Der Alltag des "little guy" in den USA

Putztrupp im Finanzdistrikt fordert fairen Lohn.
Die Amerikaner schuften, haben aber immer weniger davon.

Der "kleine Mann", das beliebteste Referenzsubjekt österreichischer Politiker, geistert auch durch den amerikanischen Wahlkampf. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich ein Milliardär und eine Millionärin darum balgen, wer den "little guy" im Weißen Haus besser vertreten würde. "Es gibt den Mythos, Donald Trump würde im Grunde seines Herzens auf der Seite des kleines Mannes sein. Glauben Sie das nicht", rief Hillary Clinton unlängst bei einem Wahlkampfauftritt ihrem Publikum zu. In Wahrheit plane Trump "Steuergeschenke für Reiche wie ihn". Die wahren Vertreter der "hart arbeitenden Amerikaner" seien die Demokraten, sagte Clinton.

Statistik trügt

Arbeitsmarkt und Löhne sind zentrale Themen im US-Wahlkampf, obwohl mit nur 4,9 Prozent Arbeitslosigkeit statistisch nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Viele Leute haben dennoch das Gefühl, dass es abwärts geht.

Auch diese Unsicherheit lässt sich durch Fakten belegen: Seit Jahren steigen die Lebenshaltungskosten stärker als die Haushaltseinkommen. Und wer den Job verliert, muss aufpassen, nicht vollends aus der Bahn geworfen zu werden. Das hat auch mit der verbreiteten Praxis der Privatverschuldung zu tun.

Melissa, studierte Agrarökonomin, hat zuletzt bei einer großen Versicherung gearbeitet. Im Zuge eines Sparprogramms wurde sie entlassen. Nun verkauft sie in einem Shoppingcenter in Philadelphia Take-away-Kaffee. "Ich muss Geld machen, sonst kann ich die Hypothek auf meiner Wohnung nicht bedienen und müsste ausziehen", sagt sie. Inzwischen schickt sie laufend Bewerbungsschreiben ab. "Es wird sich wieder etwas Besseres ergeben, das meiner Ausbildung entspricht", sagt Melissa optimistisch.

Diese Einstellung der Mitt-Dreißigerin ist typisch. Viele Amerikaner finden nichts dabei, irgendwelche Arbeiten anzunehmen, um sich über Wasser zu halten. Egal, womit.

"Hart arbeiten" zählt zu den nationalen Tugenden. Urlaub? Maximal zwei bezahlte Wochen pro Jahr. Pension? Arbeiten bis über 70 ist normal. Viele Amerikaner gehen auch nicht nur einem, sondern mehreren Jobs gleichzeitig nach. Wenn ein Job zusammenbricht, gibt’s dann immer noch eine andere Geldquelle. Und ständig wird nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, womit man Geld machen könnte. Saphin zum Beispiel hat einen Van in ein mobiles Autowasch-Service umgebaut. In Los Angeles, wo es mehr Autos als Menschen gibt, verdient Saphin damit Geld, dass er auf Bestellung auf dem Parkplatz das Auto poliert, während dessen Besitzer seiner Büroarbeit nachgeht. Gleichzeitig betreibt Saphin noch ein Limousinenservice für Touristen, er hilft als Barkeeper aus und fährt Uber. "Ich habe mir seit 2007 keinen freien Tag genommen. Was sollte ich auch zu Hause tun? Es wäre mir nur fad", sagt Saphin.

Leben auf Pump

Zum ständigen Geldauftreiben zwingt auch das Leben auf Pump: Hypothek auf dem Haus, das Auto auf Raten, das Studium auf Kredit und Alltags-Konsum über Kreditkartenschulden. Das Finanzportal Nerdwallet dokumentierte kürzlich die privaten Finanzverhältnisse der "little guys". Demnach standen die US-Haushalte (exklusive der gänzlich schuldenfreien) 2015 mit durchschnittlich 118.000 € (132.000 Dollar) in der Kreide. Davon entfielen auf Kreditkarten 13.700 €, auf Hypotheken 153.600 € , auf Auto-Kredite 24.300 € und auf Studentenkredite 43.800 €. Laut Süddeutscher Zeitung sind die US-Bürger gesamt mit 12.000 Milliarden Dollar verschuldet.

Das durchschnittliche US-Haushaltseinkommen betrug 67.560 €, neun Prozent des Einkommens gingen nur für Zinszahlungen drauf. Wobei die Kreditkarten-Schulden mit bis zu 18 Prozent Zinsen besonders teuer sind (anders als in Österreich müssen in den USA Kreditkartenschulden nicht monatlich getilgt werden, sondern können angehäuft werden).

Nerdwallet dokumentierte auch, dass sich das Schuften nicht entsprechend lohnt. Trotz der Plackerei laufen die Einkommen der Haushalte deren Ausgaben hinterher: Das Medianhaushalts-Einkommen ist seit 2003 um 26 Prozent gestiegen, die Lebenskosten jedoch um 29 Prozent, wobei Manches besonders teuer wurde: die Gesundheitskosten schnellten im selben Zeitraum um 51 Prozent, die Lebensmittelpreise um 37 Prozent in die Höhe.

"Share your wealth"

Auf der anderen Seite werden Reiche reicher, und es gibt auch immer mehr von ihnen. "Share your wealth", hallte es kürzlich durch den mondänen Finanzdistrikt von San Francisco. Das Putzpersonal versammelte sich zu einer Demonstration. Während die Bankmanager in den prunkvollen Glastürmen Millionengagen kassieren, muss das Putzpersonal sechs Monate lang in Vollzeit schrubben, bis es eine Krankenversicherung erhält. Manche Arbeitgeber drücken das Personal auf siebeneinhalb Stunden am Tag, um die Vollzeitgrenze zu unterschreiten und die Leute um die Sozialversicherung zu prellen. "Diese Hände putzen dein Büro", "diese Hände putzen dein Klo", rief die aufgebrachte Menge.

Gering ist die Bezahlung auch im Gastgewerbe. Die Kunden sind genötigt, 15 bis 20 Prozent Service-Aufschlag zu bezahlen, damit das Servierpersonal etwas verdient. Ein Burger und ein Bier kostet dann statt der angeschriebenen 25 Dollar mit Trinkgeld und lokaler Steuer letztlich mehr als 30 Dollar (27 €)

Fürstlich sind für den little guy nur die Rechnungen.

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