Schelling-Brief: "Ich bin zunehmend frustriert"

Hans Jörg Schelling hat auch eine gute Nachricht: Defizit 2015 ist niedriger als geplant
Minister urgiert "faire Lastenverteilung" und fordert von der EU 600 Mio. für Asylkosten.

In Brüssel herrscht Aufregung über ein ungewöhnlich kritisches Schreiben von Finanzminister Hans Jörg Schelling, gerichtet an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Vize-Präsidentin Kristalina Georgieva.

Der mit 25. Jänner datierte und in Englisch verfasste Brief liegt dem KURIER vor. Das Finanzministerium bestätigt dessen Echtheit, auf Nachfrage heißt es in Schellings Kabinett: "Es geht darum, nochmals zu verdeutlichen, dass die Last eines gesamteuropäischen Problems nicht von zwei, drei Ländern getragen werden kann."

Das Schreiben ist dreigeteilt: Nach einem Problemaufriss zur Flüchtlingskrise, die herausfordernder, sprich gefährlicher für die EU sei als die Finanzkrise, folgen herbe Kritik an der Kommission und klare Forderungen an Juncker. Im Kern verlangt Schelling substanziell mehr Geld für die "willigen" Länder, die über Gebühr Flüchtlinge aufnehmen – gemeint sind Schweden, Deutschland und Österreich. Konkret nennt Schelling dabei die Summe von 600 Millionen Euro, die Österreich im Vorjahr an Zusatzkosten für Asylwerber zu tragen hatte.

Die Rechnung dahinter: Im Durchschnitt gelten rund 35.000 Asylwerber pro Jahr für Österreich verkraftbar, schreibt Schelling.

Im Vorjahr wären jedoch 90.000 Asylwerber gekommen, also quasi um 55.000 "zu viel". Bei Kosten je Flüchtling von 11.000 Euro ergäbe das die Zusatzbelastung von grob 600 Millionen.

Schelling fordert nicht nur erneut, diese Extraausgaben nicht beim Defizit anzurechnen, er will dieses Geld jetzt tatsächlich zurück. Und zwar durch die kräftige ...

... Aufstockung des speziell dafür eingerichteten EU-Fonds AMIF ("Asylum, Migration and Integrations Fund"), samt eines neuen Fonds-Verteilungsschlüssels zugunsten der "willigen" Länder. Finanziert durch die

... Umschichtung von Geldern aus dem EU-Solidaritätsfonds (für Naturkatastrophen, Anm.) sowie der zusätzlichen

... Auszahlung von nicht verbrauchten EU-Budgetmitteln an die besagten Länder.

Schelling "hofft ernsthaft", dass die Kommission seine Überlegungen prüft. Er werde seine Vorschläge jedenfalls seinen Kollegen bei den nächsten Finanzministertreffen unterbreiten.

Speziell im Kritik-Teil des Briefes (siehe Faksimile) zeigt sich Schelling "persönlich zunehmend frustriert" über die "riesigen Probleme" der EU, wenn gemeinsame Aktionen und ebensolche Lösungen nötig wären. Es sei, was die Flüchtlingskrise angehe, "hoch an der Zeit", dass die EU-Kommission wieder zu "ihrer normalen Funktion einer unabhängigen Institution zurückkehrt, die die allgemeinen Gemeinschaftsinteressen vertritt und auch so zu handeln beginnt."

Schelling fordert Juncker "dringend" auf, finanzielle Anreize für die willigen Flüchtlingsländer zu setzen. Denn es müsse "wesentlich mehr" getan werden, um eine "faire Lastenverteilung" unter den Mitgliedstaaten sicherzustellen.

Schelling-Brief: "Ich bin zunehmend frustriert"
Faksimile IPOL 6.2.2016

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