Vier Thesen: Wie grünes Regieren Österreich verändern würde
Das Offensichtlichste ist die Sache mit dem Kohlendioxid: Wer Schmutz in die Atmosphäre bläst, soll (finanziell) nicht gleich gut wegkommen wie der, der sich in Sachen Umweltschutz verantwortungsvoll und clever verhält.
Das ist, vereinfacht gesagt, eines der Prinzipien, das Grüne in die Politik und in die Koalitionsverhandlungen einbringen. Abgesehen davon gibt es freilich andere Themen, bei denen Werner Kogler und seine Ökopartei das Land grundsätzlich verändern würden, könnten und dürften sie mitregieren. Wo und inwiefern wären die Grünen „Game Changer“, also nachhaltige Veränderer? Der KURIER hat einige zentrale Politik- und Gesellschaftsbereiche gefunden.
1. In der Wirtschaftspolitik würde es zu einem Paradigmenwechsel kommen. Würden Grüne mitregieren, würde ein altes, von den Sozialpartnern gepflegtes Paradigma verschwinden, nämlich: je mehr Wirtschaftswachstum, desto besser. Die Grünen forcieren nicht Quantität, sondern Qualität. Das bedeutet: die Wirtschaft darf wachsen – aber nicht um den Preis der Energie- und Ressourcenverschwendung (Versiegelung von Böden etc.).
Um das in der Praxis zu erreichen, müsste laut Karl Aiginger, dem früheren Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, an folgenden Stellschrauben gedreht werden: Förderungen für fossile Energie würden sinken bzw. wegfallen, grüne Energie würde massiv gefördert.
Die Landwirtschaftsförderung würde sich ebenfalls umdrehen – weg von Großbetrieben, hin zu kleinräumigen Bauernhöfen und Unternehmen. Ziel ist möglichst viel Nahversorgung statt Essen um die Welt zu schippern.
Wachstum wird, ja muss es auch mit Grünen geben. „Ohne moderates Wirtschaftswachstum geht gar nichts. Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Müllberge wachsen gerade ohne Wachstum“, schreibt Karl Aiginger im Standard.
Auch die EU-Kommission peilt inzwischen diese neue Richtung an: So hat etwa EU-Budgetkommissar Johannes Hahn angekündigt, dass 40 Prozent der Agrarausgaben und 30 Prozent der Regionalförderung in den Klimaschutz fließen werden.
2. Die Vielfalt der Gesellschaft würde in der institutionellen Politik sichtbar werden. An den viel zitierten „Schalthebeln der Macht“ sitzen bis heute Interessenvertreter, die dort seit Jahrzehnten sind – also Funktionäre der Kammern, diverser Lobbys, der Bauernschaft, Gewerkschaft. Klassische Vertreter von SPÖ und ÖVP könnte man sagen. Wie vor 50 Jahren. Aber die Gesellschaft hat sich geändert, und die großen politischen Lager haben es nicht geschafft, die neue Vielfalt in ihren Parteistrukturen abzubilden.
Mit den Grünen würde die Vielfalt des Landes und seiner Menschen auch in den obersten Etagen der Republik sichtbar werden. Ein Viertel der Österreicher hat mittlerweile Migrationshintergrund. Mit Grünen in der Regierung würden Vertreter dieser Bevölkerungsgruppe die gläserne Decke durchstoßen, ihre gleichberechtigte Teilnahme würde selbstverständlich.
Analog zu Brigitte Bierlein, die als erste Frau im Bundeskanzleramt etwas im Bewusstsein der Bürger verändert, würden insbesondere die Ministerkandidatinnen der Grünen – man denke an Rechtsanwältin Alma Zadic – dazu beitragen, dass es zur Normalität wird, wenn Österreicher mit migrantischem Hintergrund die höchsten Staatsämter bekleiden.
3. Staat und Verwaltung müssten transparent arbeiten, die Beziehung zwischen Staat, Bürgern und Parteien würde sich grundlegend ändern – und mit ihr die politische Kultur. Es steht im Wahlprogramm der Partei, es ist in der DNA der Grünen: Auf allen politischen Ebenen ist ein Maximum an Transparenz zu ermöglichen.
In der Praxis bedeutet dies, das so genannte Amtsgeheimnis auf den Kopf zu stellen und ein „Informationsfreiheitsgesetz“ zu beschließen.
Ist derzeit alles grundsätzlich „geheim“, außer es wird zur Information freigegeben, soll künftig der Spieß umgedreht werden: Fortan ist nichts, was Staat oder Verwaltung tun, geheim – es sei denn, es gibt dafür schwerwiegende Gründe (nationale Sicherheit, besonders schützenswerte private Daten etc.). Angefangen von wissenschaftlichen Studien oder Gutachten, die Gemeinden, Länder oder ein Ministerium beauftragen bzw. bezahlen bis hin zu allen amtlichen Statistiken und Zahlen: Ämter und Behörden müssten ihr gesamtes „Wissen“ öffentlich zugänglich machen.
Zu diesem Verständnis, dass Bürger nicht als Bittsteller gegenüber den Behörden auftreten, gehört übrigens auch, dass die vom Steuerzahler mitfinanzierten Parteien maximal transparent agieren müssen.
Der Rechnungshof soll Rechenschaftsberichte der Parteien nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen müssen, sondern Parteien vollinhaltlich prüfen. Wenn Parteien oder deren Funktionäre gegen Regeln verstoßen, werden sie mit Strafen bedroht, um der echten Transparenz zum Durchbruch zu verhelfen.
4. Unser Außenbild würde sich ändern, Europa würde auf Österreich schauen – und zwar nicht skeptisch wie bisher wegen der FPÖ, sondern vielleicht sogar neidisch. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Sebastian Kurz und das Führungsteam der Volkspartei damit spekulieren, mit einer türkis-grünen Bundesregierung international eine Vorreiterrolle einzunehmen. Immerhin sind Klima- und Umweltschutz europaweit die Themen. Die Frage ist nur: Ist das realistisch – oder ein heillos überzogenes Vorhaben?
Geht es nach Philipp Sälhoff, dem Chef des in Berlin ansässigen Think Tanks Polisphere, ist die Hoffnung durchaus berechtigt. „Die politische Situation in Österreich wird aus deutscher Perspektive grundsätzlich sehr aufmerksam verfolgt“, sagt Sälhoff zum KURIER. Laut Sälhoff gibt es in Europa Platz und Bedarf für avantgardistische Regierungen. Der Erfolg von Sebastian Kurz mache ihn nicht nur für die konservative Parteifamilie Deutschlands, sondern parteiübergreifend für Politiker in ganz Europa interessant. Anders gesagt: Gelänge ÖVP und Grünen eine prononcierte Umweltpolitik, würde das im Ausland positiv wahrgenommen werden.
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