Verpflichtendes Sozialjahr für Flüchtlinge?

Symbolbild: Flüchtlinge werden vom Roten Kreuz Steiermark betreut.
Für den jungen 19-jährigen Syrer Hashim wäre es wahrscheinlich die einzige Chance, sich in Österreich zu integrieren.

Hashim ist ein begabter Kicker. Fast jeden Tag, egal bei welchem Wetter, steht er am Bolzplatz einer kleinen Gemeinde am Stadtrand von Wien. Wie eine Maschine schlägt er einen Freistoß nach dem anderen, 20 Meter, 30 Meter, 40 Meter, manche präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Dazwischen liegt er einfach nur am Rücken in der Wiese, schaut in den Himmel, freut sich, wie er sagt, dass die Flugzeuge, die hier vorbeifliegen, keine Bomben abwerfen.

Hashim stammt aus Nordsyrien, aus einem kleinen Dorf rund 150 Kilometer südlich von Kobane, sein Vater ist dort ein kleiner Händler. Als der Krieg ausbricht, geht Hashim noch zur Schule. Später wollte er eine Lehre anfangen. Gedanken hat er sich nicht wirklich darüber gemacht, so wie viele Pubertierende in diesem Alter. Über den Krieg sagt er wenig, Fragen dazu weicht er aus, wirkt unsicher und verloren, blickt immer wieder zu Boden. Trauma würden Psychologen wohl dazu sagen. Auf seinem alten Samsung Smartphone zeigt er Fotos von den daheim gebliebenen kleinen Schwestern, große schwarzbraune Augen, die Haare zu Zöpfen gebunden, bunte Kleider. Alles ist gut, sagt er. Rund 2500 Dollar hat die Familie für seine Flucht von den Verwandten gesammelt. Viele der Burschen in Hashims Alter wurden aus den Dörfern los geschickt. Tod oder Flucht, hieß es nur.

Es ist gut hier

Nur eine knappe Woche war er unterwegs – Türkei, Griechenland, Balkanroute, Ungarn, Traiskirchen. Heute wohnt er mit 21 anderen Flüchtlingen in einem alten Einfamilienhaus und wartet auf seinen Asylbescheid. Mit ihm allesamt junge Männer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. In den Zimmern schlafen sie zu viert oder zu fünft, die Betten ohne Privatsphäre dicht nebeneinander. Im Haus sind noch zwei kleine Küchen, zwei Toiletten, ein Bad und ein Vorraum, der notdürftig als Aufenthaltsraum eingerichtet ist. Es ist gut hier, wir können nicht klagen, sagt ein junger Mann aus Raqqa, der syrischen Hochburg des IS. Alle zwei, drei Minuten blickt er fahrig auf sein Handy. Seit drei Wochen wartet er auf Nachrichten von seiner Familie.

Die Flüchtlinge werden von einer kleinen engagierten Dorfgemeinschaft und der ortsansässigen Caritas seit ihrer Ankunft fast rund um die Uhr betreut. Deutschkurse, Ausflüge, gemeinsames Kochen, Hilfe bei Amtswegen, Besuche beim Arzt, jede Woche Kleidungsausgabe. Vergangene Woche waren sie im Schwimmbad. Jeden Tag ein fixes Programm, jeden Morgen stehen Körbe voll Essensspenden vor der Tür. Die Männer freuen sich über die Hilfe und die Geschenke. Die paar Stunden mit den Helfern am Tag sind ihre einzige Abwechslung und bieten einen Hauch Routine und Struktur. Den Rest des Tages vertreiben sie sich die Zeit mit Warten, Kochen, Putzen. Sie schauen YouTube Videos auf ihren Handys, tippen SMS an die Verwandten, hören arabische Nachrichten, dösen einfach in ihren Betten dahin, versuchen, sich auf engstem Raum so wenig wie möglich auf die Nerven zu gehen.

Hashim will arbeiten und seine Familie nachholen

Irgendwann wird Hashim hier ausziehen müssen – dann, wenn sein Asylverfahren abgeschlossen und er als Flüchtling anerkannt ist. Vielleicht in zwei oder drei Monaten. Er wird sich dann alleine durchschlagen müssen, ohne Verwandte, ohne Bezugspersonen. Wie er sich seine Zukunft vorstellt? Hashim zuckt nur mit den Schultern. Er möchte arbeiten, eine Wohnung suchen, sagt er, wie genau und wo weiß er noch nicht. Die Familie nachholen, das ist sein Ziel. Von Österreich weiß er bislang wenig, vor seiner Abreise haben sie ihm nur gesagt, dass es dort gut ist. Traiskirchen, das kleine Dorf hier, mehr kennt er nicht. Die freiwilligen Helfer im Ort und die Männer von der Fremdenpolizei, sonst er ist noch mit keinen Österreichern in Kontakt gekommen. Manchmal spielt er mit den einheimischen Buben Fußball, das macht ihm große Freude.

Wie die Leute hier leben? Wie sie arbeiten, wie sie ihr Geld verdienen? Was er glaubt, was den Menschen hier wichtig ist? Und was sie von seiner Familie und seinen Verwandten zuhause unterscheidet? Hashim hat auf all das noch keine Antworten, darüber sprechen kann er mit niemand, meistens denkt er an die Eltern, an die Schwestern, sagt er. Sein Radius beschränkt sich, wenn er nicht am Fußballplatz steht, auf das Flüchtlingshaus und den Pfarrsaal im Ort, dort wo er Kleidung bekommt und dort wo sie jeden Vormittag zum Deutsch lernen hingehen. Erfahren hat er schon, dass Frauen hier auch als Alleinerziehende Kinder großziehen können. Seine Sprachlehrerin hat ihm das erzählt. Dass Männer und Frauen auch ohne Trauschein zusammenleben. In seinem Dorf war das anders.

Dass er einen Job bekommt, ist illusorisch

Hashims erster Weg nach seiner Anerkennung als Flüchtling wird das AMS sein. Dort werden sie seine Daten aufnehmen, ihn in einer Computerdatei abspeichern, einen Akt anlegen. Ein Übersetzter wird ihn beraten, ihm seine Rechte und seine Pflichten erklären. Helfen wird ihm freilich dort niemand können. Dass Hashim einen Job zugewiesen bekommt, ist illusorisch. Er hat nichts gelernt, keine abgeschlossene Schulausbildung, seine paar Brocken Deutsch reichen kaum aus, dass er allein einkaufen gehen oder nach dem Weg fragen kann. Hashim wird die Mindestsicherung beziehen, vielleicht schickt ihn der Staat noch in einen Wertekurs. Er wird sich mit ein paar syrischen Kumpels ein billige Bleibe teilen, wird versuchen sich irgendwie über Wasser zu halten. Für eine sinnvolle Integration wird Hashim spätestens dann verloren sein.

Die heimische Politik geht an den Männern im Flüchtlingshaus vorbei – den Kanzler erkennen sie im Fernsehen, und den jungen Außenminister. Einer der Älteren sagt, dass sie Österreich sehr dankbar sind, dass sie hier sein dürfen. Sie diskutieren über Syrien, den IS, die russischen Bomber – das die heimische Regierung seit Wochen über Obergrenzen und Grenzzäune streitet, anstatt über sinnvolle Integrationsperspektiven nachzudenken, darüber haben sie noch nichts gehört.

Das Sozialjahr wäre für Hashim eine Chance

Eine davon wäre vielleicht das seit einigen Tagen durch die Medien geisternde "verpflichtende Sozialjahr" für anerkannte Flüchtlinge. Wie man sich das ungefähr vorstellen könnte? Betriebe, soziale Einrichtungen oder Institutionen können sich dazu verpflichten, Flüchtlinge, die keinen Job oder Ausbildungsplatz finden, als Art Volontäre für ein Jahr zu beschäftigen. Das Restaurant bietet eine Schnupperlehre als Kellner, der Dachdecker nimmt sich einen Interessenten als Zimmermann, die Lebenshilfe Assistenten für die Altenbetreuung, die Gemeinden Arbeiter für den Bauhof, die Krankenhäuser und Altersheime stellen zusätzliche Zivildiener ein. In diesem Sozialjahr sind Deutschkurse verpflichtend, Berufsschulen erweitern ihr Ausbildungsprogramm und ermöglichen zusätzliche Weiterbildungsseminare. Wer Flüchtlinge als Volontäre aufnimmt, erhält vom Staat für die Integrationsarbeit eine Prämie oder andere Formen der steuerlichen Begünstigung. Natürlich müsste der Staat hier ein paar kleinere, begleitende gesetzliche Maßnahmen beschließen, wer darf wen aufnehmen, wie sieht der Anforderungskatalog aus, wie gestalten sich arbeitsrechtliche Anpassungen etc. Mit ein wenig politischem Willen keine große Hexerei. Abgewickelt und vermittelt würden die Praktika über das AMS.

Für den jungen Hashim wären Programme wie diese vielleicht eine der wenigen Chancen, sich für ein Leben in Österreich besser vorzubereiten. In seinem kleinen Dorf, wo er derzeit untergebracht ist, und wo er die ersten sozialen Kontakte gefunden hat, würde er vielleicht eine Stelle bekommen. Betriebe mit Interesse gäbe es genug. Hashim würde Zeit bekommen, sich an das neue kulturelle Umfeld anzupassen, die Sprache zu lernen, sich für die nächsten Jahre in Österreich zu orientieren. Er würde mitten in die Gesellschaft integriert, und nicht nach Verlassen der Flüchtlingsunterkunft in eine Parallelgesellschaft abgleiten.

Der politische Wille fehlt

Der "Return on Investment", wie die Wirtschaft dazu sagt, wäre für alle Beteiligten enorm. Der Staat schafft sich Luft und holt junge Flüchtlinge, die am Jobmarkt mit hoher Wahrscheinlichkeit mangels zu geringer Ausbildung und Qualifikation nicht vermittelbar sein werden, vorübergehend von der Straße. Sie leben weiter in den Kommunen, gehen dort geregelten Beschäftigungen nach. Hashim hätte für die in seinem Alter dringend notwendigen fixen Bezugspersonen, einen Anker und geregelte Strukturen. Dass die direkte Arbeit mit Flüchtlingen die Zivilgesellschaft stärkt, Ängste und Vorurteile abzubauen hilft, ist dabei ein wichtiger Nebeneffekt.

Dafür braucht es freilich neben einem klaren politischen Willen auch ein wenig Fantasie und Vision, und das über alle Parteigrenzen hinweg. Angesichts der gegenwärtig handelnden politischen Akteure sind das natürlich allesamt naive Gedankengänge. Für die jungen Hashims, Ahmeds, Aischas oder Mohammads, die zu tausenden in den Flüchtlingsunterkünften quer über das Bundesgebiet verstreut derzeit ihre Zeit absitzen und in ein paar Monaten nicht wissen, wo sie wirklich landen werden, sind sie vielleicht trotzdem eine Überlegung wert.

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