"Brauchen mehr Ressourcen für Schulen in Ballungsräumen"

Was läuft falsch im Bildungssystem? Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorsky ist morgen Gast des KURIER
Stadtschulrats-Chef Czernohorszky will gute Schulen vor den Vorhang holen – und 100 Prozent Gesamtschulen in Wien.

Seit Mitte Dezember ist Jürgen Czernohorszky (38) neuer Präsident des Wiener Stadtschulrats.

KURIER: Im November wurde die Bildungsreform präsentiert, seither munter weitergestritten. Wird das noch was?

Jürgen Czernohorszky:Da bin ich grundsätzlich Optimist.

Gestritten wird über die Verwaltung. Was wäre vernünftig?

Es gibt fünf Bundesländer, die die Landes- und Bundeslehrerverwaltung getrennt haben. Nicht zu trennen, so wie es in Ostösterreich gemacht wird, ist vernünftiger – und billiger. Das Wiener Modell ist das mit Abstand billigste. Aber die Schulverwaltung sollte doch die einfachste Frage sein. Wichtig ist doch, was im Klassenzimmer ankommt.

Was muss ankommen?

Die größte Herausforderung ist die Tatsache, dass Bildung noch immer vererbt ist. Da gibt es mehrere Maßnahmen, z. B. den Ausbau der Ganztagsschule und natürlich die gemeinsame Schule der 6- bis 14-Jährigen.

Wenn das so klar ist, warum kann die SPÖ die ÖVP von der Gesamtschule nicht überzeugen?

Die Frage ist, wer ist die ÖVP? Schauen Sie nach Tirol, Vorarlberg, teils in die Steiermark. Die wollen das. Genau wie die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer. Da sind einige bereit, vom ideologischen Schlachtross herunterzusteigen.

Es gibt aber Skepsis, ob die Neue Mittelschule jene Schulform ist, die Chancengleichheit bringt?

Es gibt viele Beispiele wie die Campusschulen im Sonnwendviertel, die zeigen, wie Gesamtschule funktioniert. Da rennen uns Eltern die Türen ein, weil sie denken, dass das eine tolle Schule ist, weshalb es auch eine gute soziale Durchmischung gibt. Solche Schulen könnten Lokomotiven sein, die zeigen, wie ich am Ende Matura oder einen erfolgreichen Lehrabschluss machen kann.

Es sollen aber nur 15 Prozent der Schulen und Schüler in einer Gesamtschule erlaubt werden. Könnte das in Wien der 21. und 22. Bezirk sein?

Es muss ein Prozess sein, der alle einbindet, daher kann ich jetzt nicht mehr sagen. Alles andere wäre doch ein Schlag ins Gesicht jener, denen ich das versprochen habe. Aber die in Wien bestehende Standorte – das sind derzeit neun Prozent – werden nicht eingerechnet, rein rechnerisch können wir also auf 24 Prozent Gesamtschulanteil kommen. Ziel bleibt aber 100 Prozent Gesamtschule.

In Wien haben 60 Prozent der Volksschüler nicht Deutsch als Muttersprache. In den NMS sind es über 70. Das Unterrichten wird da schwieriger.

In allen Ballungszentren haben wir besondere Herausforderung mit einem hohen Migrantenanteil und großen sozialen Unterschieden. Es müsste ein gesamtösterreichisches Interesse sein, dass die Städte dafür mehr Ressourcen über den Finanzausgleich bekommen. Lernen ist ja Beziehungsarbeit – und je unterschiedlicher die Schüler, desto arbeitsintensiver ist der Schulalltag.

Wird die geplante Schulautonomie helfen, die bestehenden Probleme zu verbessern?

Die ist sicher sehr wichtig, aber schon jetzt ist sehr viel möglich. Ganz viele Standorte zeigen doch, wie toll das in der Praxis funktioniert. Schulen haben neue Fächer wie "Lebensmanagement" erfunden, oder die modulare Oberstufe, wo es ein frei wählbares Kurssystem gibt. Meine Aufgabe ist, die bestehende Aktivität vor den Vorhang zu holen und wertzuschätzen.

Gab es da genug Unterstützung?

Ich will, dass unser Haus zum Partner solcher Schulentwicklungen wird. Natürlich müssen wir Rahmen und Regeln setzen, aber auch eine Ermutigung, was man innerhalb dieser alles machen kann. Lehrer machen einen der wichtigsten Jobs unserer Gesellschaft, weil sie die Potenziale der Kinder zu erschließen versuchen, sie fördern und begeistern. Das müssen wir mehr wertschätzen und unterstützen und den entsprechend Rahmen schaffen.

Derzeit können aber 20 Prozent der Schüler nach acht Jahren Schule nicht lesen.

Da wird noch viel notwendig sein. Die geplante Ausbildungsgarantie ist sicher ein richtiger Schritt. Wir müssen mit den richtigen Angeboten verhindern, dass Jugendliche die Schule abbrechen.

Kommentare