Schulisches Sprachbad mit Socken

Deutschunterricht in der NMS Pfeilgasse
In einer Wiener Schule lernen Flüchtlinge Deutsch so, wie man als Kleinkind die Muttersprache lernt.

Sami zappelt, zieht mit der PC-Maus Socken auf die Figur, die ebenfalls auf dem Bildschirm zu sehen ist. Als nächstes will die Stimme aus dem Kopfhörer, dass Sami der Figur ein Hemd anzieht. Gesagt – getan. Sami weiß, was ein Hemd ist, klickt auf den Bildschirm, sagt leise: "Hemd". Sami ist einer von 180 Schülern der Neuen Mittelschule (NMS) Pfeilgasse in Wien. Einer, der wie ein Viertel seiner Kollegen fremd ist in dieser Stadt. In diesem Land. Albanien ist seine Heimat. Eine Abschiebung hat er mit seinen elf Jahren bereits hinter sich. Jetzt sitzt er da, im Computerraum der Schule, und übt mittels Lernsoftware Deutsch. Zwei Köpfe größer und zwei Jahre älter neben ihm: Raouf. Der Afghane hilft Sami auf die Frage hin, seit wann er in Österreich ist, auf die Sprünge: "Jetzt wieder seit fünf Monaten."

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Neualphabetisierung

Seit einem Jahr gibt Karoline Ehrlich den Kindern Sprachförderunterricht nach der Immersion-Methode. "Die meisten müssen nicht umalphabetisiert, sondern neu alphabetisiert werden", sagt Ehrlich. Die Germanistin bringt Sami, Raouf und den syrischen Mädchen, die bis vor Kurzem und damit bis zum 13. Lebensjahr nie eine Schule von innen gesehen haben, Deutsch bei. Und zwar so, als wäre es ihre Muttersprache. "Die Immersionsmethode lässt sich am Besten mit Sprachbad übersetzen. Es geht um das Erlernen einer zweiten Sprache, als wäre sie die erste. Statt wie bei traditionellen Methoden erst Grammatik und Vokabel zu lernen und sie dann deduktiv anzuwenden, gehen wir den umgekehrten Weg."

Dabei werde die intuitive Grammatik gefördert. Die Vorteile der Immersion: Die Sprache ist schneller verfügbar, die Kinder können sich leichter untereinander verständigen und dem Stoff anderer Schulfächer rascher folgen. Das "Sprachbad" nehmen auch jene Syrer und Afghanen, die bis zu ihrer Flucht nach Österreich in ihrer Heimat gearbeitet haben. Zwei von ihnen im Bergwerk.

Geübt wird in einem Zimmer neben dem Computerraum, statt alleine gemeinsam. Statt mit Software mit Karten. Statt um Dinge geht es jetzt um Artikel und Präpositionen. Statt leise nachzusprechen wird jetzt laut mitgerufen. "Wir gehen zu der Tante", "Ich fahre nach Hause".

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"Das Um und Auf ", sagt Ehrlich, "ist das regelmäßige Üben. Reden, ohne Angst zu haben, ein Wort falsch zu gebrauchen." Die Migrantin zweiter Generation – ihre Mutter kam aus Serbien nach Österreich – weiß, wovon sie spricht. Dass in jedem Fach nur Deutsch gesprochen wird, darauf legt das gesamte Lehrer-Kollegium Wert. Dass die Kinder in den Pausen auf dem Schulhof schnell in ihre Muttersprachen wie Farsi (Iran) oder Dari (Afghanistan) wechseln, könne nicht verhindert werden. Ehrlich: "Aber manche bemühen sich schon, es nicht zu tun. Im Unterricht selbst darf die Erstsprache jedenfalls nicht zur Übersetzung der Zweitsprache, also Deutsch, dienen."

Intuition

Bestes Beispiel dafür, dass mehr Intuition als Instruktion beim Spracherwerb funktioniert, ist Helen. Die elfjährige Ägypterin ist seit zehn Monaten in Österreich, seit sieben Monaten in der NMS – und spricht mit leichtem Akzent erstaunlich gut Deutsch.

Helens Ziel wie das ihrer Kollegen ist es, bald nicht mehr den Status des Flüchtlings oder des außerordentlichen Schülers zu haben – sondern beurteilt zu werden. "Ich möchte ein Zeugnis", sagt Helen. Damit das im nächsten Schuljahr gelingt, müssen die Kinder verpflichtend über die Ferienmonate Deutschkurse besuchen.

Immersion. Beim Konzept der Immersion (lat. immersio für ein-, untertauchen daher als „Sprachbad“ übersetzt) verzichtet man im Gegensatz zu anderen Fremdsprach-Methoden auf das strikte Auswendiglernen von Grammatik, Vokabeln und Synthax. Die neue, fremde Sprache wird gelernt wie als Kleinkind die Muttersprache. Da während des Unterrichtes nur die zu erlernende Sprache gesprochen und nicht übersetzt wird, lernen die Kinder gleichsam intuitiv und beiläufig. In Kanada wird seit jeher in Kindergärten und Schulen nach den Prinzipien der Immersion französisch und englisch gelehrt wie gelernt. In Schulen in den Niederlanden und Deutschland wie in der Flüchtlingshilfe wird die Methode erfolgreich angewandt. In der Neuen Mittelschule Pfeilgasse unterrichtet Germanistin Karoline Ehrlich seit vergangenem Schuljahr nach der Immersionsmethode.

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