Verwundbares Österreich: 400 potenzielle Terrorziele

Verwundbares Österreich: 400 potenzielle Terrorziele
400 potenzielle Anschlagsziele: Diese „kritische Infrastruktur“ wurde im Auftrag der EU erforscht. Aus dieser Studie leitet sich ein neuer Auftrag an das Bundesheer ab, das im Falle eines Angriffes den Großteil davon zu schützen hat.

Kommende Woche wird im Innenministerium ein Geheimpapier fertig gestellt. Es listet 400 potenzielle Terrorziele in Österreich auf. Dabei handelt es sich um jene Einrichtungen, die für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens von entscheidender Bedeutung sind. Gleichzeitig wird an einem nationalen Masterplan zum besonderen Schutz dieser Objekte gearbeitet. Dieser Plan wird auch Auswirkungen auf die laufende Wehrpflicht-Debatte haben.

Eine moderne Gesellschaft ist höchst verletzlich: So würde ein Anschlag auf ein bestimmtes Umspannwerk in der Nähe von Wien zu einem großflächigen Stromausfall mit unabsehbaren Folgen führen. Die meisten Wohnungen wären in kurzer Zeit unbewohnbar. In den Kühlhäusern würden die Lebensmittel verrotten, Tankstellen und Bankomaten ausfallen. Auf der Straße würde Chaos herrschen. Das ist eines jener Szenarien, mit denen sich eine Expertengruppe des Bundeskanzleramtes und des Innenministeriums seit nunmehr vier Jahren beschäftigt. Die Beamten durchforsteten alle staatlichen und zivilen Einrichtungen sowie Firmen nach jenen sensiblen Bereichen, die im Falle des Ausfalles überregionale Folgen hätten.

Verletzlichkeit

Der Anstoß kam dazu aus der EU nach dem Terroranschlag in Madrid 2004. Damals stellte sich heraus, dass sich die meisten Staaten keine Gedanken über die Verletzlichkeit ihrer Verkehrs- und Energieversorgungssysteme gemacht hatten.

Österreich fasste im April 2008 einen Ministerratsbeschluss für ein nationales Programm zum Schutz „kritischer Infrastrukturen“ (APCIP). Es wurde eine Steuerungsgruppe im Bundeskanzleramt und im Innenministerium eingerichtet.

Im Kapitel „Daseinsvorsorge“ geht es vor allem um die Aufrechterhaltung der Wasserversorgung, Lebensmittel- und Energieversorgung, der öffentlichen Sicherheit, der medizinischen Versorgung und der Verkehrs- und Informationsinfrastruktur.

Im Kapitel „Wirtschaftsstandort“ finden sich Bereiche wie IKT-Anbindung, Marktpotenziale und Forschung.

Diese ACI-Liste (Austrian Critical Infrastructure) ist streng geheim. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass natürlich auch der Gasverteilungsknoten Baumgarten östlich von Wien dazugehört. Denn von dort wird nicht nur Österreich mit Erdgas beliefert, sondern auch große Teile Deutschlands. Natürlich gehören auch die Stromversorgungsanlagen dazu.

Aus rein nationaler Sicht ist beispielsweise auch die Wiener Hochquellenwasserleitung ein besonders schützenswertes Objekt. Terroristische Angriffsmöglichkeiten reichen vom Sprengen bis zum Vergiften.

Informationen über potenzielle Angriffsziele können sich Terroristen aus dem Internet holen. Ein Blick auf die Karten der Energieverteiler genügt.

Neben Pipelines, Erdölraffinerie, Telekommunikationseinrichtungen und Rechenzentren haben auch spezielle Firmen überregionale Bedeutung. Etwa jener Pharma-Hersteller in Wien, der als Einziger in der EU in der Lage ist, einen bestimmten Impfstoff zu produzieren.

Kurt Hager, Leiter des Büros für Sicherheitspolitik: „Es wurden nun an die 400 strategische Betriebe in Österreich identifiziert, die kritische Infrastrukturen betreiben.“

Militärische Aufgaben

Ein Schwerpunkt des staatlichen Krisenmanagements ist es, gemeinsam mit den Firmen die erforderlichen Sicherheitsstandards zu schaffen. Parallel dazu entstand ein weiteres Dossier mit den militärischen Anforderungen. Beispielsweise zeigten die Anschläge in Norwegen im Juli 2011 auf, dass in einem solchen Fall die personellen Ressourcen der Exekutive sehr rasch aufgebraucht sind. Da die Verantwortlichen nicht wissen konnten, ob noch weitere Anschläge drohen, wurden zentrale Einrichtungen wie Parlament und Regierungsgebäude von Soldaten bewacht. Auch bei den Terroranschlägen in Madrid und London mussten Soldaten für Überwachungsaufgaben und zur Bewältigung der Folgen eingesetzt werden.

„Erst jüngst wurden 400 strategische Betriebe in Österreich identifiziert.“

Es gilt als wahrscheinlich, dass auch in Österreich bei einem derartigen Anschlag das Bundesheer benötigt wird. Wilhelm Sandrisser von der Abteilung Sicherheitspolitik, Internationales, EU, Öffentlichkeitsarbeit: „Für den Schutz der kritischen Infrastruktur muss auch mit Assistenzleistungen vorgesorgt werden.“ Im Papier des Innenministeriums werden daher auch unterschiedliche Einsatzszenarien für das Bundesheer aufgelistet. Wie viele Soldaten im Anlassfall gebraucht werden, will noch niemand sagen. Verfassungsschutzdirektor Peter Gridling lässt nur durchblicken: „Bisher gingen wir davon aus, dass 2500 Soldaten für den Objektschutz zur Verfügung stehen. Künftig könnten wir mehr gebrauchen.“

Vergleichbare Übungen in der Schweiz, etwa zum Schutz des Flughafens Zürich, zeigen einen Bedarf von etwa 5000 Soldaten. Bei einem länger dauernden Einsatz müssen diese aber auch wieder abgelöst werden, was den Truppenbedarf verdreifachen kann.

Damit bekommt das Papier innenpolitische Relevanz. Denn das Berufsarmee-Modell von Verteidigungsminister Norbert Darabos sieht etwa 15.000 Zeit- und Berufssoldaten vor. Generalstabschef Edmund Entacher errechnete aber, dass aus dieser Truppe weniger als 3000 Soldaten für Inlandseinsätze zur Verfügung stünden. Der Rest wäre gebunden im Auslandseinsatz, bei den Luftstreitkräften und in der Berufsweiterbildung. Die Wehrpflichtigenarmee könne hingegen ein Mehrfaches aufbieten.

Soziale Fähigkeiten

Klare Ableitungen zugunsten der Wehrpflicht liefert das BMI-Papier auch bezüglich der nötigen Qualifikation der Objektschutz-Soldaten: „Bei Soldatinnen und Soldaten, die Assistenzleistungen erbringen, sind grundsätzlich nicht harte militärische Fähigkeiten für herkömmliche militärische Einsätze gefordert. Vielmehr geht es um eine Kombination aus militärischen Grundfähigkeiten sowie unterschiedlichem zivilem Know-how und soziale Fähigkeiten.“

Im Klartext: Für die notwendigen Wach- und Sicherungsdienste werden nicht hochspezialisierte Krieger benötigt, sondern einfache Soldaten. Etwa jene Rekruten, die nach drei Monaten Ausbildungszeit mit dem Sturmgewehr zur Grenzüberwachung geschickt wurden. Die braucht man aber in hoher Zahl. Auch vor dem Parlament in Oslo standen einfache Rekruten mit Stahlhelm und Sturmgewehr.

Im Verteidigungsministerium gibt es eine Gruppe von Milizsoldaten, die sich auf die Energieversorger spezialisiert hat. Seit geraumer Zeit werden auch groß angelegte Übungen zum Schutz der kritischen Infrastruktur durchgeführt. Dabei wird mit der Exekutive gemeinsam das Durchsuchen von Personen und Pkw geübt, sowie das Einrichten und Betreiben von Checkpoints.

Verwundbares Österreich: 400 potenzielle Terrorziele

 

Begriffsdefinition: "Kritische Infrastrukturen" sind jene Infrastrukturen oder Teile davon, die eine wesentliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen haben. Ihre Störung oder Zerstörung hat schwerwiegende Auswirkungen auf Gesundheit, Sicherheit oder das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bevölkerung oder die effektive Funktionsweise von staatlichen Einrichtungen. Zur „kritischen Infrastruktur“ zählen

• Energieanlagen und -netze, Wasseranlagen
• Verkehr und Transport
• Kommunikationseinrichtungen und Informationstechnologien
• Finanzwesen
• Lebensmittelversorgung
• Staatliche Einrichtungen und öffentliche Sicherheit
Chemische Industrie und Forschungseinrichtungen
• Gesundheitswesen
 

Internationaler Terror Auf den Einsatz österreichischer Soldaten im Rahmen einer UNO- oder NATO-geführten Intervention könnten die betroffenen Machthaber mit Terror reagieren. Schon der Einsatz von vier österreichischen Verbindungsoffizieren in Afghanistan hat zu massiven Drohungen aus dem El-Kaida-Netzwerk gegen die Regierung geführt.

Nationaler Terror Es gibt zwar derzeit nach Erkenntnis des Verfassungsschutzes keine aktuelle Terrorgefahr aus dem Inland. Aber Einzeltäter nach dem Vorbild des Norwegers Anders Behring Breivik hält der Verfassungsschutz auch in Österreich für möglich. Erst vor wenigen Wochen verhaftete die polnische Polizei einen 45-jährigen Mann, der das Unterhaus sprengen wollte.

Entführungen, riesige Landesteile außer Kontrolle der Zentralregierungen, Aufstände, Kämpfe. Der Arabische Frühling strahlt aus in die Sahara. Und darüber hinaus. Doch ist es in den entlegenen Gebieten in Süd-Libyen, Niger oder Mali keinesfalls die Freiheit-suchende Internetgeneration – egal welchen Couleurs –, die aufbegehrt. Das Machtvakuum und die Unruhe, die deren Aufstände entlang der afrikanischen Mittelmeerküste mit sich brachten, haben dort bewaffnete Islamisten gefüllt.

In einem Bericht des European Monitoring Center for Organized Crime (OPCO) ist gar von einem drohenden Kollaps der gesamten Region die Rede. Das Gebiet stelle bereits jetzt eine größeren Gefahr für Europa dar, als Afghanistan, so die Einschätzung von OPCO, einem Thinktank, der der US-Regierung nahe steht.

Schon jetzt würden, wie bisher in Pakistan, in der Sahel-Zone mehr und mehr Europäer in Lagern islamistischer Gruppen mit Kontakt zur El Kaida ausgebildet. Und ausgegangen wird auch davon, dass sie versuchen werden, ihre Expertise später in Europa anzuwenden.

Akut betroffen vom drohenden Zerfall staatlicher Strukturen sind laut OPCO vor allem Mali, wo bereits mehr als die Hälfte des Staatsgebiets von Dschihadisten kontrolliert wird, Niger, Mauretanien und Libyen. Und in diesen Sog gezogen werden auch Länder wie Marokko, wo seit Wochen eine bisher unbekannte Salafisten-Gruppe plötzlich sichtbar und selbstbewusst agitiert und demonstriert. Marokkanische Behörden gehen davon aus, dass sich die Gruppe Ansar Al-Sharia dabei im Reigen extremistischer Organisationen in der Region vor allem mit der Rekrutierung von Kämpfern für Mali hervor tut.

Kidnapping-Business

Es ist ein finanziell äußerst gut gepolstertes Netzwerk, dass da aktiv ist. Vor allem über Entführungen nahmen Gruppen im Niger , Mali oder Mauretanien zumindest zweistellige Millionensummen ein. In einem Telefoninterview mit der New York Times sagte Oumar Ould Hamaha, ein für seine Medienaffinität bekannter Kommandant, der der El Kaida im Maghreb zugerechnet wird: „Viele westliche Länder zahlen enorme Summen an Dschihadisten“, und meint Lösegelder für entführte Landsleute. Und weiter: „Unsere Finanzquelle sind westliche Länder. Sie zahlen für den Dschihad.“

Die El Kaida im Maghreb ist nur eine der islamistischen Gruppen, die derzeit den Norden Malis besetzt halten. Hamaha wird dabei aber als übergreifender Kommandant über alle relevanten Fraktionen gehandelt.

Entführungen gehören zu ihrem Tagesgeschäft. Dabei suchen die Täter gezielt westliche Opfer, da die höhere Preise erzielen. Und die steigen. 2010 brachte eine Geisel 4,5 Mio. Dollar. 2011 waren es bereits 5,4 Mio..

Alleine die El Kaida im Maghreb soll in den vergangenen zehn Jahren 90 Mio. Dollar Lösegeld erhalten haben. Sie hat sich dadurch zur best ausgerüsteten Extremistengruppe in der Region entwickelt. Aber an Waffen mangelt es auch anderen Gruppen nicht. Durch den Krieg in Libyen wurde die gesamte Sahel-Zone mit billige Waffen geradezu überschwemmt.

Geiseln bringen aber auch Schutz. Gegenwärtig sind 10 Europäer und 3 Algerier in der Gewalt der El Kaida im Maghreb. Und Hamaha sagt: Beim ersten Militärschlag gegen den besetzten Norden Malis würden ihnen sofort die Hälse durchgeschnitten wie Hühnern.
 

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