Wo die Kirche den Staat abhängt

Ein Kreuz
Politik von innen: Die Geistlichkeit will nicht auf Pump leben. Mithilfe von Managementberatern wird abgespeckt.

Was haben der österreichische Staatsapparat und die katholische Kirche gemeinsam?

Beiden geht das Geld aus, sie müssen sparen.

Was unterscheidet die Kirche vom Staat?

Die Kirche befindet sich mitten in der Umsetzung einer tiefgreifenden Verwaltungsreform. Beim Staat ist noch kein Beginn einer Staatsreform absehbar.

Während die Regierung an einem läppischen Problem wie der Abschaffung von drei Militärmusik-Kapellen scheitert, gehen in der Erzdiözese Wien gerade mehr als die Hälfte ihrer 656 Pfarren in größeren Einheiten auf. Angesichts ihres verkorksten Umgangs mit Frauengleichberechtigung und Sexualität kaum zu glauben: Die Kirche ist bei der organisatorischen Anpassung an neue Verhältnisse tatsächlich schneller als der Staat.

Beispiel Erzdiözese Wien

Gut beobachten lässt sich die laufende Kirchen-Organisationsreform in der Erzdiözese Wien. Im städtischen Ballungsraum geht, auch wegen der Zuwanderung, der sozio-demografische Wandel schneller vor sich als anderswo. Die Zahl der Katholiken sinkt und somit die Zahl der Beitragszahler. Andererseits gibt es althergebrachte Strukturen und emotionale Bindungen von Gläubigen an ihre Pfarrkirche oder ihren Seelsorger, die sich nicht wegrationalisieren lassen.

Traditionen, Emotionen und noch etwas anderes haben kirchliche und staatliche Organisationen gemeinsam: Sobald etwas abgeschafft werden soll, sind viele plötzlich gegen die Abschaffung, die sich vorher nie drum geschert haben. Wird eine örtliche Kirche zugesperrt, sind oft Leute darüber aufgebracht, die seit Jahrzehnten keine Messe besucht haben.

Der KURIER recherchierte, wie die Erzdiözese Wien ihre Verwaltungsreform durchzieht.

Für die Wiener Kirchenoberen war Sparen lange Zeit kein Thema. Im Gegenteil. Die Kirchenbeiträge stiegen – weil sie an das Einkommen der Gläubigen gekoppelt sind – mit dem Wirtschaftswachstum. "Wir konnten alle guten Ideen verwirklichen", sagt Michael Prüller, Sprecher der Erzdiözese.

Der Ideen gab es viele, und mit deren Verwirklichung wuchs der Apparat. In 656 Pfarren der Erzdiözese wurde nicht nur geografisch, sondern auch gruppenspezifisch ein Vollprogramm geboten: Jugendliche, Arme, Alte, Ausländer, Obdachlosen – alle erhielten sie maßgeschneiderte Seelsorge.

Etwa vor zwanzig Jahren wurde erkennbar, dass sich die Rechnung auf Dauer nicht ausgehen würde. Doch es dauerte noch eine Weile, bis sich die Kirche in irdische Zwänge fügte. Prüller: "Es gab welche, die meinten, das mit dem Sparen sei nicht so ernst, das sei nur Theaterdonner." Schließlich rang sich die Kirche dazu durch, der Zukunft ins Auge zu blicken. Eine Studie wurde in Auftrag gegeben, die versicherungsmathematisch ausrechnete, wie sich die Zahl der Gläubigen und der Kirchenbeitrag entwickeln würden. Das Ergebnis beraubte die Geistlichen letzter Zweifel an irdischen Endlichkeiten: Die Einnahmen würden zwar nominell eine Zeit lang weiterwachsen, so das Ergebnis der Studie, sie würden aber die realen Kostensteigerungen des Seelsorgebetriebs nicht mehr abdecken. In anderen Worten: Würden die Kosten nicht gesenkt, müsse die Kirche Schulden machen. Anders als der Staat entschied sich die Kirche gegen ein Dasein auf Pump.

Management-Berater für die Kirche

Die Kleriker holten sich professionelle Unterstützung von zwei Management-Beratungsunternehmen. Deloitte wurde für die Zentralstellen der Erzdiözese engagiert. Die Beratergruppe Neuwaldegg begleitete den vergleichsweise schwierigeren Prozess der Strukturreformen an der Basis. Deloitte begann vor einem Jahr, die zentralen Dienststellen der Erzdiözese, die für Personal, Immobilien und Finanzen zuständig sind, zu durchleuchten. Das von Deloitte empfohlene Kostensenkungsprogramm ist in Umsetzung, die Erzdiözese verordnete ihren mehr als 30 Abteilungen ein Kostensenkungsprogramm über die nächsten zehn Jahre.

Viel sensibler ist die Situation in den Pfarren. Es sind 656 an der Zahl, mit insgesamt mehr als 1000 Kirchen und Kapellen. Der "Chef" ist jeweils ein Pfarrer, je nach Anzahl der Gläubigen unterstützen ihn andere Priester, Diakone und Pastoralassistenten bei der Seelsorge. Dazu kommen Aufgaben im Pfarrleben wie Chorproben, Pfarrgemeinderatssitzungen, Ausschüsse, Feste, etc.

Ein entscheidender Unterschied zum Staat ist, dass die Kirche mangels Attraktivität des zölibatären Lebens keinen Aufnahme-Stopp verhängen muss. Das Ergebnis ist ähnlich wie beim staatlichen Dienstposten-Kürzen: Viele im Laufe der Jahrzehnte eingeführte Aufgaben verteilen sich auf immer weniger Personal. In jeder Pfarre gibt es einen Liturgieausschuss, einen Bauausschuss, einen Finanzausschuss, einen Öffentlichkeitsausschuss. Und das allein in der Erzdiözese Wien mal 656 (!). Prüller: "Wir versuchen, die Reform auch dahingehend zu nutzen, dass die Priester wieder weniger in Ausschüssen sitzen und sich mehr der Seelsorge widmen können."

Dazu unterzieht sich die Erzdiözese Wien gerade einer Aufgabenkritik – in Aberhunderten Gesprächen mit dem Basispersonal, seien es Geistliche oder Laien.

Zusätzlich macht sie eine Strukturreform. Die 656 Pfarren sollen sich zu weniger als 300 zusammen schließen. "Wir sperren nichts zu, sondern wir eröffnen größere Räume, wo Katholiken lebendige Gemeinden bilden", sagt Prüller.

Konzept "Neustarts statt Zusperrens"

Das Konzept des "Neustarts statt Zusperrens" bewährt sich übrigens auch bei den Gemeindezusammenlegungen in der Steiermark. Von den Reformprozessen dort wird berichtet, dass die lokalen Politiker nach anfänglichem Protest über das Abschaffen von Kleinstrukturen die positive Seite entdeckten, nämlich, dass sich ihnen in größeren Gemeinden mehr Gestaltungsspielraum eröffnet.

Die Kirche spart auch, indem sie nicht mehr benötigte Immobilien "privatisiert". Das bringt Verkaufserlöse und spart Renovierungskosten. Beim Abverkauf von Pfarrhöfen gibt es abgesehen von Denkmalschutz-Auflagen keine speziellen Probleme.

Haarig wird es aber bei der Verwertung von geweihten Häusern. Bis jetzt hatte die katholische Kirche in Wien das Glück im Unglück, dass die Zuwanderung viele neue Christen ins Land brachte. Nicht mehr gebrauchte katholische Kirchen konnten an christliche Schwesterkirchen wie die serbisch-, syrisch- oder rumänisch-orthodoxe verkauft werden. Die geweihten Gebäude bleiben christliche Gotteshäuser, eine Kirche behielt sogar eine katholische Kapelle in einer Seitenkapelle, um die örtlichen Katholiken nicht ihrer gewohnten Betstätte zu berauben.

Profane Anfragen, ob man eine Kirche für eine Disco oder ein Einkaufszentrum kaufen könne, wie in England vereinzelt geschehen, gab es in Österreich noch nicht. Nur ein Fotograf wollte einmal eine Kirche in eine Ausstellungshalle verwandeln.

Wie würde die Kirche entscheiden, wenn sie vor die Wahl einer Nachnutzung als Disco (Entweihung) oder als Moschee (andersgläubig, aber immerhin Gotteshaus) stünde? Prüller: "Das ist eine sehr sensible Frage, mit der wir uns noch nicht auseinandersetzen mussten." Nachsatz: "Gott sei Dank."

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