Rote Rezepte gegen den Konjunktureinbruch

Andreas Schieder und Werner Faymann
Werner Faymann will private Investitionen ankurbeln und Fiskalregeln lockern. Andreas Schieder will zudem Firmengründungen erleichtern.

Steigende Arbeitslosigkeit, einbrechende Konjunktur: bei den Sozialdemokraten schrillen die Alarmglocken. Gegensteuern ist angesagt. Dass die ÖVP das Volumen der Lohn- und Einkommensteuersenkung von fünf auf 3,5 Milliarden Euro verringern will, hält die SPÖ angesichts der trüben Wirtschaftsaussichten für falsch. "Wir wollen 5,9 Milliarden und haben gute Gründe dafür", sagt Kanzler Werner Faymann. Auch der Chef der roten Gewerkschafter, Wolfgang Katzian, lehnt den ÖVP-Plan strikt ab. Wenn die ÖVP zusätzlich zur Arbeitnehmerentlastung auch eine Abgabenentlastung für Unternehmen wolle, dann müsse das Volumen für die Steuerreform eben größer ausfallen und sieben Milliarden betragen, so Katzian.

Tarife senken

SPÖ-Klubchef Andreas Schieder verweist auf den breiten, fünf Parteien umfassenden Konsens im Parlament, den Eingangssteuersatz von 36,5 auf 25 Prozent zu senken. Damit würden nicht nur Arbeitnehmer entlastet, sondern auch die vielen Einzelunternehmer.

"Kleine und mittlere Einkommensbezieher sollen mehr Geld zur Verfügung haben, erstens, weil sie es sich verdient haben, und zweitens, weil sie es ausgeben und damit die Wirtschaft unterstützen", sagt Schieder. Eine baldige Steuersenkung ist für die SPÖ eine wichtige, aber nicht die einzige Maßnahme, um gegen die Wirtschaftsflaute anzukämpfen. Im Interview mit dem KURIER macht der SPÖ-Klubobmann weitere Vorschläge.

Bezugnehmend auf die "golden rule", die von den Sozialdemokraten auf europäischer Ebene forciert wird (siehe Seite 3), schlägt Schieder vor, mit der Herausnahme von Investitionen aus dem Budget neuen Spielraum für Ausgaben zu schaffen. So sollten etwa die Bahntunnel (Koralm, Semmering, Brenner), der Breitbandausbau und bestimmte, klar definierte Forschungsausgaben nicht zu den Staatsschulden gerechnet werden.

Entrümpeln

Als dritte Maßnahme neben einer Tarifsenkung und öffentlichen Investitionen tritt Schieder dafür ein, Betriebsgründungen zu erleichtern. Kürzlich hat die Weltbank in einer Studie festgestellt, dass Österreich bei Betriebsgründungen nur auf Platz 101 von 189 Ländern liegt: Während man in Österreich 22 Tage braucht, um ein Unternehmen zu gründen, sind es im OECD-Schnitt nur 9,2 Tage. Besonders lange dauern etwa Baugenehmigungen.

Schieder sagt, man solle die Gewerbeordnung liberalisieren und die Bauordnungen entrümpeln. Bei Letzteren sei Österreich "leider ein Fleckerlteppich", weil es neun verschiedene Bauordnungen gibt. Die Standards bei Umwelt und Sicherheit sollten nicht sinken, aber man solle nach überholten Vorschriften fahnden. Schieder: "Es gibt sicher protektionistische Bestimmungen oder physikalisch überholte Vorschriften, die man beseitigen kann."

Generell plädiert Schieder für einen "Kulturwandel" im Verhältnis zwischen Unternehmern und Beamten. Man müsse "im Kopf einen Schalter umlegen". Schieder: "Betriebsgründer sollten Finanzbeamte nicht als Kontrollore empfinden, sondern als Ratgeber, damit sie später keine negativen Überraschungen erleben. Umgekehrt sollten sich Finanzbeamte als Partner und nicht als Kontrollore benehmen."

Know-how schützen

Nicht zuletzt will Schieder ein "Rot-Weiß-Rot-Paket", um österreichische Unternehmen zu sichern. Schlüsselbetriebe und österreichisches Know-how sollten "vor Übernahmen geschützt werden". Laut Schieder könnten diese Aufgabe sowohl die Staatsholding ÖIAG als auch Private übernehmen. So kann sich Schieder einen Fonds österreichischer Banken für strategische Beteiligungen oder auch Mitarbeiterbeteiligungen wie bei der Voest oder dem Flughafen vorstellen. Schieder: "Wir müssen österreichisches Know-how sichern."

Jetzt hilft kein Reden mehr, handeln ist angesagt: Angesichts der trüben Wirtschaftslage und 26 Millionen Arbeitsloser in der EU, kommen heute, Freitag, auf Einladung von Bundeskanzler Werner Faymann, der französische Premier Manuel Valls, Deutschlands Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sowie Parlamentspräsident Martin Schulz in Wien zusammen.

Die roten Spitzenpolitiker werden bei ihrem Treffen folgende Punkte behandeln und danach auf rasche Umsetzung in der EU drängen:

300 Milliarden Investitionen: Für das von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagene Paket sollen konkrete Projekte definiert werden. Eine Taskforce in Brüssel arbeitet bereits und sammelt Pläne. "300 Milliarden Euro Investitionen sind weniger als 20 Prozent des Geldes, das für die Banken möglich war", sagt Faymann zum KURIER. Seit 2008 wurden in der EU 1600 Milliarden Euro zu Stützung der Banken aufgewendet.

EU-Projekte von gemeinsamem Interesse, Energieversorgung sowie der Ausbau der Straßen- und Schienennetze sollen beschleunigt realisiert werden.

Fiskalregeln & Golden Rule: Hier wird unter anderem eine stärkere investitionsorientierte Flexibilität bei den Fiskalregeln diskutiert. Es ist kein Geheimnis, dass vor allem Frankreich und Italien eine flexible Anwendung des Fiskalpaktes verlangen. Konkret geht es darum, Investitionen zu definieren, die nicht in das Budgetdefizit hineingerechnet werden. Paris will, dass Investitionen in Infrastruktur, Forschung, neue Technologie und Bildung nicht für das Defizit angerechnet werden.

Sozialdemokraten setzen sich auch für die "Goldene Regel der Finanzpolitik" ein. Diese besagt, dass ein Staat seine Verschuldung für sinnvolle Projekte in dem Maß ausweiten darf, weil dadurch auch sein Vermögen steigt. Auch das läuft darauf hinaus, dass die geltenden EU-Haushaltsregeln flexibler angewendet würden.

Gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Er kommentiert die Lage in der EU drastisch: "Der strikte Sparkurs hat sich als kolossaler Fehler herausgestellt und daher steht eine jahrelange Depression bevor." Er meint: Der Schuldenabbau des privaten Sektors gelang in den USA schneller, da höhere öffentliche Defizite in Kauf genommen wurden. Im Euro-Raum wurde die Erholung durch die Austeritätspolitik abgewürgt.

Private Investitionen: Die vier Sozialdemokraten schmieden auch Pläne, private Investitionen durch die Übernahme von Garantien/Haftungen zu unterstützen, etwa über die Europäische Investitionsbank. Das Ziel ist, dass dadurch Kredite günstiger bzw. mehr Kredit vergeben und dadurch mehr Investitionsprojekte realisiert werden können.

Kampf gegen Steuertricksereien: Jährlich werden 1000 Milliarden Euro in der EU an Steuern hinterzogen, rechnet die EU- Kommission vor. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will ein Ende der Steuerspar-Modelle für Konzerne.

Georg Niedermühlbichler klopft zwei Mal, doch hinter der Tür bleibt es ruhig. Als er schon weiter gehen will, geht sie doch auf. "Guten Abend. Georg Niedermühlbichler von der SPÖ", stellt sich der Landesparteisekretär vor. "Ui, das ist schlecht. Wir haben im Moment keine Zeit", sagt die junge Frau an der Tür. In ihrer Hand hält sie Muffins in Totenkopf-Form. "Für Halloween", erklärt sie. "Wollens einen probieren?"

Es ist ein kalter Herbstabend in der Wendstattgasse in Favoriten. Zwischen den schmucklosen Gemeindebauten hängt der Nebel. Einst rotes Kerngebiet, ist der Gemeindebau längst in Bewegung. 29 Prozent holte die FPÖ bei der letzten Gemeinderatswahl dort. Ein Alarmsignal.

2015 wird in Wien wieder gewählt, es wird der letzte Urnengang für Bürgermeister Michael Häupl. Und die roten Genossen müssen aufholen, glaubt man den letzten Umfragen, in denen die SPÖ nur zwischen 35 und 38 Prozent der Stimmen liegt.

Klinkenputzen

Rote Rezepte gegen den Konjunktureinbruch
45.000 Hausbesuche absolvierten die Roten im Jahr 2014, bis zur Wahl sollen es 200.000 sein. Da muss auch der Landesparteisekretär ausrücken. Die junge Frau mit den Muffins hat er noch nicht restlos überzeugt. Auf die Frage, wen sie bei der nächsten Wahl wählen würde, sagt sie lieber nichts.

Ihre Nachbarin, Frau Kogel, hat keine Muffins, dafür schlechte Laune. "Wie gefällt es ihnen hier?", fragt Niedermühlbichler. "Nicht gut. Ich fühl mich hier nicht mehr zu Hause", antwortet Frau Kogel. Früher sei es hier ruhig gewesen, aber seit der Gemeindebau für Zuwanderer geöffnet wurde, sei es damit vorbei. "Die sprechen kein Deutsch, lärmen herum."

"Wir bieten Deutschkurse an, aber es gehen leider auch viele nicht hin", sagt Niedermühlbichler. Wegen des Lärms empfiehlt er die Vermittlung der Wohnpartner.

Herr Feest wohnt ein Stockwerk tiefer. Er öffnet in kurzer Sporthose und T-Shirt. "Meine Nachbarin ist Türkin, aber mit der verstehe ich mich sehr gut. Die bringt manchmal sogar Mehlspeisen vorbei. Und laut sind sie auch nicht."

Ihn stört anderes: "Die vielen Baustellen zum Beispiel." Den Ausbau der U1 findet er positiv. Nur ein Gedanke quält ihn: "Dann werden die ganzen Pendler bei uns parken." Man werde sich das genau ansehen, verspricht Niedermühlbichler.

Feedback

"Die Hausbesuche sind auch für unser Funktionäre ganz wichtig. Sie bekommen viel Feedback, auch positives", erklärt Niedermühlbichler zwischen zwei Türen. Bei den Hausbesuchen sehe man, wie zufrieden die Menschen im Großen und Ganzen seien. "Auch Nichtwähler finden die Stadt gut." Die gelte es nun für die Wahl zu mobilisieren.

Wie bestellt öffnet sich die Lifttüre. Herr Feest hat sich eine lange Hose angezogen und geht auf Niedermühlbichler zu: "Haben Sie vielleicht eine Visitenkarte für mich?"

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