Steuerschlupflöcher sonder Zahl, Milliarden wären zu holen

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat einen kritischen Blick auf die Steuerbegünstigungen geworfen. Vieles soll gestrichen werden
Mehr als 500 Begünstigungen höhlen das Steuerrecht aus. In Summe entgehen dem Staat Milliarden, 600 bis 700 Millionen will er jetzt zurück.

Was ist der Unterschied zwischen einem Forstarbeiter mit Motorsäge und einem Forstarbeiter ohne Motorsäge? Richtig, sie werden von der Finanz unterschiedlich behandelt. Kein Witz: Nennt der Forstarbeiter eine Motorsäge sein Eigen, darf er pauschal zehn Prozent seiner Betriebsausgaben absetzen, sonst nur fünf Prozent.

Regelungen wie diese, auch wenn sie praxisfremd sind – alle Forstarbeiter haben heute Motorsägen – dienen der Verwaltungsvereinfachung. Nicht der Vereinfachung und Transparenz dient die höchst unterschiedliche steuerliche Behandlung der diversen Berufsgruppen.

Ein Privileg ganz anderer Art ist der Haustrunk. Er soll im Zuge der Steuerreform abgeschafft werden, die Brauerei-Mitarbeiter dürften murren: Nach alter Tradition wird ihnen eine gewisse Menge Bier als Lohnbestandteil für den Eigenverbrauch "ausbezahlt" – bisher steuerfrei.

Überprüfenswerte 326 Steuer-Ausnahmen und -Privilegien einzelner Berufsgruppen in Gesetzen, plus weitere 232 Maßnahmen in Verordnungen hat der Rechnungshof aufgelistet. Und daraus horrendes Einsparpotenzial abgeleitet. Geschätzte 15 Milliarden Euro entgehen dem Staat durch die Summe an Steuerbegünstigungen. Drei Steuerreformen für den Bürger wären das.

Doch die Rechnung geht nicht so einfach auf. Nicht wenige Begünstigungen haben auch ihre Berechtigung (z. B. die Steuerpauschalierungen) oder sind politisch tabu – wie die geringe Besteuerung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Sie allein kostet den Staat sechs Milliarden Euro.

Bliebe zwar immer noch ein Volumen von neun Milliarden Euro, doch hinter fast jeder Begünstigung steht eine eigene Lobby. Entsprechend schwierig gestalten sich die Debatten in der Steuerreformkommission, die auf der Suche nach einer Gegenfinanzierungsmasse ist. So wollen die Experten wenigstens 600 bis 700 Millionen Euro für die Steuerreform finden. Das sei "realistisch", hört man von dort.

Streichposten

Vorarbeiten gibt es Sonderzahl. So listet etwa die Industrie in ihrem Steuerreformkonzept nicht nur die vielen Extrawürste im Einkommenssteuergesetz auf (vor allem die Absetzbarkeit diverser Sonderausgaben vom Kirchenbeitrag bis zu den Bewirtungskosten, vom Landarbeiterfreibetrag bis zum Grenzgänger- und Pensionistenabsetzbetrag).

Als Streichposten genannt werden auch die vielen Ausnahmen im Grund- und Umsatzsteuergesetz. Ein paar Beispiele: Stroh und Spreu von Getreide, roh, auch gehäckselt, gemahlen, gepresst oder in Form von Pellets unterliegen der ermäßigten Umsatzsteuer von zehn Prozent. Ebenso Blumen, Federn, Daunen, Blattwerk, Knollen und Wurzeln, aber auch Brennholz, Düngemittel sowie Rückstände oder Abfälle aus der Lebensmittelindustrie (z. B. als Futter).

Nur zehn Prozent Umsatzsteuer zahlt man auch für Hotelübernachtungen mit Frühstück oder Kunstgegenstände, Theater- oder Opernkarten, sowie Antiquitäten, sofern sie älter als 100 Jahre sind. Nicht zu vergessen die Leistungen von Künstlern, Museen oder die "unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundenen Umsätze und die Thermalbehandlung".

Absurd mutet der Umsatzsteuer-Unterschied zwischen einer gedruckten Zeitung und ihrer digitalen Schwesterversion im Internet an. Wirklich teuer für den Staat ist der Steuervorteil bei Medikamenten, nur greift da – verständlicherweise – kein Politiker hin. Weniger Sinn macht, dass umstrittene Diätprodukte ebenso steuerbegünstigt sind.

Lesen Sie im Montags-Kurier: Wo besonders viel Geld liegen bleibt

Kommentare