Mitterlehner: Der Doch-Noch-Parteichef

Mitterlehner: Der Doch-Noch-Parteichef
Reinhold Mitterlehner ist ein guter Kommunikator. Aber reicht das, um sich an der ÖVP-Spitze zu halten?

Es ist kurz nach neun Uhr Vormittag, er hat seine Rede noch gar nicht begonnen, und schon steht Reinhold Mitterlehner vor einer mittleren Katastrophe. Der Saal ist voll, 500 Zuhörer, der 1. Mittelstandskongress in Wien, eigentlich ein Heimspiel.

Doch ausgerechnet bei der Begrüßung des formal höchsten Politikers im Raum passiert dem Vizekanzler ein garstiger Lapsus: "Herzlich willkommen, Karlheinz Kropf!" Wie bitte? Hat der Vizekanzler den Zweiten Nationalratspräsidenten gerade "Kropf" genannt? Wie kommt er da jetzt bloß wieder raus? Mitterlehner zwinkert und sagt mit schelmischem Lächeln: "Tut mir leid, ich hab’ g’rad an die Sozialisten gedacht!" Selbstironie klappt immer. Lachen im Saal, er hat sie wieder. Und dann schwärmt er vom "Crowd Funding", erzählt von der "Entbürokratisierung" – und was das alles mit dem Sparverein daheim im Mühlviertel zu tun hat.

Am Vortag seiner Kür zum ÖVP-Chef hält der 58-Jährige eine kleine Parteitagsrede: Er wettert gegen Ineffizienzen beim AMS, kritisiert die Umverteilung auf Kosten des Mittelstandes. Es ist eine gute, eine flüssige Ansprache. 20 Minuten kurz, im Saal hört man jedes Räuspern. In Momenten wie diesen ist Mitterlehner da, wo er sein will. Er ist angekommen, sagen sie in der Partei.

Späte Kür

Wenn die ÖVP heute, Samstag, den langjährigen Wirtschaftskämmerer offiziell zu ihrem 16. Obmann wählt, ist das aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zunächst einmal übernimmt einer das Ruder, der das nicht geplant hat, oder genauer: nicht mehr plante. "Der Reinhold ist Realist. Zu mir hat er vor Monaten gesagt: ,Nach der Periode war’s das. Ich bin Minister und bald 60, was soll ich noch werden? Nächster Parteichef wird Sebastian Kurz", erzählt Josef Hintenberger. Der ÖVP-Funktionär spricht ein offenes Geheimnis aus: Mitterlehner hat nicht mit einem Aufstieg gerechnet – und ist vielleicht deshalb umso euphorischer.

Hintenberger kennt den neuen Mann an der Spitze seit Jahrzehnten, er ist Bürgermeister von Ahorn, Mitterlehners oberösterreichischer Heimatgemeinde. Wer verstehen will, wie Mitterlehner tickt, kommt nicht umhin, sich mit der 500 Bürger zählenden Ortschaft zu beschäftigen. Hier begann "Django" (Couleurname) in den 90er-Jahren als Gemeinderat; hier – bzw. im Nachbarort Helfenberg – geht der Vater dreier Mädchen zum Tarockieren ins Wirtshaus.

"Der Reinhold ist einer, der seine Wurzeln spüren muss", sagt Viktor Sigl, Landtagspräsident von Oberösterreich. Auch er kennt Mitterlehner seit einem Vierteljahrhundert. "Die erste Erinnerung ist ein Auftritt im Gasthaus." Er, Sigl, war damals Bürgermeister in Bad Kreuzen. "Reinhold sollte als Mitarbeiter von Trauner senior (früherer Präsident der OÖ-Wirtschaftskammer) bei einer Abendveranstaltung sprechen."

Leicht habe es der junge Gast nicht gehabt. "Kammer und Pflichtmitgliedschaft waren damals eher umstritten." Mitterlehner habe das nicht geschreckt. Sigl: "Er hat die Zuhörer binnen Minuten gewonnen, den Bäcker wie den Schlosser. Und er hat die Sozialpartnerschaft verteidigt." Beides blieb so bis heute.

Einfach kaltgestellt

Wesentlich unterscheidet ihn von Vorgänger Spindelegger wohl das Konfliktverhalten. "Schon in der Wirtschaftskammer hatte Mitterlehner keine Angst, Leute, die ihm nicht zu Gesicht standen, kalt zu stellen. Auch wenn’s der Sohn vom Herrn Wichtig war", sagt ein Kammer-Insider. "Der Reinhold lässt sich eben nicht verbiegen", sagt Rudolf Trauner, Wirtschaftskammerchef wie weiland sein Vater.

Trauner junior spielte mit Mitterlehner Fußball, man schwärmte für den LASK. "Die Mitterlehners sind eine sehr erfolgreiche Familie", sagt Trauner. Wohl wahr: Ein Bruder ist Chef der Landes-Hypo, ein anderer leitet das Landeskriminalamt, und die Schwägerin gilt als einflussreiche Raiffeisen-Managerin in Linz.

All das hat Relevanz, weil sich Mitterlehner nie allein über die Politik definieren wollte. "Er hatte immer ein Netzwerk bei uns, einen Plan B", sagt Weggefährte Sigl. Wie sieht der aus? Sigl kann es nicht sagen, nur soviel: "Das Wissen, Optionen zu haben, macht dich gelassener."

Mitterlehner: Der Doch-Noch-Parteichef
APA20175064_07092014 - WIEN - ÖSTERREICH: ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner im Rahmen des Erntedankfestes, am Sonntag, 7. September 2014 in Wien. FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET
Was nicht heißt, der Vizekanzler sei stets ein zurückhaltender Sir. "Er kann schon ausrasten, insbesondere dann, wenn er unter Druck steht", erzählt ein Mitarbeiter im Ministerium. Ein Choleriker also, wie jüngst Parteifreund Bernhard Görg kund tat? Eher nicht. Mitterlehner gilt als kühler Stratege, "der alles konsequent bis zum Ende denkt" (Trauner). Dazu gehört, dass er Situationen und Menschen rasch einteilt. Betritt er einen Raum, weiß er: Wer ist hier wichtig, wer nicht. Ist das berechnend, unsympathisch? Vielleicht. Aber letztlich findet er sich so zurecht.

Bleibt die Frage: Wie kann einer, der seit acht Jahren Minister ist, jetzt als Hoffnungsträger der ÖVP auftreten? Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer bietet eine Erklärung an: "Er hielt sich lang in der zweiten Reihe, schoss keine großen Böcke und hat sich als Troubleshooter bewährt – nach drei Tagen war die Aufregung um Spindeleggers Rücktritt erledigt." Langfristig, so weit sind sich alle einig, reicht gutes Krisenmanagement freilich nicht. "Der Burgfriede in der ÖVP ist fragil", sagt Bachmayer. Bei den Landtagswahlen 2015 müssten Erfolge her. Falls nicht? Dann bleibt dem Neo-Chef Plan B. Wie auch immer der aussieht.

Wenn die Volkspartei heute, Samstag, in der Wiener METAstadt ihren Bundesparteitag abhält, gibt es de facto nur einen einzigen relevanten Programmpunkt: Die Wahl von Reinhold Mitterlehner zum Bundesparteiobmann. Formal muss das passieren, da Mitterlehner bis dahin nur vom Bundesparteivorstand bestellt worden ist. Zusätzlich werden die vier Stellvertreter – Elisabeth Köstinger, Johanna Mikl-Leitner, Sebastian Kurz sowie Reinhold Lopatka – und der neue Finanzreferent Peter Haubner gewählt. Der große „Programmparteitag“, bei dem das neue Parteiprogramm beschlossen wird, folgt im Mai 2015 – kurz nach dem 70. Geburtstag der ÖVP am 17. April.

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