Viele Juden in Österreich leben in Angst

"Bei uns ist es noch möglich, jüdische Symbole, also eine Kippa zu tragen", sagt Deutsch.
"Wir spüren speziell den islamischen Antisemitismus", sagt IKG-Präsident Deutsch.

Am 27. Jänner 1945 wurde das Konzentrationslager Ausschwitz befreit, das zum Symbol für das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte wurde. Siebzig Jahre später leben wieder viele Juden in Europa in Angst, sagt Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Und sie verlassen Europa. "Im Jahr 2015 sind zirka 20.000 Juden aus Europa nach Israel ausgewandert. Die meisten - 8.000 - aus Frankreich und eine ähnliche Zahl aus der Ukraine", sagte er am Donnerstag im Gespräch mit der APA in Brüssel.

"Israel-Hass" in Großbritannien

Deutsch nahm zuvor an der Generalversammlung des European Jewish Congress (EJC) in Brüssel teil. In Frankreich seien schon vor den Terroranschlägen in Paris vom November Scheiben jüdischer Geschäfte zerschlagen und Juden tätlich angegriffen worden. Dort sei der Antisemitismus großteils islamistisch motiviert. Am stärksten sei der Antisemitismus in Großbritannien, weil dort viele radikale Muslime lebten und auch sehr viele britische Staatsbürger die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) unterstützten. Es gebe in Großbritannien "bei sehr vielen einen Israel-Hass und auch Boykotte an den Universitäten, wo man Juden nicht mehr möchte", sagte Deutsch. In der Ukraine seien der Krieg, der Antisemitismus und auch die wirtschaftliche Situation Gründe für die Auswanderung.

Juden werden als Zielscheiben ausgewählt - weil sie Juden sind

Israel Ministerpräsident Benjamin Netanyahu beklagte am Dienstag, dass "Juden bedauerlicherweise in Europa und andernorts wieder als Zielscheiben ausgewählt werden - nur, weil sie Juden sind".Es gebe antisemitische Akte gegen einzelne Juden und gegen "den jüdischen Staat" Israel. "Wir spüren speziell den islamischen Antisemitismus bei uns in Österreich", so der IKG-Präsident. "Aber es ist bei weitem Gott sei Dank nicht so, wie es in anderen Ländern ist. Bei uns ist es noch möglich, jüdische Symbole, also eine Kippa zu tragen. In anderen Ländern, Frankreich, Belgien, in Teilen von Deutschland wird den Gemeindemitgliedern nahegelegt, nicht offen jüdische Symbole zu tragen. Das ist natürlich eine Richtung - für uns Juden, aber eigentlich für die gesamte Gesellschaft -, wo etwas nicht stimmt." Aus Österreich seien Juden bisher nur vereinzelt ausgewandert. "Ich kann von einer starken Migration nicht sprechen. Ich bin sehr froh, dass dies nicht der Fall ist", sagte Deutsch.

Spezielle Integrationskurse gefordert

Deutsch verlangte umgehend spezielle Integrationskurse für Flüchtlinge und eine genaue Unterscheidung zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen. "Für Kriegsflüchtlinge darf es keine Obergrenzen geben, für die anderen schon." Es sei sicher nicht die Aufgabe Österreichs und Deutschlands, Wirtschaftsflüchtlinge "auch noch aufzunehmen".

In Österreich habe er bisher keinen Anstieg des Antisemitismus wegen der Migranten aus dem Nahen Osten festgestellt, so Deutsch. "Die Normalität dieser Menschen ist nicht die Normalität, die in unserer Gesellschaft gelebt wird. Ich kann aber noch nicht sagen, dass der Antisemitismus in diesen paar Monaten aufgrund der Flüchtlinge gestiegen ist. Das ist in dieser kurzen Zeit nicht zuzuordnen." Viele Flüchtlinge seien allerdings in ihren Heimatländern durch Schulen und Medien mit antisemitischen Haltungen konfrontiert gewesen. Dies sei "auch nicht in vielen Integrationskursen einfach herausbekommen aus den Köpfen".

Deutsch forderte Spezialkurse, in denen Flüchtlingen die Werte der österreichischen und der europäischen Gesellschaft und eine Haltung gegen den Antisemitismus vermittelt würden. "Die Politik muss sofort mit der Integration beginnen. Ich weiß nicht, ob das wirklich passiert", so der IKG-Präsident. "Wir müssen einfach damit rechnen, dass die Leute, die bei uns sind, auch bleiben. Also muss man ihnen helfen, sich schnellstens zu integrieren." Die Arbeitsmarktlage mache die Situation noch schwieriger, aber Flüchtlinge zu bevorzugen, wäre "sicherlich auch nicht fair".

ÖVP-Becker fordert Aktionsplan gegen Antisemitismus

Deutsch begrüßt die jüngste Anregung des ÖVP-Europaabgeordneten Heinz Becker, einen europäischen Aktionsplan gegen den Antisemitismus zu schaffen. Durch den Rechtsruck in Ungarn und Polen sei noch schwieriger geworden, sagte er. "Juden werden heute in Europa wieder bedroht, sie leben unter Polizeischutz und verlassen unseren Kontinent. Das können wir nicht hinnehmen", sagte Becker. Er ist einer der Vize-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe "Antisemitismus" im Parlament und fordert einen EU-Aktionsplan gegen Antisemitismus sowie eine Richtlinie gegen Hetze und Hass-Reden. Einheitliche EU-Regeln seien nötig, um Hasskriminalität in allen Staaten der EU verfolgen zu können. Er beklagt "die Unterbewertung des Problems im Parlament und in der Öffentlichkeit". Mehrheitlich sei das EU-Parlament "Israel-kritisch".

Was die von der EU beschlossene Kennzeichnungspflicht für Produkte aus Siedlungsgebieten angeht, ist Becker dafür. Österreich sollte dies umsetzen, auch wenn es "eine einseitige Entscheidung ist". Er teilt die Kritik am Siedlungsbau. Aber: " Ich kritisiere den erkennbaren Unterschied des EU-Verhaltens gegenüber Israel im Vergleich mit Saudi-Arabien, Iran, Türkei und China. Es wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen."

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