Vier Jahre Haft für Ernst Strasser

APA10964876-2 - 14012013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Der Angeklagte Ernst Strasser zu Beginn des Prozesstages am Montag, 14. Jänner 2013, am Straflandesgericht Wien. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wirft dem 56-jährigen Grieskirchner Bestechlichkeit vor. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Gericht begründet strenges Urteil für Ex-Innenminister mit Abschreckung – nicht rechtskräftig.

Der erste Satz, den die britische Aufdeckungsjournalistin Claire Newell nach den Angaben zur Person als Zeugin von sich gab, saß gleich. Auf die Frage, warum man sich im EU-Parlament ausgerechnet Ernst Strasser ausgesucht hatte, um ihm eine (Korruptions-)Falle zu stellen, antwortete die 31-Jährige: „Sein Ruf war fraglich.“

Nicht nur der ist jetzt endgültig hin. Der einstige ÖVP-Innenminister wurde am Montag nicht rechtskräftig zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Er verzog keine Miene und legte volle Berufung ein. Richter Georg Olschak begründete die Strafe mit dem hohen Amt, das Strasser missbraucht hat. Es sei ein Unterschied, ob ein kleiner Gemeinderat oder ein Mitglied des EU-Parlaments „cash for law“ (Geld für die Beeinflussung von Gesetzen) nehme. „Wenn die Korruption ganz oben beginnt“, bestehe für die Justiz „akuter Handlungsbedarf.“ Wenige Menschen hätten dem Ansehen Österreichs so viel Schaden zugefügt. Deshalb die Höhe der Strafe, durch die eine Verbüßung mit Fußfessel im Hausarrest ausgeschlossen ist – aus generalpräventiven Gründen.

Der KURIER Liveticker aus dem Gerichtssaal zur Nachlese

Der tiefe Fall eines Karrieristen

Vier Jahre Haft für Ernst Strasser

STRASSER-PROZESS AM LANDESGERICHT WIEN: STRASSER
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Der letzte Prozesstag hatte mit einer Retourkutsche begonnen. Der Verteidiger des wegen Bestechlichkeit angeklagten ehemaligen ÖVP-Innenministers Ernst Strasser, Thomas Kralik, hatte sich einem ZiB-Interview abfällig über „diese Bananenrepublik“ geäußert. „Die Organe dieser ,Bananenrepublik‘ waren am Wochenende nicht untätig“, erklärte Richter Georg Olschak am Montag. Sie haben 400 mitgeschnittene Telefonate Strassers abgetippt, wie vom Anwalt verlangt. Damit war eine Vertagung vom Tisch.

Zwei Kameras

Zwei Mal stand der Plan, ein Urteil zu fällen, noch auf der Kippe: Schon das erste Treffen von Claire Newell mit Strasser in dessen Büro am 30. Juni 2010 war heimlich mitgefilmt worden, doch fehlt dem Gericht das Video. Prompt verlangte Verteidiger Thomas Kralik die Beischaffung und Abschrift. Außerdem erfuhr man, dass eine Zusammenkunft von Newell und ihrem Sunday Times-Kollegen Jonathan Calvert mit Strasser von zwei Knopflochkameras aufgenommen worden war. Von der akustisch verständlicheren Version war eine im Prozess gezeigte DVD angefertigt worden. Kralik forderte auch die zweite Filmaufnahme und eine Video-Analyse. Richter Olschak und seine beiden Schöffen (alle drei entschieden gemeinsam über Schuld und Strafhöhe) wiesen die Beweisanträge ab: Selbst wenn der Film aus zwei Aufnahmen zusammengeschnitten sein sollte, ändere sich nichts an der Bedeutung.

Vier Jahre Haft für Ernst Strasser
APA10972792-2 - 14012013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Der Angeklagte Ernst Strasser, sein Verteidiger Thomas Kralik sowie Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna nach der Urteilsverkündung am Montag, 14. Jänner 2013, am Straflandesgericht Wien. Der frühere Innenminister Ernst Strasser ist wegen Bestechlichkeit (§304 StGB) zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER

Die Videokonferenz mit den Journalisten zwischen Wiener Landesgericht und London wurde auf Ersuchen der Zeugen (die weiter als Undercover-Reporter arbeiten wollen) so gestaltet, dass ihnen nur das Gericht ins Gesicht schauen konnte. Die Kiebitze im Großen Schwurgerichtssaal konnten mithören. „Geld dafür zu nehmen, um Gesetze zu ändern, ist eine Verletzung der Regeln des EU-Parlaments“, sagte Newell – und genau das habe Strasser angeboten. Vom damaligen ÖVP-Delegationsleiter sei schon bekannt gewesen, dass er bereit sei, kommerziellen Klienten gegen Bezahlung zu helfen. Für Anfang März 2011 habe Strasser die erste Rate von 25.000 Euro erwartet. Die Sunday Times habe nie vorgehabt, tatsächlich zu zahlen und ließ Strasser vor diesem Termin auffliegen.

Vor der Urteilsverkündung hatte sich noch eine Gruppe von Aktivisten in Szene gesetzt. Vier im Stil der Blues Brothers mit weißem Trenchcoat, schwarzem Schlapphut und dunkler Sonnenbrille als Geheimagenten verkleidete Männer verhöhnten den Angeklagten: „Wir haben die Falle, die Ernst Strasser gestellt hat, nachgebaut. Dabei sind uns diese Agenten ins Netz gegangen“, gab einer aus der Gruppe, die sich „Freunde des Wohlstands“ nennt, bekannt: „Lasst ihn frei! Das ist unser Ernst“, forderten die Aktivisten.

Abenteuerlich

Seine Geheimdienst-Version hat der Schöffensenat Strasser in keiner Weise abgenommen. „Das gehört zum Abenteuerlichsten, was mir in 20 Jahren untergekommen ist“, sagte der Richter.

Strassers Verteidiger Thomas Kralik zeigte sich „maßlos enttäuscht“ über das harte Urteil: „ (..) Dass, was für mich überraschend gekommen ist, war, dass das Gericht alles zu seinem Nachteil ausgelegt hat. Man hat kein Argument, das für ihn gesprochen hat, richtig gewürdigt.“ Der Senat habe es sich „sehr leicht gemacht, indem er alle Argumente, die für Strasser gesprochen haben, nicht gelten hat lassen“.

Medien in ganz Europa berichteten am Montag über den Prozess und die Haftstrafe für den einstigen Innenminister.

„Austrian ex-MEP Ernst Strasser jailed for bribe-taking (Gefängnisstrafe für Österreichischs Ex-EU-Parlamentarier Ernst Strasser wegen der Annahme von Schmiergeld)“, titelte beispielsweise die britische BBC News.

„Österreichischer Ex-Minister muss vier Jahre ins Gefängnis“, schrieb Spiegel online – und rief den Lesern in Erinnerung: „Sein Fall sorgte europaweit für Aufsehen“.

Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe über das Verfahren gegen Ernst Strasser – unter dem Titel: „Korruption in Österreich. Ex-Innenminister zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.“

Unabhängige Justiz

Zahlreiche Reaktionen gab es auch von politischer Seite: Der SPÖ-Delegationschef im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, hält den Strafrahmen von vier Jahren für angemessen. Er meint, das Urteil zeige, dass die österreichische Justiz funktioniere, „unabhängig davon wer angeklagt wird. Das ist durchaus positiv.“ Wahrscheinlich sei in dem Urteil auch ein „sehr hoher generalpräventiver Aspekt“ mit eingeflossen, „was sicher bei dieser eher laxen Handhabung der Dinge nicht schadet“.

Die Grüne EU-Mandatarin Ulrike Lunacek befand, das Urteil gegen Strasser sei „mehr als gerechtfertigt. Damit hat die österreichische Justiz ein richtiges wie wichtiges Zeichen für die Bedeutung von Anstand und Rechtschaffenheit in der Politik gesetzt und der Rechtsstaat wieder an Vertrauen gewonnen.“ Die in den belastenden Videos der Sunday Times-Journalisten gezeigte „Selbstgefälligkeit“ mit der Strasser sich als Lobbyist präsentierte, sei „atemberaubend“, meinte Lunacek.

Am Abend wurde gegenüber der ZiB bestätigt, dass in der Causa Buwog rund um Korruptionsverdacht gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser die Wiener Justiz die im April 2011 im Fürstentum Liechtenstein bei Grassers Treuhänder beschlagnahmten Unterlagen erhalten hat (mehr dazu hier). In der Causa geht es um den Verdacht auf Korruption beziehungsweise Amtsmissbrauch.

Man kann sich seinen Richter als Angeklagter nicht aussuchen. Als Öffentlichkeit leider auch nicht. Im Strasser-Prozess hat Richter Olschak seine Urteilsbegründung wie einen politischen Kommentar formuliert. Die (nicht rechtskräftige) strenge Strafe habe sich der einstige Innenminister und EU-Parlamentarier Strasser dadurch verdient, dass er ein hohes Amt missbraucht habe. Und man darf die vier Jahre Haft wohl als Signal gegen Korruption, vielleicht sogar als Maßstab für künftige Verfahren, verstehen.

Derlei ist man von Olschak schon gewohnt. Im Prozess gegen den Ex-Generalsekretär des Österreichischen Olympischen Komitees Jungwirth, den er nicht rechtskräftig zu fünf Jahren verdonnerte, geißelte der Richter die „widerwärtige, altösterreichische Funktionärsmentalität“. So einen Vorsitzenden würde man sich auch für die kommenden Prozesse gegen Rumpold, Grasser – und wie sie alle heißen – wünschen.

Strasser wurde im Prozess seinem Ruf gerecht, auch als Repräsentant im EU-Parlament die Hand aufzuhalten. Nicht er hatte die Unterzeichnung des Vertrages mit den als Lobbyisten getarnten Journalisten hinausgezögert, sondern die Reporter, die keine Zahlungsverpflichtung eingehen wollten. Strasser hatte im Gegenteil den Abschluss des Vertrages vordatieren lassen, um nur ja vom Anfang dieser Geschäftsbeziehung an kassieren zu können. Und die Überweisung der ersten Rate über 25.000 Euro war bereits fix vereinbart. Strafrechtlich hätte er diesem moralischen Vorwurf nur mit einem Teilgeständnis begegnen können: Ja, er habe seine private Lobbying-Tätigkeit nebenher aufrechterhalten und damit vielleicht eine Grenze überschritten. Die Agentenparodie, die der ehemalige „erste Polizist des Landes“ (Zitat von Strassers Lebensgefährtin) stattdessen zum Besten gegeben hat, hat ihn nur noch tiefer hineingeritten.

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