Immer mehr Österreicher sehnen sich nach "starkem Mann"

Donald Trump, der "starke Mann" im Weißen Haus.
Laut einer neuen Studie wünschen sich immer mehr Österreicher einen "starken Mann" an der Spitze. Die Demokratie wird noch positiv gesehen, allerdings sollte "stärker gegen Außenseiter und Unruhestifter" vorgegangen werden.

Sie pfeifen auf politische Korrektheit, nennen die Opposition und Medien "Feinde" und ignorieren internationale Gesetze. Nationale Interessen regeln sie von "Mann zu Mann", Vereinbarungen besiegeln sie per Handschlag. Sie betonen patriarchalische Werte, regieren im Alleingang, teilweise durch Einschüchterung und Willkür. In den USA ist es Donald Trump, auf den Philippinen Rodrigo Duterte und in Russland Wladimir Putin. Der "starke Mann" hat Konjunktur - und auch in Österreich sehnen sich viele Menschen nach diesem Politiker-Typus.


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Konkret sind es 43 Prozent, die sich einen "starken Mann" an der Spitze Österreichs wünschen. Zu diesem Ergebnis kommen der Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb (Video) und das Meinungsforschungsinstitut SORA. Für die Studie im Auftrag des Zukunftsfonds haben sie 1.000 Österreicher von Februar bis März dieses Jahres zu ihrem Geschichts- und Demokratiebewusstsein befragt und mit der gleichen Untersuchung aus dem Jahr 2007 verglichen.


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"Der Vergleich zeigt ganz klar, dass innerhalb von zehn Jahren die antidemokratischen und autoritären Einstellungen signifikant zugenommen haben", erklärt Martina Zandonella, SORA-Meinungsforscherin und Studienautorin. Während 2007 vierzehn Prozent der Aussage "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss", zugestimmt haben, sind es zehn Jahre später schon 23 Prozent. Fast die Hälfte der Befragten erachtet einen "starken Mann" für wünschenswert. Im Gegensatz zum "starken Führer" ist dieser aber noch in einem demokratischen System (Parlamentarismus) eingebunden und wird gewählt - der "starke Führer" regiert ohne demokratische Legitimation (Autokratie).


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"Die Ergebnisse bedeuten aber nicht, dass sich Österreicher nach einer Diktatur sehnen", erklärt Zandonella im KURIER-Gespräch. Doch man müsse sich darüber bewusst werden, dass ein solches antidemokratisches Potenzial in der Gesellschaft vorhanden ist. "Viele Menschen sind demokratieverdrossen. Sie fühlen sich ungerecht behandelt und denken, dass in der österreichischen Politik nichts weitergeht", sagt die Forscherin. Dann denkt man an Putin, Erdoğan oder Trump, die scheinbar ohne viel Wurstelei etwas voranbringen.

Der vermehrte Wunsch nach einem "starken Mann" ist also eng damit verbunden, dass das Vertrauen in die Lösungskompetenz des politischen Systems gesunken ist; die Studienautoren sprechen von "politischer Selbstwirksamkeit". 41 Prozent der Österreicher haben inzwischen das Gefühl, keinen Einfluss auf die Regierung nehmen zu können. 2007 sahen das nur 32 Prozent so.

Hinzu kommt, dass die Unsicherheit in der Bevölkerung zugenommen hat. Ein Gefühl, von dem gerade "starke Männer" profitieren. Sie versprechen Recht und Ordnung für ihre Bevölkerung - genau das wünschen sich auch immer mehr Österreicher. Genauer gesagt, stimmten 42 Prozent der Aussage "Um Recht und Ordnung zu wahren, sollte man stärker gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen" voll zu. Im Gegensatz zu 2007 ist das Bedürfnis nach "Law & Order" drastisch gestiegen. Alles sei in "Unordnung" geraten, meinen 41 Prozent.


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Aber: Der stärker werdende Hang zu autoritären Strukturen beeinflusst die Einstellung zur Demokratie wenig. Für 78 Prozent der Befragten ist sie noch immer die "beste Regierungsform – auch wenn sie Probleme mit sich bringen mag". Ein Rückgang ist aber auch hier festzustellen: 2007 sagten das noch 86 Prozent.


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Einstellungen zur NS-Vergangenheit

Etwas positiver ist die Entwicklung beim NS-Geschichtsbewusstsein. Der Opferthese wird beispielsweise nicht mehr so oft zugestimmt wie noch vor zehn Jahren. Zandonella ortet ein "kritischeres Bewusstsein gegenüber dem Nationalsozialismus". So sieht die Hälfte der Befragten "nur Schlechtes" bzw. "großteils Schlechtes" durch den Nationalsozialismus; 40 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die "Diskussion über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust beendet werden soll". 2007 sahen das noch 48 Prozent so.


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Allerdings, erklärt die Forscherin, gibt es signifikante Unterschiede bei der Beantwortung in der jeweiligen Bildung der Befragten. Österreicher mit höherem Schulabschluss seien dem Nationalsozialismus deutlich negativer eingestellt als jene mit geringerer formaler Bildung. Personen mit einem Pflichtschulabschluss meinen, der Nationalsozialismus hat "sowohl Gutes als auch Negatives" gebracht. Bei Akademikern vertreten "nur" neun Prozent diese Meinung.

Interessant ist auch, dass 33 Prozent der Generationen Y und Z (Personen bis 35 Jahren) keine Angaben zu diesem Thema machen wollten oder schlichtweg nicht wussten, wie sie darauf antworten sollen. Noch höher ist der Anteil bei den Unter-20-Jährigen. "Die Jugend scheint sich schwer zu tun, eine selbstbewusste Antwort auf die NS-Frage zu geben", sagt Forscherin Zandonella. "Ich glaube, dass sich viele ihre politische Meinung erst später bilden, weil ihnen schlicht das Wissen dazu noch fehlt."


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Übrigens wünschen sich Personen, die beim Nationalsozialismus "sowohl Gutes als auch Schlechtes" sehen, einen "starken Mann" sehnlicher als Personen, für die der Nationalsozialismus "nur Schlechtes" gebracht hat.

Dass sich der "starke Mann" auf den Philippinen, Rodrigo Duterte, mit Adolf Hitler verglichen hat, sei nur am Rande vermerkt.


Zur Untersuchung: Die Studie wurde vom Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb und vom Meinungsforschungsinstitut SORA durchgeführt. Insgesamt wurden 1.000 Personen ab dem 15. Lebensjahr telefonisch (repräsentativ für Österreich) über ihr Geschichts- und Demokratiebewusstsein befragt. Die Untersuchung fand in den Monaten Februar und März dieses Jahres statt, die maximale Schwankungsbreite beträgt +/- 3,1 Prozent. Finanziert wurde die Untersuchung vom Zukunftsfond der Republik Österreich. ​

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