenden für Lesben, Eizellenspende sowie die Untersuchung befruchteter Eizellen.

Insbesondere Letzteres sorgt in den Reihen der Volkspartei für Unruhe. Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg hatte bereits vergangene Woche erklärt, gegen das Gesetz zu stimmen. Ihm folgte via Interview in der Kleinen Zeitung Finanzsprecher Andreas Zakostelsky. Und ein Rundruf am Montag ergab, dass sich de facto in allen Ländern Mandatare finden, die dem Gesetz nicht zustimmen wollen – die meisten äußern die Skepsis vorerst hinter vorgehaltener Hand.

Kein Problem, seine Vorbehalte laut auszusprechen, hat der Tiroler Hannes Rauch. "Der Vorschlag geht sehr weit. Ich habe mit dem Gesetz Schwierigkeiten – und kann jetzt nicht sagen, dass ich dafür stimme", sagt Rauch zum KURIER. Nachsatz: "Und mit dieser Haltung bin nicht allein."

Wie viele Kritiker warnt der ehemalige ÖVP-Generalsekretär vor dem "Designer-Baby": "Wenn vor einer künstlichen Befruchtung Kennzeichen wie Geschlecht oder Haarfarbe bestimmt werden können, schafft das langfristig Begehrlichkeiten. Ich stelle mir die Frage: Können wir diese Entwicklung dann noch aufhalten?"

Um einen anhaltenden Konflikt im Klub zu vermeiden, gilt es mittlerweile als wahrscheinlich, dass Klubchef Reinhold Lopatka den Klubzwang bei der Abstimmung aufhebt.

Seit zehn Jahren wird über eine Reform der Regelungen zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung (IVF) diskutiert. Jetzt liegt ein Gesetzesentwurf vor. Univ.-Prof. Markus Hengstschläger (Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik der MedUni Wien und stv. Vorsitzender der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt) war als führender Experte maßgeblich in die Beratungen eingebunden.

Fortpflanzungsmedizin: Widerstand im ÖVP-Klub wächst
Markus Hengstschläger am 15.1.2014 im gesundheitstalk

KURIER:Der Entwurf hat gegensätzliche Reaktionen ausgelöst: Bischof Klaus Küng sprach von "Dammbruch", vielen Fortpflanzungsmedizinern hingegen geht er nicht weit genug.

Markus Hengstschläger:Das ist sicher kein Dammbruch. Es ist ein in Ruhe bedachter, ausgewogener und mit viel Gefühl gemachter Entwurf mit hohen ethischen Normen. Er ist strenger als die meisten Gesetze anderer Staaten. Österreich prescht hier nicht voraus, sondern zieht lediglich mit anderen Ländern gleich. Ich sehe in dem Gesetz auch ein Lebenswerk von mir vollendet. Zehn Jahre habe ich beratend auf alle zuständigen Minister und Parteichefs eingewirkt, viele Kollegen haben zu mir gesagt: "Warum tust du dir das an, das wird nie etwas." Jetzt hat sich bestätigt: Man darf nicht aufgeben.

Die Aktion Leben kritisiert, der Entwurf solle ohne Diskussion "durchgewunken" werden.

Genau das Gegenteil ist der Fall: Österreich ist in Europa das Land, das diese Thematik am längsten diskutiert hat. Es gibt bereits aus dem Jahr 2004 Empfehlungen der Bioethikkommission zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Argumente liegen seit Jahren auf dem Tisch. Und so liberal, wie teilweise behauptet wird, ist das Gesetzt nicht. Die Debatte läuft oft nur in die Richtung: "Ist es ethisch, dies oder das zu ermöglichen?" Wir müssen aber auch diskutieren: "Ist es ethisch, dies oder das nicht zu ermöglichen?" So gesehen ist die derzeitige Situation in Österreich ethisch nicht vertretbar: Wir können es uns nicht leisten, einen Embryo, der nicht lebensfähig ist, in eine Gebärmutter einzusetzen, und einer Frau, die dadurch mehrere erfolglose IVF-Zyklen und damit hohe physische, psychische und auch ökonomische Belastungen aushalten muss, zu sagen: Ja, leider, aus ethischen Gründen dürfen wir den Embryo nicht auf seine Lebensfähigkeit untersuchen. Und wir können es uns ethisch auch nicht leisten, Paaren zu sagen: Wenn Sie Geld haben, fahren Sie ins Ausland, wenn Sie keines haben, dann haben Sie Pech gehabt. Wir können auch nicht die PID verbieten und den Spätabbruch erlauben.

Besteht die Gefahr, dass durch die Präimplantationsdiagnostik der Stellenwert behinderter Menschen untergraben wird?

Dafür gibt es international überhaupt keine Anhaltspunkte. Die Genetik hat auch nur einen geringen Prozentanteil an der Entstehung von Behinderungen. Die Auflagen sind extrem streng. Zuerst muss überdies die unbefruchtete Eizelle untersucht werden, und nur wenn dies nicht ausreicht, kann in bestimmten Fällen (siehe oben) eine PID am Embryo durchgeführt werden.

Bei der Eizellspende werden gesundheitliche Gefahren für die Spenderinnen und kommerzielle Ausbeutung befürchtet.

Die Samenspende war ja schon erlaubt. Es widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, die Eizellspende zu verbieten. Gleichzeitig darf die Spenderin nicht älter als 30, die Empfängerin nicht älter als 45 sein – damit wird das Risiko seltener Nebenwirkungen reduziert. Für eine Spende darf auch kein Geld bezahlt werden.

Wer wird dann Eizellen spenden, wenn er kein Geld bekommt?

Eine Möglichkeit sind Spenden aus dem Familienkreis. Ich kenne aber auch Fälle, wo Frauen, die selbst mittels IVF bereits ein Kind bekommen haben, sagen: Mir hat die künstliche Befruchtung geholfen und ich will jetzt dazu beitragen, dass auch eine andere Frau dieses Glück erleben kann.

Kritiker meinen, durch Samen- und Eizellspende müssten mehr Kinder mit "gespaltener Elternschaft" zurechtkommen,

Hier wird die biologische Elternschaft gegenüber der gesellschaftlichen Elternschaft überschätzt. Zehn Prozent aller Kinder sind nicht von dem Vater, von dem sie glauben, es zu sein. Aber für ihre Entwicklung spielt das keine Rolle. Wichtig sind die unmittelbaren Bezugspersonen. Die Möglichkeit, den Spender zu erfahren, gibt es jedenfalls ab 14 Jahren.

Fortpflanzungsmediziner kritisieren, dass für alleinstehenden Frauen die Samenspende nicht zugelassen wird und generell das Einfrieren von Eizellen für einen späteren Kinderwunsch verboten bleibt.

Ersteres ist eine gesellschaftspolitische Debatte: Möchte ich, dass Kinder zu Beginn ihres Lebens zumindest die Chance auf zwei Elternteile haben? Das ist eine Frage des Familienbegriffs. Biologisch gesehen gäbe es natürlich kein Problem. Das Einfrieren von Eizellen für späteren Kinderwunsch führt hingegen von der Medizin weg in Richtung medizinische Dienstleistung. Das sollte man nicht mit unserem strengen Gesetz vermischen.

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