Erstmals zwei Blinde als Richter

Harald Perl , Michael Sachs , Alexander Niederwimmer , Gerhard Hollerer.
Ab 2014 im Einsatz. Gerichtspräsident sieht "historischen Schritt und Signal für Normalität".

Die beiden Juristen haben einen Schritt vorwärts gewagt, sich beworben, einem Auswahlverfahren gestellt – und hatten schließlich gegenüber vielen Kandidaten die Nase vorne: Gerhard Höllerer (45), Beamter im Wissenschaftsministerium und Alexander Niederwimmer (46), Polizeijurist in Oberösterreich, werden die ersten blinden Richter Österreichs sein.

Sie zählen zu jenen Richtern, die am Bundesverwaltungsgericht ab 2014 über Berufungen gegen Entscheidungen von Behörden urteilen werden.

Dass sie ernannt wurden, konnten beide, wie sie erzählen, erst gar nicht glauben. Niederwimmer: „Ich war fassungslos.“

Zweifel beseitigt

Am Bundesverwaltungsgericht wird mit der Personalwahl Neuland betreten. Eine Arbeitsgruppe habe sich im Vorfeld mit dem Einsatz blinder Richter und dem nötigen Arbeitsumfeld beschäftigt. Fazit laut Gerichtspräsident Harald Perl: „Alle Zweifel sind unangebracht. Wir konnten einen historischen Schritt setzen und signalisieren damit Normalität.“

Das Signal geht in Richtung Justizministerium. Blinde sind vom Richteramt im Zivil- oder Strafrecht ausgeschlossen. Es gibt Zweifel, dass Blinde – wie laut Gesetz vorgesehen – die „uneingeschränkte Fähigkeit zu unmittelbarer eigener Wahrnehmung“ haben. Zudem müsse ein Richter die Vorgänge in einem Verhandlungssaal genau beobachten können, ob etwa jemand versucht, Zeugen durch optische Signale zu beeinflussen – Sitzungspolizei wird das genannt. Diese Aufgaben könnten auch nicht von Hilfskräften übernommen werden, heißt es im Ministerium.

Der langjährige Polizeijurist Niederwimmer kann diesen Argumenten nichts abgewinnen. „Ich habe selbst Lokalaugenscheine gemacht und Einsätze geleitet. Aus all dem, was Kriminalbeamte, Erkennungsdienst und Amtsarzt ermitteln, mache ich mir ein Bild. Ich entscheide nicht als Sehender, sondern als Rechtskundiger.“ Höllerer, Vize-Chef der Ombudsstelle für Studierende im Wissenschaftsministerium, ergänzt: „Richter setzen zu 99,9 Prozent Sachverständige ein.“

Welche Sachbereiche die beiden übernehmen, wird erst entschieden. Probleme, den neuen Job auszuüben, gebe es nicht. So können Akten heute eingescannt und über die digitale Sprachausgabe vorgelesen werden. Hard- und Software werden den Bedürfnissen angepasst – ihre Computer werden mit einer zusätzlichen Zeile in Braille-Schrift versehen. Auch ein Assistent wird jedem zur Seite gestellt. Beide Juristen waren nicht von Geburt an blind. Sie haben ihr Sehvermögen durch Unfälle verloren.

Behindertenanwalt Erwin Buchinger freut sich über die Ernennungen. „Jetzt gibt es die Chance, in der Praxis zu beweisen, dass die Vorbehalte gegenüber blinden Richtern nicht fundiert sind und es auch bald Richter in Zivilrechtsverfahren geben wird.“

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