Rote Angst vor blauem Durchmarsch

Die Grazer Wähler sind ziemlich flexibel, meint Meinungsforscher Bachmayer.
Die SPÖ muss fürchten, in ihren obersteirischen Hochburgen noch mehr an die FP zu verlieren.

150 ÖVP-Bürgermeister posieren hinter Hermann Schützenhöfer, der witzelt: "Sie haben mir versprochen, dass keiner ein Feitl eingesteckt hat." Denn wenn alle Funktionäre geschlossen hinter einem Parteichef stünden, stehe üblicherweise dessen Ablöse bevor.

Nach Graz holte der Landesobmann der Schwarzen gestern im Wahlkampffinale nahezu alle Bürgermeister seiner Partei. So groß war die Konzentration an Ortschefs in der Landeshauptstadt wohl noch nie. Doch auch die Konzentration der Parteien liegt auf Graz: Im gemeinsamen Wahlkreis mit Graz-Umgebung sind nicht nur die meisten Mandate zu vergeben, sondern im Vergleich zu den anderen drei Wahlkreisen die stimmenmäßig billigsten.

Wichtiger Wahlkreis

Graz und Graz-Umgebung sind entsprechend heiß umkämpft: Nur hier haben Grüne und KPÖ Chancen auf ihre jeweiligen Grundmandate, die nötig sind, um in den Landtag zu kommen. Doch auch für die "Reformpartner" SPÖ und ÖVP geht es hier um viel: Ein Drittel aller Wahlberechtigten ist hier zu Hause. Wer hier die Nase vorn hat, liegt auch landesweit vorne.

Schützenhöfers ÖVP bekam das 2010 deutlich zu spüren: Wiesen Hochrechnungen aus den übrigen Landesteilen einen Vorsprung vor der SPÖ aus, brachte das Grazer Votum vor fünf Jahren die Ernüchterung. Im schwarz regierten Graz verlor die VP mehr als im Landesschnitt, SPÖ-Landeschef Franz Voves zog damals dank Amtsbonus und Person weit mehr. Vielleicht ein Grund, warum sich die ÖVP diesmal städtisch gibt, Künstler wie Peter Simonischek und Brigitte Karner dazu bringt, in Inseraten für Schützenhöfer zu werben."Die Grazer Wähler sind ziemlich flexibel, das ist ein Phänomen", beurteilt Wolfgang Bachmayer, Chef des Meinungsforschungsinstitutes OGM. "Man denke nur an den Aufstieg der KPÖ seit 20 Jahren." Im selben Zeitraum ging es mit der SPÖ stetig bergab, bei den Gemeinderatswahlen 2012 erreichte sie gar nur noch 15 Prozent.

Voves kämpft aber entfernt von Graz, wo er im Wahlkampf-Finale von Ex-Kanzler Franz Vranitzky unterstützt wurde, noch auf einem für die SPÖ ebenso wichtigen Feld: Die obersteirischen Städte in der einstigen Industrieregion brechen ihr weg. Bei den Gemeinderatswahlen im März verloren die Roten in Bruck an der Mur, Mürzzuschlag, Kapfenberg und Knittelfeld massiv an Stimmen. Wähler liefen erneut zur FP über, ein Trend, der bei der Landtagswahl 2010 und der Nationalratswahl 2013 sichtbar wurde.

Kollektive Depression

Doch die rote Antwort auf den blauen Vormarsch fehle seit Jahren, analysiert Bachmayer. "Die Obersteiermark ist bis auf Zwischenhöhen ein Dauerproblem der SPÖ. Das wird jetzt verstärkt durch die Zuwanderungsproblematik." Mürzzuschlags Bürgermeister Karl Rudischer ortet "ein bisserl kollektive Depression. Die ehemalige Industrieregion, wo die Politik alles bereitgestellt hat, gibt es nicht mehr." Gewerkschafter Josef Muchitsch befürchtet morgen ähnliche Verluste wie im März und nimmt die Bürgermeister in die Pflicht. "Überall dort, wo wir Häuptlinge haben, die sich nach der Vergangenheit mit florierender Industrie sehnen gute Nacht. Von einer Wahl auf die andere zu warten und hoffen, dass es besser wird, reicht nicht mehr."

Wir berichten am Sonntag ab 14 Uhr im Live-Ticker von den Landtagswahlen in der Steiermark und im Burgenland.

Ein Gespenst geht um im Burgenland, das Gespenst vom Ende der rot-schwarzen Ära nach 70 Jahren Zwangsproporz. Fürchten muss sich dennoch niemand, denn gesehen haben das Gespenst bisher nur die Regierungsparteien selbst. Im Finale des Landtagswahlkampfs warnte der seit 2000 amtierende SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl vor einer "Horror-Koalition" aus Schwarz-Blau und Bündnis Liste Burgenland (LBL), während sein ÖVP-Vize Franz Steindl beim legendären roten Kanzler Bruno Kreisky Anleihen nahm und SPÖ-Wähler keck einlud, "diesmal Volkspartei" zu wählen, um Rot-Blau zu verhindern – das viele Sozialdemokraten ablehnten.

Leicht durchschaubarer Zweck der Übung ist die Mobilisierung der eigenen Klientel, werden doch SPÖ wie ÖVP leichte Verluste zugunsten von Blau und Grün vorausgesagt. Dass die seit 1964 regierenden Roten (2010: 48,3 %) deutlichst vor der ÖVP bleiben und damit laut neuer Verfassung zu Regierungsverhandlungen einladen, ist fix. Fast ebenso sicher scheint ein Dacapo der großen Koalition. Auch wenn es in beiden Parteien nicht wenige gibt, die von der Wiederkehr des ewig Gleichen angespeist sind und sich die SPÖ von den Mitgliedern das Okay holte, auch mit der FPÖ Koalitionsgespräche zu führen – was eher als Drohgebärde in Richtung ÖVP zu sehen ist.

Phantomschmerz

Dass einzig Niessls Forderung nach Videoüberwachung im Grenzort Kittsee und das Wetteifern um die Rettung des Uhudlers auch jenseits der Landesgrenzen zumindest vermerkt wurden, passt zu einem Wahlkampf voller Phantomschmerzen. Wirkliche Probleme gäbe es reichlich, von der Arbeitslosigkeit bis zum wirtschaftlichen Sorgenkind Südburgenland – darum muss sich nach dem 31. Mai die nächste (rot-schwarze) Regierung kümmern.

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