"Sozialpartner müssen sich komplett ändern"

Reinhold Mitterlehner
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sagt, bei Liberalisierungen werden Tabus fallen - und geht mit den Sozialpartnern ins Gericht.

KURIER: Herr Vizekanzler, was war es für ein Gefühl, erstmals bei einer Wahl nicht mitzuspielen?

Reinhold Mitterlehner: Ein ambivalentes. In der täglichen Arbeit war es ein Vorteil, in eine Wahl nicht involviert zu sein. Aber natürlich haben mich Fragen beschäftigt: Warum kam der eigene Kandidat nicht durch? Wäre eine andere Variante besser gewesen? Es sind eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen, die mit dem Wahltag nicht weggewischt wurden.

Haben Sie Antworten gefunden?

Die Erklärung für den ersten Wahlgang lautet: Es gab Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit und – wie in ganz Europa – mit dem Politik-Establishment generell. Bei der Stichwahl wiederum kam es, sehr salopp gesagt, zu einer Auseinandersetzung zwischen denen, die sich mit ihren Problemen unverstanden fühlen gegen die, die für die europäische Positionierung Österreichs eintreten. Übrig bleibt, dass wir die Politik generell ändern müssen. Das In-Watte-Packen ist falsch, wir in der Politik produzieren sonst Ergebnisse, die bei den Bürgern nicht ankommen.

Was meinen sie mit "in Watte packen"?

Dass wir bei Wahlen Versprechen machen, sie umsetzen oder teilweise nicht – und nur die Botschaft haben: Wir machen für Dich Politik. In Zukunft muss es auch heißen: Wir machen mit Dir Politik.

Wie soll dieses Neu-Regieren konkret aussehen?

Wir wollen mit der Bürgergesellschaft besser kooperieren, wie wir es bereits bei den Flüchtlingen machen. Wir wollen bei bestimmten Themen auch die Opposition einladen, ihre Lösungsvorschläge zu präsentieren. Wir wollen uns nicht mehr nur auf die Sozialpartner verlassen, sondern auf die Experten der Institute verstärkt zurück greifen, auf das WIFO, das IHS, den Ökonomen Christian Helmenstein, die Agenda Austria – wer immer Vorschläge entwickelt hat. Wir wollen Input von außen kriegen, aber auch Mitstreiter. Denn die Bundesregierung als Alleinschuldige, Alleinverantwortliche, Alleinhandelnde in einer immer komplexer werdenden Welt ist ein Bild, das mir auch nicht gefällt.

Warum wollen Sie sich nicht mehr auf die Sozialpartner verlassen?

Sie haben weiter ihren Stellenwert, aber die altbekannten Rituale brauchen wir eigentlich nicht mehr. Sie machen eine Pressekonferenz, listen einen Rucksack von Forderungen an die Regierung auf und glauben, damit ist ihre Aufgabe erfüllt.

Müssen sich die Sozialpartner ändern?

Komplett. Im Service für die Unternehmen gibt es Möglichkeiten, mit einem guten Beraterteam den Betrieben beim Umsetzen komplexer Vorschriften beizustehen. Dann würden die Sozialpartner auch Erfahrungen sammeln, wo es mit der Bürokratie in der Praxis wirklich hakt und könnten diese an die Politik weitergeben. Diese Rückkopplung fehlt mir vollkommen. Stattdessen machen derzeit beide Seiten der Sozialpartner mehr Desselben. Die Arbeitnehmer-Vertreter fordern ständig Ausweitungen sozialer Rechte und Schutzbestimmungen. Die Arbeitgeber fordern ein Riesen-Paket an Maßnahmen und Steuererleichterungen, ohne die Gegenfinanzierung darzustellen. Was beide Sozialpartner oft vergessen: Der Staat hat in der Wirtschaftskrise Milliarden gezahlt für die Kosten und zur Sicherung von Arbeitsplätzen – aber niemand denkt daran, das der öffentlichen Hand zurückzugeben. Nur einseitig zu fordern passt nicht mehr zu den heutigen Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit.

Was verlangen Sie daher von den Sozialpartnern?

Ich empfehle ihnen eine Umorientierung auf das, was Österreich braucht, und nicht, was die jeweilige Gruppe gerade braucht. Die Sozialpartner müssen die Interessen des Standorts und die internationale Ebene in den Fokus zu rücken, nicht nur das, was sie der eigenen Klientel gerade günstig verkaufen können.

Stimmt es, dass die Pensionsreform vorerst nicht ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste steht?

Pensionen bleiben ein wichtiges Thema. Christian Kern und ich haben vorerst aber gleichermaßen festgestellt, dass für Systementwicklungen bei Gesundheit und Pensionen zuerst die Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Funktioniert der Standort nicht, und mangelt es an Wettbewerbsfähigkeit, ist alles andere entweder nicht finanzierbar oder nicht ausbaubar. Im Vordergrund müssen daher Zukunftssicherung und Wettbewerbsfähigkeit stehen. Hinzu kommen Bildung, Sicherheit und Integration. So haben wir das definiert.

Bisher war es so: Die ÖVP hat Forderungen an die SPÖ-Seite gerichtet und umgekehrt. Wird jetzt jeder einmal darüber nachdenken, was er im eigenen Bereich reformieren könnte?

Es wird notwendig sein, diese Pattstellung aufzulösen, damit wir uns nicht weiterhin gegenseitig blockieren. Wenn wir einen Kompromiss erzielen, wird es ein dynamischer Kompromiss sein müssen. Beide Seiten werden Dinge akzeptieren müssen, die ihnen bisher wenig Freude gemacht haben, aber immer mit dem Ziel, dass es der Wettbewerbsfähigkeit dient. Das ist der schwierigste Teil des Unterfangens, das ist klar.

Ich höre, Sie planen Liberalisierungen und Flexibilisierungen, beispielsweise bei den Arbeitszeiten und der Gewerbeordnung. Stimmt das?

Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, denn das würde der neuen Partnerschaft widersprechen. Aber logisch ist, dass wir in den Bereich der Tabus hineingehen müssen. Ich könnte Ihnen zehn nennen, aber dann bringe ich dort wieder nichts weiter.

Kann man es so zusammenfassen: Es wird Liberalisierungen und Flexibilisierungen bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern geben müssen?

Stimmt.

Haben Sie schon einen Henkel gefunden, wie Sie die Bürokratie in den Griff bekommen?

Das haben wir auch besprochen, das ist ein Meta-Thema. Da geht es um mehr Freiheit insgesamt, der Staat reguliert das Leben der Bürger zu stark. Es gibt mehrere Methoden: Entweder, für jede neue Vorschrift zwei alte abschaffen. Oder, Verordnungen nur befristet einführen und nach ein paar Jahren überprüfen, ob man sie in dieser Komplexität braucht. Oder, bei EU-Vorschriften nur das Minimum umsetzen und nicht wie derzeit immer noch national was drauflegen.

Anlässlich des Pioneer-Start-up-Festivals hieß es, Wien hinke anderen Metropolen wie Berlin hinterher. Ist die Kritik berechtigt?

Es gibt noch Potenzial nach oben, aber wir sind da nicht außen vor. Wien hat aufgeholt. Aber ich sehe dahinter, dass wir zwei Wirtschaftswelten haben. Jene im Bereich der Kammer, die – bei all ihren Verdiensten – das fortsetzen wollen, was sie immer schon getan haben. Und die neue Unternehmerwelt, die zum Beispiel im IT-Bereich und mit Venture Capital agiert und die von Systemen nicht unbedingt was wissen will und sie auch gar nicht braucht. Deren Orientierungspunkt ist die internationale Entwicklung und der internationale Markt. Dort wird unsere Zukunft liegen.

Viele Bürger interessiert, warum bei uns Umsetzungen so lange dauern. Oft gibt es eine politische Einigung, und dennoch geht nichts weiter: Die Bildungsreform wurde vor einem halben Jahr beschlossen, aber es gibt sie nicht. Die Gesundheitsreform wurde schon in der letzten Periode beschlossen und ist nicht umgesetzt. Die Transparenzdatenbank gibt es immer noch nicht. Warum?

Dahinter steht eine problematische Wahrheit. Wenn man sich eine Pyramide vorstellt, dann will der obere Teil, der politische Machtpromotor, wir in der Regierung, die Veränderung, für die wir auch eine bestimmte Anerkennung wollen. Der untere Teil erwartet sich durch Veränderung neue Jobs, mehr Bewegung, mehr Chancen. Dazwischen stehen die beharrenden Kräfte, die lieb gewordene Dinge, Einkommensquellen, nicht verlieren wollen. Diesen starren Mittelbau gibt es fast überall und genau der ist das Problem.

Und durch den müssen Sie jetzt durch?

Damit sind wir am Anfang des Gesprächs – wir wollen aus Betroffenen Beteiligte machen, die Gesellschaft einbeziehen – mit Euch Politik machen.

Wann wird das Erste Konkrete am Tisch liegen?

Es braucht einige schnelle Erfolge. Da und dort wird bald etwas vorliegen, im Herbst dann Größeres.

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