Regierung sucht wieder nach fehlenden Milliarden

Hans Jörg Schelling
Für Pensionen, Bildung, Heer und Steuerentlastung schlägt 2016 die Stunde der Wahrheit.

Es ist kein Jubelbudget, aber das war es von Anfang an nicht." Sozialminister Rudolf Hundstorfer geht davon aus, dass sich die Misere 2015 schon irgendwie lösen lässt. Ein Aufschnüren des Budgets soll verhindert werden. Hundstorfers pragmatischer Zugang, angesprochen auf die vielen Budgetlöcher vom Heer bis zur Schule, lautet: "Die Mittel sind eigentlich nicht vorhanden, aber wir werden sie schon finden."

Ganz anders formuliert Finanzminister Hans Jörg Schelling, auch wenn er dasselbe meint. Er fordert von seinen Kollegen "äußerste Disziplin" im Budgetvollzug. Soll heißen: Die Ressorts müssen jeden Euro drei Mal umdrehen, Reserven auflösen, Mietzahlungen aufschieben, die ganze Bandbreite. Zusatzwünsche spielt es nicht.

Dazu ist die Situation zu ernst: In der Bildung fehlen 100 Millionen, allein für die Lehrer. Beim Bundesheer fehlen in den nächsten Jahren Hunderte Millionen für Nachbeschaffungen, etwa von Fliegern. Wirklich teuer werden die wegen der Wirtschaftsflaute kräftig steigenden Kosten für die Arbeitslosigkeit oder staatliche Pensionszuschüsse. Das geht schnell in die Milliarden. Das Nicht-und-nicht-Zustandekommen der Finanztransaktionssteuer, die einmal 500 Millionen einbringen soll, wirkt da schon fast vernachlässigbar.

Schlüsseljahr 2016

Bei allen akuten Schwierigkeiten muss Schelling das Jahr 2015 einigermaßen über die Bühne bringen, um die zentralen Wahl-Versprechen für 2016 einlösen zu können: Das (strukturelle) Nulldefizit samt der Fünf-Milliarden-Steuerentlastung.

Regierung sucht wieder nach fehlenden Milliarden
Und das, ohne den Segen eines absehbaren Aufschwunges oder den Einsparungserfolgen von Strukturreformen, die rasch viel Geld bringen würden.

Wirtschaftsforscher Ulrich Schuh sagt: "2014 und 2015 ist de facto Stillstand. 2016 soll dann alles in einem Jahr gehen. Das ist schon eine sehr mutige Ansage." Das "Hintertürchen" einer Steuerreform auf Etappen habe sich die Regierung ganz bewusst offen gelassen.

Politisch gedacht, wird die gesamte Last der Budgetkonsolidierung auf 2016 gelegt und damit auf die Zeit nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr, kritisiert Grünen-Vize Werner Kogler. "Dieser Verdacht liegt nahe. Das war ja immer schon so." Auch der "alte Unsinn des Doppelbudgets" ärgert Kogler. So könne für 2015 nicht adäquat auf den Konjunktureinbruch reagiert werden.

Feindbild EU

Die Bundesregierung schießt sich auf ihrer Suche nach den fehlenden Milliarden derweil auf Brüssel ein. Die Krise sei noch lange nicht überwunden, es müsse investiert werden, betonte Kanzler Werner Faymann am Mittwoch gleich mehrmals. Strengere Berechnungsmethoden der EU-Kommission seien jetzt höchst kontraproduktiv (mehr dazu lesen Sie hier).

Brüssel solle sich echte Defizitsünder wie Frankreich vornehmen und Österreich in Ruhe lassen, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Spätestens im November kommt die Antwort der EU und eine Rüge der Kommission ist höchst wahrscheinlich. Denn: Das Maastricht-Defizit Österreichs steigt wegen der Flaute wieder in Richtung zwei Prozent. Das entspricht immerhin rund sechs Milliarden Euro. Und auch das strukturelle Defizit, also jener um Konjunktureffekte bereinigte Fehlbetrag im Haushalt, stagniert bei rund einem Prozent. Brüssel will jedoch ein strukturelles Nulldefizit schon 2015 sehen.

Unterm Strich läuft daher vieles, wenn nicht alles, auf Steuererhöhungen hinaus, um wieder budgetären Spielraum zu schaffen. WIFO-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller nennt eine Anhebung der Grundsteuer sowie höhere Umweltsteuern als denkbar und am wenigsten konjunkturschädlich.

200 Millionen Euro sind eine Menge Geld, so weit sind sich die Beteiligten einig.

Wo genau das Verteidigungsministerium diese Summe einsparen kann und soll, das ist zwischen SPÖ-Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) und den ÖVP-Verhandlern rund um Innenministerin Johanna Mikl-Leitner längst nicht so klar – und das wird auch heute im Parlament bei einer Sondersitzung Thema.

Gemeinsam mit dem Generalstab hat Klug einen Plan vorgelegt, der darlegt, wie man das Geld aufbringen will. Der Haken: Die Maßnahmen gehen an die Substanz und sind regionalpolitisch eher unpopulär (Schließung von Kasernen, Aus für diverse Militärkapellen etc.). Nicht zuletzt deshalb hat die ÖVP mit Nachdruck deponiert, hier sei das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Im Ministerium hält sich derweil das Ondit, ÖAAB-Chefin Mikl-Leitner ginge es vorrangig darum, Zeit zu gewinnen. Der kolportierte Grund: Ende November stehen Personalvertretungswahlen an, und der Sparkurs der vergangenen Jahre habe dazu geführt, dass die einst mit satten Mehrheiten ausgestatteten christlich-sozialen Gewerkschafter im Verteidigungsressort mittlerweile damit rechnen müssen, von den Interessenvertretern der FPÖ überholt zu werden.

ÖVP-Verteidigungssprecher Bernd Schönegger will zu den Spar-Verhandlungen inhaltlich nichts sagen. Den Vorwurf, man spiele auf Zeit, um vor der PV-Wahl keine unpopulären Maßnahmen (mit-)beschließen zu müssen, weist er zurück: "Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen deutlich vor den Personalvertretungswahlen fertig sein", sagt er zum KURIER. "Alles andere wäre kontraproduktiv."

Die zuletzt auch von Bundespräsident Heinz Fischer im KURIER geforderte Sonder-Finanzierung für 2015/’16 (allein um Hubschrauber und Kampfjets im Betrieb zu halten, sind Hunderte Millionen Euro nötig) bleibt übrigens noch länger ein Problem – sie wird derzeit gar nicht verhandelt.

Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) ist einen Teil ihrer Budget-Probleme los – zumindest vorübergehend. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hat gestern seinen Sanktus zur Stundung der Mieten für Schulgebäude gegeben, die zur Bundesimmobiliengesellschaft (und damit in Mitterlehners Ressort) gehören.

Der Minister hat Heinisch-Hosek zugesagt, dass sie die Summe von 100 Millionen Euro erst 2016 abliefern muss. Die Lehrergehälter sind damit gesichert.

Aufgeschoben ist freilich nicht aufgehoben. Der Grüne Bildungssprecher Harald Walser hat berechnet, dass dem Bildungsressort schon im kommenden Jahr 240 Millionen Euro fehlen werden: "Das läuft auf ein Desaster hinaus." 120 Millionen Euro würden allein wegen der steigenden Lehrer-Einkommen fehlen. "Die Regierung hat im Budget-Pfad keine Lohnerhöhung vorgesehen. Es ist aber festgelegt, dass die Gehälter 2015 um die Inflationsrate sowie um 0,1 Prozent angehoben werden müssen", sagt der Grün-Mandatar. Hinzu kämen u. a. noch die erwähnten 100 Millionen Euro an Miet-Rückständen.

Das enorme Finanzloch führt Walser auf das Jahr 2009 zurück. Damals hätte Ministerin Claudia Schmied schlecht verhandelt. Bis heute sei das Ressort "chronisch unterfinanziert". Sparen sei schwierig, weil mehr als 90 Prozent des Bildungsbudgets für Gagen und Mieten draufgehe.

Ansatzpunkte gebe es genug: So sollten die Länder jene Lehrer zahlen, die sie abweichend vom Plan einstellen. Derzeit trägt der Bund die Kosten. "Eine Schule für alle 10-bis 14-Jährigen" würde ökonomisch auch Sinn machen. "Wir leisten uns derzeit drei Schultypen: Neue Mittelschule, AHS-Unterstufe und Sonderschule." Auch die Gebäude könnten günstiger verwaltet werden, meint Waler. Fest steht für ihn: "Unter den gegebenen Umständen kann die Ministerin mit dem Budget nicht auskommen." Heinisch-Hosek will darüber nur regierungsintern in der neuen Bildungsarbeitsgruppe reden.

Eigentlich stehen die 18 Euro-Staaten auf dem Prüfstand. Doch gerade diesmal ist die Bewertung der Budget-Entwürfe durch die EU-Kommission auch ein wichtiger Test für die Brüsseler Behörde. Die entscheidende Frage: Wird auch heuer wieder für große Budgetsünder das eine oder andere Auge zugedrückt – oder macht Brüssel wie angekündigt diesmal Ernst? Denn die größten Sorgen – abgesehen von Griechenland und Zypern, die in Hilfsprogrammen stecken und deren Budgets damit ohnehin laufend überwacht werden – betreffen beim heurigen Budget-Check zwei der größten Mitglieder der Union: Frankreich und Italien.

Premiere für Paris?

In den letzten Tagen, bevor die Budgets in Brüssel fällig waren, hieß es, die Kommission könnte erstmals von ihrem Recht Gebrauch machen und den Budgetentwurf eines Landes zurückweisen. Demnach soll die französische Regierung aufgefordert werden, in den nächsten Wochen ein überarbeitetes Budget vorzulegen.

Frankreich hätte eigentlich schon 2013 sein Haushaltsdefizit unter die Drei-Prozent-Schwelle bringen müssen. Wegen der Rezession in Europa gewährten die EU-Finanzminister einen Aufschub bis 2015. Das werde man nicht schaffen, heißt es aus Paris: Die Regierung von Präsident François Hollande will vorerst keine weiteren Sparpakete beschließen – es wäre auch fraglich, ob sie durchs Parlament zu bringen wären. Das Defizit in der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU soll laut Budgetentwurf von September nächstes Jahr 4,3 Prozent sowie 2016 3,8 Prozent betragen – und erst 2017 wieder unter drei Prozent sinken.

Rüge für Rom?

Auch Italien droht die Ablehnung des Haushaltsentwurfes. Mittwochnachmittag lag in Brüssel noch kein Plan vor; der Ministerrat in Rom wollte erst am Abend das Haushaltsgesetz vorstellen. Laut Premierminister Matteo Renzi sieht der Budgetentwurf eine Steuerentlastung von 18 Milliarden Euro vor, von der vor allem Unternehmen profitieren sollen. Italiens Defizit soll im kommenden Jahr mit 2,9 Prozent gerade noch innerhalb der Grenze sein. In Regierungskreisen hieß es zuletzt allerdings auch, dass Renzi das strukturelle Defizit 2015 lediglich um 0,1 Prozentpunkte senken will. Und das könnte einen Streit mit Brüssel auslösen: Die Kommission fordert von Italien ein Absenken um "mindestens 0,7 Prozentpunkte".

Wer gibt den Rüffel?

Die Verteilung der Budget-Noten ist in Brüssel gerade so etwas wie die "heiße Kartoffel": Offen ist nämlich, ob die Bewertung noch von der Barroso- oder schon von der Juncker-Kommission kommt, die planmäßig am 1. November ihr Amt antritt. Dem Vernehmen bemühen sich beide Chefs darum, dass der jeweils andere die Rüffel an Paris und Rom verteilt. Für die neue Kommission wäre es ein denkbar heikler Start: Wirtschafts- und Währungskommissar ist Pierre Moscovici, bis zum Frühjahr französischer Finanzminister.

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