Fiedler sieht "Richtschnur" für andere Prozesse

APA10972792-2 - 14012013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Der Angeklagte Ernst Strasser, sein Verteidiger Thomas Kralik sowie Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna nach der Urteilsverkündung am Montag, 14. Jänner 2013, am Straflandesgericht Wien. Der frühere Innenminister Ernst Strasser ist wegen Bestechlichkeit (§304 StGB) zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Vier Jahre Haft: Für den Ex-RH-Präsidenten ein richtungsweisendes Urteil, für Strassers Verteidiger „exorbitant hoch“.

Am Donnerstag steht das Urteil im Prozess gegen Alfons Mensdorff-Pouilly bevor, in näherer Zukunft werden die Causen Telekom und BUWOG vor Gericht aufgerollt – und dies alles unter dem Eindruck des am Dienstag ergangenen Urteils im Prozess gegen Ernst Strasser. Vier Jahre Haft hat Richter Georg Olschak dem Ex-Innenminister aufgebrummt (nicht rechtskräftig); unbedingt und ohne die Möglichkeit, die Strafe mittels elektronischer Fußfessel im Hausarrest abzusitzen.

Fiedler sieht "Richtschnur" für andere Prozesse
„Wenn die Korruption ganz oben beginnt, dann besteht für die Justiz Handlungsbedarf“, begründete Richter Georg Olschak sein hartes Urteil – und ein gerechtes, wie Franz Fiedler, ehemals Präsident des Rechnungshofes und jetzt Chef von Transparency International Österreich, imÖ1-Interviewsagt. „Strasser ist nicht der Sündenbock. Das Gericht hat das Urteil plausibel begründet.“ Die Strafe sei eine „Richtschnur für andere Prozesse“ und solle auch potenzielle Nachahmungstäter abschrecken – etwas, was Olschak auch in seiner Begründung erwähnt hat.

In dieser hat er auch die „unverschämte Offenkundigkeit“ von Strassers Verhalten betont: Die Geheimdienst-Version, die Strasser als Verteidigung vorbrachte, gehöre "zum Abenteuerlichsten, was mir in meinen 20 Jahren meiner Laufbahn untergekommen ist", sagte der Richter. „In Österreich werden Sie niemanden finden, der dies glaubt."

„Exorbitant hoch“

Für den Verteidiger Strassers, Thomas Kralik, sieht dies naturgemäß anders aus. „Die Höhe der Strafe hat mich extrem überrascht“, sagte er imORF-Interview. Die Strafe liege „deutlich über der Hälfte der höchstzulässigen Strafe“, was im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen unüblich sei. „Exorbitant hoch“ sei die Strafe sogar, wie Kralik meint - bis zu sieben Jahre wären der mögliche Strafrahmen gewesen. Dies stehe „in überhaupt keiner Relation. Wenn einer ein 15-jähriges Mädchen vergewaltigt, kriegt er beim ersten Mal weniger“, so Kralik zurAPA.

Wie geht es weiter?

Der weitere Weg für Kralik und Strasser hängt nun vorerst davon ab, wie der Richter sein Urteil schriftlich ausfertigt. Strassers Anwalt hat gleich nach der Urteilsverkündung Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt – ob diese greifen kann, „wird sich nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsausfertigung zeigen“, so Kralik.

Die nächste Instanz, in der das ergangene Urteil neu verhandelt werden kann, ist dann der Oberste Gerichtshof. Die Erwartungen in diesem Punkt sind bei den handelnden Personen klarerweise gespalten: „Bei der Strafhöhe bin ich zuversichtlich, dass die in der Instanz deutlich reduziert wird“, meint etwa Kralik. Richter Olschak hingegen zeigte sich am Dienstag überzeugt, dass „dass Strasser in Österreich kein Gericht finden wird, das seiner Verantwortung Glauben schenken wird.“

Der Strafrechtsexperte Helmut Fuchs bezeichnete das Urteil in der ZIB2 allerdings als „problematisch“: So sei etwa der Umstand, dass kein Geld geflossen sei, laut Strafgesetzbuch als „besonderer Milderungsgrund“ zu werten - denn die Tat wurde ja nicht vollendet. Ob die vier Jahre in diesem Fall angemessen seien, werde sich zeigen.

Auch für den Vorstand des Instituts für Strafrecht an der Uni Innsbruck, Klaus Schwaighofer, ist das Urteil im Strasser-Prozess "eindeutig zu hart". Er sieht die Gefahr eines "Prominenten-Malus" vor Gericht - Schwaighofer könnte sich aber vorstellen, dass Strasser in der Berufung mit einer etwas reduzierten, möglicherweise sogar mit einer teilbedingten Haftstrafe davonkommt.

„Sein Fall sorgte europaweit für Aufsehen“

Medien in ganz Europa berichteten am Montag über den Prozess und die Haftstrafe für den einstigen Innenminister: „Austrian ex-MEP Ernst Strasser jailed for bribe-taking (Gefängnisstrafe für Österreichischs Ex-EU-Parlamentarier Ernst Strasser wegen der Annahme von Schmiergeld)“, titelte beispielsweise die britische BBC News.

„Österreichischer Ex-Minister muss vier Jahre ins Gefängnis“, schrieb Spiegel Online – und rief den Lesern in Erinnerung: „Sein Fall sorgte europaweit für Aufsehen“.

Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe über das Verfahren gegen Ernst Strasser – unter dem Titel: „Korruption in Österreich. Ex-Innenminister zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.“

Polit-Reaktionen

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Zahlreiche Reaktionen gab es auch von politischer Seite: Der SPÖ-Delegationschef im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, hält den Strafrahmen von vier Jahren für angemessen. Er meint, das Urteil zeige, dass die österreichische Justiz funktioniere, „unabhängig davon wer angeklagt wird. Das ist durchaus positiv.“ Wahrscheinlich sei in dem Urteil auch ein „sehr hoher generalpräventiver Aspekt“ mit eingeflossen, „was sicher bei dieser eher laxen Handhabung der Dinge nicht schadet“.

Die Grüne EU-Mandatarin Ulrike Lunacek befand, das Urteil gegen Strasser sei „mehr als gerechtfertigt. Damit hat die österreichische Justiz ein richtiges wie wichtiges Zeichen für die Bedeutung von Anstand und Rechtschaffenheit in der Politik gesetzt und der Rechtsstaat wieder an Vertrauen gewonnen.“ Die in den belastenden Videos der Sunday Times-Journalisten gezeigte „Selbstgefälligkeit“ mit der Strasser sich als Lobbyist präsentierte, sei „atemberaubend“, meinte Lunacek.

Vorerst keine Reaktion gab es Montagnachmittag seitens der ÖVP-Europaabgeordneten zur Verurteilung ihres früheren Delegationschefs Ernst Strasser wegen Bestechlichkeit zu vier Jahren unbedingter Haft. Auf Anfrage der APA hieß es vor Beginn der Sitzung des EU-Parlaments in Straßburg, der Nachfolger von Strasser, Othmar Karas, werde sich nicht äußern. Dies sei auch Linie für die anderen EU-Mandatare der ÖVP.

"Wir haben mit Strasser vor zwei Jahren gebrochen"

Die Regierungsmitglieder der ÖVP haben sich am Dienstag vor dem Ministerrat geschlossen einer Beurteilung des - nicht rechtskräftigen - Urteils gegen ihren ehemaligen EU-Mandatar und Innenminister Ernst Strasser verweigert. ÖVP-Chef Vizekanzler Michael Spindelegger machte klar, dass die ÖVP mit Strasser nichts mehr zu tun haben wolle. "Wir haben mit Strasser vor zwei Jahren gebrochen", betonte er. "Er ist nicht mehr Teil unserer Gesinnungsgemeinschaft." Auf die Nachfrage, ob der Ex-Innenminister nicht doch noch Mitglied im ÖAAB sei, erklärte Spindelegger, dass es jedenfalls keine Mitgliedschaft Strassers in der Bundespartei gebe. "Alles andere ist eine Frage der Statuten."

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Für Aufregung innerhalb der Netzgemeinde sorgte überdies ein Posting des grünen BundesratsEfgani Dönmez aus dessen Facebook-Seite- Zitat: "Strasser lernt nach der Urteilsverkündung das System von innen kennen. Ernst, im ernst, bücke dich nie um ein Stück Seife..." (siehe Bild). Vor allem der darin enthaltene homophobe Unterton wurde dem Politiker angekreidet.

Der KURIER-Liveticker aus dem Gerichtssaal zur Nachlese

Zu denken hat die vierjährige unbedingte Freiheitsstrafe für Strasser womöglich vier anderen ehemaligen Spitzen-Politikern gegeben, die wie Strasser dem zweiten Kabinett Wolfgang Schüssel (Februar 2003 bis Jänner 2007) angehört hatten und gegen die ebenfalls Ermittlungen der Justiz anhängig sind.

Der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Ex-Vizekanzler Hubert Gorbach könnten schon demnächst ebenfalls vor Gericht landen. Daneben befinden sich auch Ex-Justizministerin Karin Gastinger und die frühere Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat im Visier der Staatsanwälte.

Karl-Heinz Grasser

Manfred Ainedter, der Verteidiger von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, bezeichnete das Strasser-Urteil am Mittwoch gegenüber der APA als "eine sehr harte, exemplarische Strafe, die sich allerdings im Rahmen dessen abspielt, was möglich war". Für überhöht hält Ainedter die vier Jahre nicht: "Das Gericht hat das hartnäckige Abstreiten jedweden Fehlverhaltens mit dieser drakonischen Strafe belohnt."

Auf die Frage, ob Grasser nun nicht auch mit einer härteren Gangart der Justiz rechnen müsse - immerhin hatte Strasser-Richter Georg Olschak das strenge Urteil unter Bezug auf aktive und ehemalige Politiker mit einer abschreckenden Wirkung auf mögliche Nachahmungstäter begründet - erwiderte Ainedter: "Nein, sicher nicht. Man kann die Fälle nicht vergleichen. Es wird in der BUWOG-Geschichte keine Anklage geben." Angst vor dem Gefängnis habe Grasser jedenfalls keine. "Mein Mandant schläft genau so gut wie vorher", versicherte Ainedter.

Hubert Gorbach

Für Herbert Eichenseder, Doyen der Strafverteidiger-Zunft und Rechtsvertreter von Ex-Vizekanzler Hubert Gorbach, betonte auf APA-Anfrage ebenfalls, sein Mandant zittere nach der Strasser-Verurteilung nicht. Gegen Gorbach wird in der Telekom-Affäre unter anderem deshalb ermittelt, weil er nach seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt von der Telekom 264.000 Euro bekommen haben soll.

"Da ist noch lange nichts entschieden, das Ermittlungsverfahren läuft", stellte Eichenseder dazu fest. Die Strafe im Strasser-Verfahren wollte er nicht kommentieren, hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Bestechlichkeit bemerkte er allerdings: "Das hätte man auch anders sehen können."

Alfons Mensdorff-Pouilly

"Mir erscheint die Strafe zu hoch", bemerkte Harald Schuster, der Anwalt von Alfons Mensdorff-Pouilly, dessen Geldwäsche-Prozess übermorgen, Donnerstag, im Wiener Landesgericht zu Ende gehen dürfte. Strasser habe nach Auffliegen der Affäre "schon alle Ämter und seine Pensionsansprüche verloren. Auch die erlittene Schmach ist abschreckend genug, dass wirklich alle Politiker davon abgeschreckt sind". Für Schuster "hätten zwei Jahre gereicht".

Für Nikolaus Rast, einen weiteren bekannten und zuletzt viel beschäftigten Wiener Strafverteidiger, wären drei Jahre teilbedingt die passende Strafe gewesen: "Das hätte eine ausreichende generalpräventive Außenwirkung gehabt." Immerhin habe Ernst Strasser kein Geld bekommen, gab Rast zu bedenken: "Es muss einen Unterschied machen, ob er einen 100er (gemeint: 100.000 Euro, die Strasser als jährliches Honorar gefordert haben soll, Anm.) nimmt und anbaut oder nicht."

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