Schlagabtausch über Islamisierung und den Untergang Europas

Streitgespräch zwischen Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ).
Kein Thema polarisierte 2015 mehr als die Flüchtlingskrise. Zum ersten Mal diskutieren Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache über das Reizthema Asyl.

KURIER: In der Flüchtlingsfrage haben 2015 vor allem drei Worte das Geschehen geprägt: "Wir schaffen das." Waren das die mutigsten oder die naivsten Worte von Angela Merkel?

Reinhold Mitterlehner: Es waren sicherlich mutige Worte, die einer bestimmten Helfertradition in Deutschland entsprechen. Doch nun erweckt die Problematik den Anschein, dass wir den Flüchtlingsstrom kaum mehr bewältigen können. Ja, diese Worte waren sehr mutig. Aber wir in Österreich haben keine Einladung ausgesprochen. Daher braucht es eine Überprüfung, ob die mit dem Zitat verbundene Politik noch der Realität entspricht.

Heinz-Christian Strache: Ich bezeichne die drei Worte als naiv, unverantwortlich und gefährlich. Warum? Nur 20 Prozent der Flüchtlinge geben an, aus dem syrisch-irakischen Kriegsgebiet geflohen zu sein. Von diesen 20 Prozent wissen wir, ist ein hoher Anteil mit gefälschten Pässen unterwegs. Der Rest kommt aus aller Herrgott Länder. Da muss man schon fragen: Wer hat hier versagt in der EU? Warum waren wir nicht bereit, die Grenzen dicht zu machen, um die eigene Bevölkerung vor der Völkerwanderung zu schützen? Warum gibt es bis heute keine Passkontrollen? Warum macht man keine Fingerprints und Fotos?

Herr Mitterlehner, können Sie Vorwürfe von Herrn Strache gegenüber Ihrer Parteikollegin Angela Merkel so einfach im Raum stehen lassen?

Mitterlehner: Ich bleibe dabei, dass die Worte mutig waren. Mein Zugang ist jedoch ein anderer: Wir haben ein strenges Asylrecht, wo jeder Einzelfall überprüft wird. Es stimmt auch nicht, dass es keine Registrierung gibt. Sie beginnt bereits in Griechenland. Zusätzlich gibt es die Schleierfahndung, die sehr gut funktioniert. Ich vertraue hier den EU-Systemen und der Polizei. Es mag da und dort Kriminelle geben, die die Gelegenheit ausnutzen, um im Flüchtlingsstrom nach Europa zu gelangen. Das ist die Ausnahme – aber genau diese Situation macht es so schwierig, den richtigen Weg zu finden. Der richtige Weg wird ein Weg der Vernunft sein. Diejenigen, die Schutz brauchen, sollen ihn bekommen. Aber für Wirtschaftsflüchtlinge gibt es keine Zukunft in Europa.

Beim letzten EU-Gipfel wurde nur eine bessere EU-Außengrenzsicherung fixiert, die ist erst in sechs Monaten einsatzbereit. Kann man da wirklich in die EU-Systeme vertrauen?

Mitterlehner: Ich vertraue auf die Systeme, was Überwachung und Kontrolle betrifft. Aber es steht außer Frage, dass die EU deutlich schneller reagieren muss. Wir haben nur wenige Monate Zeit, um funktionierende EU-Außengrenzen herzustellen. Eine Denkpause bis Februar einzulegen, können wir uns daher nicht leisten. Spätestens im März kommen die nächsten größeren Flüchtlingsgruppen. Erleben wir im März die gleiche Situation wie 2015, wird der Bürger noch ein größeres Misstrauen gegen die EU haben.

"Die EU löst die Probleme nicht, sie schafft sie."

Strache: Deswegen halte ich immer fest, die EU löst nicht Probleme, sondern schafft sie. Man erlebt derzeit eine Entdemokratisierung, wo Entscheidungen gegen den Willen der Bevölkerung getroffen werden. Zusätzlich bricht man sogar eigene Gesetze wie Dublin II und III, die man sich selbst auferlegt hat.

Mitterlehner: Egal, ob es sich um Flüchtlinge oder das Klima handelt – ein Land alleine kann das Thema nicht lösen. Hier ist die internationale Solidarität gefordert. Es ist eine Illusion zu glauben, wenn Orbán einen Zaun rund um Ungarn baut, ist das Problem gelöst. Er hat es vielleicht für sich selber gelöst, nur das kann nicht jedes Land so machen. Ansonsten bleibt die EU auf der Strecke.

Schlagabtausch über Islamisierung und den Untergang Europas
Streitgespräch zwischen Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Abgeordnetensprechzimmer im Parlament. Wien, 18.12.2015

Strache: Da muss ich widersprechen. Durch die fatale Entscheidung von Merkel droht Europa unterzugehen. Es gibt zwei Wege in Europa. Es gibt den Weg Merkels: Sie steht für eine Masseneinwanderung. Es gibt den Weg anderer europäischer Staaten. Das ist ja nicht nur Orbán. Da gibt es die Slowakei, England, Polen und jetzt auch Schweden, die zu Recht sagen, wir müssen die Festung Europa sicher- stellen, weil es hier zu einer neuen Landnahme und Islamisierung kommt. Zusätzlich kommt eine neue Welle der Belastungen durch Arbeitslosigkeit, höhere Steuern, auf uns zu. Da muss man die Fragen stellen: Wo ist die Grenze?

Herr Mitterlehner, Sie nennen nun rund 100.000 Flüchtlinge als Obergrenze. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Mitterlehner: Im genannten Rahmen, plus-minus einer bestimmten Bandbreite, sehe ich eine kapazitätsorientierte Obergrenze, die sich nach den im Land verfügbaren Räumlichkeiten richtet. Wenn wir Zelte und Notlager in Turnhallen brauchen, stoßen wir schon jetzt an unsere Grenzen und können daher nicht jedes Jahr die gleiche Zahl dazuschlagen. Das würde Österreich überfordern, auch was die spätere Integration betrifft.

"Wer unsere Werte nicht will, muss woanders hingehen."

Was aber die Islamisierung betrifft, sehe ich die Bedrohung nicht. 80- bis 90.000 Flüchtlinge sind rund ein Prozent der Bevölkerung. Als offene Gesellschaft können wird das derzeit noch verkraften, wenn die Spielregeln des Rechtsstaates anerkannt werden. Wir brauchen keine Parallelgesellschaft. Wer unsere Werte nicht will, muss woanders hingehen.

Strache: Ich höre die Worte, aber in der Realität fehlt mir der Glaube. Nur um die Dimensionen einordnen zu können: Allein jene 90.000 Flüchtlinge, die 2015 zu uns gekommen sind, sind mehr, als Kinder in Österreich 2015 zur Welt kamen. In Wien erleben wir ja die Fehlentwicklung bereits mit 150 islamischen Kindergärten. Hier wachsen über 10.000 Kinder in islamischen Strukturen auf, wo zum Teil radikal islamistische Gegengesellschaften aufgebaut werden.

Wie will die Regierung Werte einfordern, wenn schon der Zaun zur Lachnummer wird?

Mitterlehner: Der Zaunbau war eine Notmaßnahme. Aber durch den Zaun ist wenigstens die europäische Diskussion intensiver in Gang gekommen. Ich halte nichts von ihrer Idee, einen Zaun rund um Österreich zu bauen. Das hört sich zunächst gut an, ist aber in der Praxis nicht umsetzbar.

Schlagabtausch über Islamisierung und den Untergang Europas
Streitgespräch zwischen Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Abgeordnetensprechzimmer im Parlament. Wien, 18.12.2015

Strache: Es geht nicht um einen Zaun um ganz Österreich. Wir brauchen einen Zaun nur dort, wo es überhaupt möglich und sinnvoll ist. Dazu gehören aber auch Grenzpatrouillen, damit die Sicherung glaubhaft ist. Das leben andere Ländern vor.

Mitterlehner: Welche denn?

Strache: Muss ich jetzt wirklich Israel oder Ungarn nennen? Die haben sogar billiger gebaut als wir. Wenn ich den Kilometerbaupreis des Hasenstallzauns in Spielfeld mit dem israelischen Kilometer vergleiche, dann sehe ich, dass dieser um das 20-Fache günstiger ist. Aber der israelische Zaun ist acht Meter hoch, besteht aus Stacheldraht und Betonverankerung.

Das heißt, Sie wollen einen Stacheldrahtzaun?

Strache: Nein. Aber bitte auch keinen Zaun, wo man unten durchschlüpfen und den man mit einem Nagelzwicker problemlos aufzwicken kann.

Mitterlehner: Ich möchte jetzt nicht auf die Zauntechnik eingehen. Die Lösung kann es nur an den Außengrenzen geben. Hier muss auch registriert und kontrolliert werden. Der zweite Lösungsansatz muss in Syrien und in der Türkei passieren. Dort ist es natürlich am schwierigsten.

Schlagabtausch über Islamisierung und den Untergang Europas
Streitgespräch zwischen Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Abgeordnetensprechzimmer im Parlament. Wien, 18.12.2015

Strache: Dann braucht es auch den politischen Willen, dass die Illegalen an den Außengrenzen abgewiesen werden. Das passiert weder an den Außengrenzen noch an den österreichischen Grenzen.

Wann wird Marine Le Pen das erste Mal als Staatsoberhaupt an einem EU-Gipfel teilnehmen?

Strache: Ich bin kein Hellseher. Innerhalb aller europäischen Länder werden die Bürger aufgrund gewisser EU-politischer Fehlentwicklungen ein Umdenken verlangen. Ich denke, Marine Le Pen hat gute Chancen, in eine Stichwahl zu kommen und möglicherweise auch die Präsidentschaftswahl zu gewinnen.

Schlagabtausch über Islamisierung und den Untergang Europas
Streitgespräch zwischen Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Abgeordnetensprechzimmer im Parlament. Wien, 18.12.2015

Mitterlehner: Je komplexer die Probleme werden und je internationaler vernetzt die Thematik ist, desto mehr sehnt sich der Bürger nach einfachen Lösungen und nach Abschottung. Frau Le Pen und andere Parteien signalisieren das. Ich würde es nicht ausschließen, dass Le Pen irgendwo einmal auf EU-Ebene vertreten sein wird. Aber in der Realität fehlen diesen Parteien die anderen Rezepte. Auch die FPÖ kocht nur mit Wasser. Das wird der Bürger irgendwann spüren.

Strache: Da gebe ich Ihnen recht: Wir kochen alle mit Wasser. Entscheidend ist das Rezept. Das eine Rezept ist, alle reinzulassen. Das andere Rezepte ist, diejenigen, die nicht herein gehören, draußen zu lassen. Das ist eine einfache politische Wertungsfrage: Was will ich als Bürger? Deswegen wären Neuwahlen nötig. Diesen Kurs bis 2018 fortzusetzen, ohne die Bevölkerung zu fragen, ist unverantwortlich.

Fürchten Sie nicht, dass Ihnen Sebastian Kurz, der sich in der Asylfrage wie ein FPÖ-Echo mit Schalldämpfer anhört, den Rang ablaufen könnte?

Strache:(lacht) Die Menschen wissen, wo das Original ist. Sie wählen den Schmied und nicht den Schmiedl. Gerade Kurz ist das Sinnbild dafür, dass die islamischen Kindergärten von der ÖVP-Wien unterstützt wurden. Als wir davor gewarnt haben, wurden wir verurteilt – auch von der ÖVP-Wien. Jahre später übernimmt man die freiheitlichen Forderungen, aber setzt keine Handlungen. Das ist nicht glaubwürdig. Die Menschen wissen, wer die Probleme schon immer kritisiert und recht behalten hat.

Mitterlehner: Ganz ehrlich. Die anderen Rezepte habe ich von der FPÖ noch nicht gesehen – weder von Herrn Tschürtz im Burgenland und auch nicht vom Herrn Haimbuchner in Oberösterreich. Das wird der Bürger auch begreifen. Daher sehe ich dem relativ gelassen entgegen, wer wirklich die besseren Konzepte hat. In diesem Punkt bin ich sehr optimistisch, dass man der ÖVP das Vertrauen gibt.

Herr Strache, wenn Sie ohnehin die besseren politischen Rezepte für die Flüchtlingsfrage haben, warum greifen Sie bei Debatten zu Sätzen wie: "Wir züchten uns Kopfabschneider heran"?

Strache: Weil man das nicht so verkürzt darstellen darf, wie Sie das jetzt machen. Es ist leider die Wahrheit. Und die Wahrheit ist zumutbar. Wenn wir erleben, dass 170 Österreicher mit Migrationshintergrund in Parallelgesellschaften groß geworden sind, und in Folge als islamische Staatskämpfer, Terroristen und Kopfabschneider tätig werden, ist es ein hausgemachtes Problem.

"Müssen bereit sein, islamistische Vereine zu verbieten und Hassprediger auszuweisen."

Deswegen müssen wir bereit sein, islamistische Vereine zu verbieten und Hassprediger auszuweisen. Ich frage mich, warum das nicht schon passiert.

Mitterlehner: Ich glaube schon, dass man in dieser Frage die internationale Zusammenarbeit und die Aufklärung verbessern muss. Andererseits gibt es auch in unserer Gesellschaft Menschen, die bei uns gegen Leib und Leben verstoßen. Beim Umgang mit IS-Heimkehrern würde ich daher den Sicherheitsdiensten und dem Rechtsstaat vertrauen. Wir müssen immer am Boden der Gesetze bleiben.

Strache: Genau da würde ich ansetzen. Jeder österreichische Staatsbürger, der in einer fremden Armee dient, verliert seine Staatsbürgerschaft. Nur wenn man für IS oder Al Kaida kämpft, verliert man sie nicht.

Sie wissen, dass das völkerrechtlich nicht geht...

Strache: Das geht sehr wohl. Man muss nur wollen. Man könnte auch jene, die den Dschihad verherrlichen und in Syrien mitkämpfen, sofort unter Strafe stellen. Dann würden jetzt nicht 70 Syrien-Rückkehrer als tickende Zeitbomben unter uns herumlaufen.

"Herr Strache, wir haben ein paar Rechtsprinzipien."

Mitterlehner: Herr Strache, wir haben ein paar Rechtsprinzipien. Eines heißt: Keine Strafe ohne Schuld. Der Rechtsstaat muss die Schuld nachweisen.

Herr Mitterlehner, es wundert mich, dass Sie die Ausdrucksweise von Herrn Strache, wenn er von Kopfabschneidern spricht, nicht kritisieren ...

Mitterlehner: Das ist nicht meine Ausdrucksweise. Ich habe ausführlich dargestellt, dass ich gegen Verallgemeinerungen bin, was Flüchtlinge und Terroristen betrifft. Hier darf man die Themen nicht vermischen. Wie sich Herr Strache so ausdrückt, hat er selbst zu verantworten.

Zum Finale eine ganz andere Frage: Was schätzen Sie als Politiker aneinander?

Schlagabtausch über Islamisierung und den Untergang Europas
Streitgespräch zwischen Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Abgeordnetensprechzimmer im Parlament. Wien, 18.12.2015

Mitterlehner: Ich kann mit Herrn Strache sehr sachlich diskutieren. Wir hatten nie eine gröbere persönliche Auseinandersetzung, trotzdem haben wir unterschiedliche Positionen.

Strache: Das ist genau der Punkt. Ich schätze Herrn Mitterlehner als Mensch, der zu seinen Anschauungen steht, und diese sachlich in seiner gewohnten Art vorträgt. Mit Mitterlehner kann man trefflich streiten, aber er geht nicht in einer primitiven, untergriffigen Art gegen Andersdenkende vor. Zwischen uns besteht ein Respekt, der auch gelebt wird.

Also deutlich besser als mit Faymann?

Strache: Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Mitterlehner: Das Wort Respekt kann ich bestätigen. Daraus können Sie aber nicht ableiten, dass wir schon Fragen für eine Koalition in der Zukunft geklärt hätten. Wir verstehen uns ganz normal, das sollte in einem politischen Spektrum möglich sein.

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