"Ich bin ein Digital Native"

Für Außenminister und Privatmann Kurz gehört Facebook zur täglichen Kommunikation. Wie viele Menschen man damit erreichen kann, ist in der Firmenzentrale in Silicon Valley, USA, auf einen Blick klar.
Interview. Außenminister Kurz ließ sich im Silicon Valley Nachhilfe für die Starthilfe von Start-ups geben

Alles gut?" Sebastian Kurz erkundigt sich auf der Auslandsreise mehrmals nach dem Befinden aller anderen. Das ist keine angelernte amerikanische Attitüde, die er im kalifornischen Silicon Valley zeigt, sondern Teil seiner (Politiker-)Persönlichkeit. Und ernst gemeint. Wer nicht reagiert, wird wieder gefragt.

Während Unternehmer, die es binnen weniger Jahre zu so viel Geld gebracht haben, dass sie es sofort anderswo reinvestieren müssen, gerne sektiererisch über ihren Erfolg sprechen, hört Kurz lange zu. Der Außenminister will wissen, wie Österreich international wettbewerbsfähiger werden kann; die mitreisenden heimischen Start-up-Unternehmer, wie sie gleichsam zum zweiten Mark Zuckerberg (Facebook-Gründer) werden. Die Ziele der überwiegend männlichen Mittzwanziger bis -dreißiger sind hoch. Sie selbst erstaunlich bis erschreckend selbstbewusst. Eine Eigenschaft, die sie haben müssen, um am analogen wie digitalen Markt zu reüssieren. Um dort überhaupt eine Chance zu haben, will Kurz gemeinsam mit Wissenschaftsministerium und Wirtschaftskammer in San Francisco eine Anlaufstelle im Honorarkonsulat sowie Ansprechpartner anbieten. "Wir dürfen nicht weiterhin die Digitalisierung verschlafen."

KURIER: Im Kampf gegen den IS-Terror haben Sie das Gespräch mit sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube gesucht – mit welchem konkreten Ziel?Sebastian Kurz: Die IS-Terroristen versuchen ständig, neue Foreign Fighters aus Europa und Österreich auch über soziale Netzwerke zu rekrutieren, die in den Kampfeinsatz in den Irak oder Syrien ziehen. Es liegt an diesen Netzwerken, keine Werbeplattform der IS-Terroristen zu sein.

Wie schwierig war es, die Genannten für sich zu gewinnen?

Facebook, YouTube und andere haben ein enormes Eigeninteresse, mit uns zusammenzuarbeiten. Österreich war eines der ersten Länder, die Kontakt aufgenommen haben. Mittlerweile gibt es eine solide Zusammenarbeit auf europäischer Ebene mit Innen- wie Außenministern.

Können Sie bereits von Fortschritten berichten?

Definitiv! Es wurden nicht nur bereits Inhalte aus dem Netz genommen: Es ist so weit, dass technisch verhindert werden kann, Enthauptungsvideos oder andere Propaganda überhaupt hochzuladen respektive zu posten.

Ein zweischneidiger Erfolg. der ketzerischer Konter kann lauten: Das ist die Zensur im WorldWideWeb.

Ich war, als ich erstmals im Herbst in New York mit den Unternehmen zusammengetroffen bin, überrascht, dass sie sich seit Jahren mit dieser Thematik auseinandersetzen. Jeder soll das Internet frei nutzen können. Gleichzeitig darf es aber kein rechtsfreier Raum sein. Genauso wie Kinderpornografie im Netz keinen Platz haben darf, dürfen Terroristen dort nicht für sich werben.

Welche der Plattformen ist diesbezüglich am Bedeutendsten?

Ganz klar Facebook, obwohl Terroristen auch zu kleinen Netzwerken übergegangen sind. Und natürlich YouTube, wo jeder binnen Sekunden Videos hochladen kann. Twitter ist bezüglich der Zusammenarbeit schwieriger, da sie sich als Nachrichtendienst verstehen. Dass mittlerweile über 5000 Europäer und 200 Österreicher im Kampf in Syrien sind, das ist dramatisch, weil diese Personen dort vergewaltigen und morden. Sie versuchen, religiöse Minderheiten auszulöschen und stellen ein massives Sicherheitsproblem für Europa und für uns dar, sollten sie zurückkehren.

Themenwechsel. Benutzt Sebastian Kurz Facebook und Co als Privatperson wie als Politiker gleichermaßen?

Gleichermaßen. Es wird immer unterschieden zwischen Digital Native und Digital Immigrants …

Als was sehen Sie sich?

Ich bin ein Digital Native und mit dieser Technologie groß geworden. Insofern sind für mich soziale Netzwerke eine Selbstverständlichkeit.Ist Facebook für einen Politiker unabdingbar als Kommunikationskanal?

Es ist eine Chance, sich und seine Inhalte zu transportieren, sich auszutauschen.

Sie haben selbst schon Anfeindungen im Netz, sogenannte Shitstorms, erlebt. Haben Sie nie überlegt, sich der virtuellen Welt wieder zu entziehen? Zumindest teil- oder zeitweise?

Nein. Das ist nicht mein Zugang zur Politik. Politik profitiert immer von Austausch und von Meinungsfreiheit. Das ist nicht immer angenehm. Es können Postings nicht gefallen, das ist das eine. Ich ziehe dann eine klare Trennlinie, wenn Postings strafrechtlich relevant sind. Wenn antisemitische oder andere Kommentare auf meiner Seite sind, was immer wieder der Fall ist, werden diese zur Anzeige gebracht.

Tippt oder telefoniert Sebastian Kurz?

Ich bin ein SMS-Schreiber. Insbesondere mit meinem Team kommuniziere ich hauptsächlich den ganzen Tag mit SMS.

Warum nicht per eMail?

Ist eine gute Frage. Ich bin ein SMS-Kommunikator. Ich lese viel online. Nur lange Texte und Zeitungen sind mir haptisch auf Papier lieber.

Immer wieder ist die Rede von abhörsicheren Handys für Politiker …

Wir bemühen uns, möglichst gut ausgerüstet zu sein als Ministerium. Absolute Sicherheit gibt es nie. Gewisse Kommunikationswege wie Whatsapp benutze ich nicht.Sie haben in den letzten Tagen mit österreichischen Start-up-Unternehmer das Silicon Valley besucht. Können Sie für sich Gründe ausmachen, warum die Amerikaner so erfolgreich sind?

Wenn wir unseren Wohlstand in Österreich halten wollen, dürfen wir gewisse Trends nicht verschlafen. Wir dürfen uns nicht vor der Digitalisierung fürchten, sondern müssen sie aktiv zu unserem Vorteil nutzen. Das ist meiner Meinung nach die Kernaufgabe der Politik. Warum die USA so erfolgreich sind? Das hat, denke ich, auch mit unserer Kultur zu tun.

Kultur als Erfolgskomponente – mehr American Way of Life?

Wenn ein HTL-Absolvent nach der Schule eine gute Idee hat, sich selbstständig machen will, würde man ihm in Österreich wahrscheinlich raten: Geh in ein ordentliches Unternehmen, arbeite dort ein paar Jahre. Wenn man in Amerika eine gute Idee hat, sind viele der Meinung, es wäre ein Verbrechen, sie nicht auszuführen. Wir brauchen mehr Mut zu Eigenverantwortung und Unternehmertum. Wir brauchen eine bessere Kultur des Scheiterns.

Das heißt konkret?

Es muss okay sein, wenn eine Idee, ein Projekt nicht funktioniert – und zwar ohne dann ein Leben lang stigmatisiert zu sein. Zudem müssen wir unseren Standort attraktiver gestalten. Alle Prognosen sagen, dass meine Generation den Wohlstand der Eltern nicht wird halten können. Die starke Abhängigkeit vom Gas aus Russland, Erdöl aus den Golfstaaten und Technologie aus den USA ist nichts, womit wir uns abfinden dürfen.

Wäre die Metapher zulässig, dass Sie ein Start-up-Politiker waren oder sind?

(schmunzelt) Für das Staatssekretariat für Integration ist der Begriff zulässig. Wir haben gestartet ohne Büros, etabliertem Beamten-Stab, … Ja, das Staatssekretariat war so gesehen definitiv ein Start-up im politischen Bereich.

Die Elite-Universität Stanford gehört zum Prestige des Silicon Valleys. Haben Sie je darüber nachgedacht, ob Sie Rechtswissenschaften fertig studieren werden bzw. wollen?

Ich habe den Großteil meines Jus-Studiums erledigt. Der Teil, der noch fehlt, muss noch gemacht werden. Momentan fehlt die Zeit dafür, aber irgendwann werde ich das Studium jedenfalls abschließen! Es war immer ein Ziel, einen MBA in den USA zu machen. Mal schauen, ob es dazu noch kommt.

Denkmöglich, dass Sebastian Kurz ein eigenes Start-up gründet?

Ich werde jedenfalls in meinem Leben auch noch in anderen Bereichen arbeiten. Und das ist auch gut so. Die Lebenssituation für junge Menschen hat sich stark verändert. Wir arbeiten nicht mehr ein Leben lang in einem Bereich oder einer Branche. Solange ich Freude an der Politik habe und gestalten kann, bin ich aktiv. Jedenfalls wird es aber danach auch eine Zeit für ganz andere Aufgaben geben.

24 Stunden New York – prall gefüllt mit Terminen am Rande einer UNO-Konferenz mit Medien und Ministerkollegen von Schwedens Margot Wallström bis Irans Javad Zarif. Weiterflug an die Westküste, Ziel: Silicon Valley, Stanford und NASA. Für die verbleibenden 72 Stunden stehen mehr als ein Dutzend Meetings mit Managern, Wissenschaftern und Start-up-Pionieren auf dem Kalender. Ähnlich bunt und knapp taktet nur Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl sein Arbeitsprogramm als Türöffner für Österreichs Exporteure auf Auslandsreisen. Aber warum grast Österreichs Außenminister bei seinem US-Trip nicht nur Kollegen, sondern im Stundentakt auch Manager bei Facebook und Google ab?

Kontaktpflege mit den neuen Großmächten der (Daten-)Welt gehört hinter den Kulissen zum Fixprogramm seit Kurz die Führung im Außenamt übernommen hat. Offiziell war er erstmals im Herbst 2014 bei Facebook vorstellig. Anlass: Der IS nutzt soziale Netzwerke wie Facebook und Video-Plattformen wie YouTube massiv, um auch hierzulande "Foreign Fighters " zu rekrutieren. Kurz’ Mission: Das Internet soll ein freier, aber kein rechtsfreier Raum bleiben. Wer zu Recht Kinderpornografie untersagt, soll auch Werbung für Terror unterbinden.

Kämpferische Töne aber meidet der heimische Chefdiplomat. Österreichs dürre Faust gegen Global Player wie Facebook oder Google zu heben, wäre nicht nur lächerlich, sondern auch nutzlos. Ein Kräftemessen in den zunehmend offenen wirtschaftspolitischen Fragen macht nur auf EU-Ebene Sinn: In der Internet-Industrie werden Milliarden verdient, Steuerzahlungen aber trickreich vermieden. Privater Datenschutz nach europäischen Standards bleibt nach wie ein Fremdwort.

Giganten aus der Garage

Das kleine Österreich allein plagt aber nicht zuvorderst die Dominanz der Internet-Giganten. Es leidet zunehmend am Mangel jenes Spirits, der Unternehmen wie diese erst groß werden ließ. Die weltweiten Giganten wie Microsoft, Google oder Facebook sind im kalifornischen Silicon Valley alle als Garagen-Firmen gestartet.

"Wenn wir unseren Wohlstand in Österreich halten wollen, dürfen wir uns nicht vor der Digitalisierung fürchten, sondern müssen sie aktiv zu unserem Vorteil nutzen. Das ist die Kernaufgabe der Politik", proklamiert Sebastian Kurz im KURIER-Interview. "Warum die USA so erfolgreich sind?", fragt er rhetorisch und kleidet die Antwort diplomatisch:"Das hat, denke ich, auch mit unserer Kultur zu tun." Vor allem mit mangelndem unternehmerischen Mut, nicht zuletzt auch dem zum Scheitern.

Österreichs neuer Chefdiplomat macht mit seiner jüngsten US-Stippvisite sichtbar, was moderne Außenpolitik über konventionelle Beziehungspflege hinaus ausmacht und Politik generell leisten müsste: Österreichs Spitzenrepräsentanten machen wo immer sie können für einen offenen Blick nach Draußen Stimmung. Die sinnlose Abschottung nach Außen und das Schüren von lähmenden Ängsten überlassen sie allein den Ewiggestrigen.

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