Regierung einig: Nur noch 30.000 Flüchtlinge pro Jahr

Selbst bei tief winterlichen Temperaturen ziehen Flüchtlinge über die Balkanroute.
ÖVP setzt sich durch, Regierung schiebt Flüchtlingsandrang Riegel vor.

Kanzleramtsminister Josef Ostermayer und Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl aufseiten der SPÖ, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sowie Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer von der ÖVP haben einen Kompromiss in der Flüchtlingsfrage gefunden.

Obergrenze

In Vorbereitung des heutigen Asylgipfels der Bundesregierung mitsamt Landeshauptleuten, Städte- und Gemeindebund sowie Flüchtlingskoordinator Christian Konrad, wurde von den Verhandlern ein Richtwert von 30.000 bis 40.000 Flüchtlingen pro Jahr vereinbart. Er orientiert sich an dem Wert von 1,5 Prozent der Wohnbevölkerung (wie beim Durchgriffsrecht des Bundes in der Quartierfrage). Das wären bei acht Millionen Einwohnern 120.000 Flüchtlinge.

Regierung einig: Nur noch 30.000 Flüchtlinge pro Jahr
ABD0114_20150122 - WIEN - ÖSTERREICH: LH Hans Niessl, LH Peter Kaiser und BM Josef Ostermayer am Donnerstag, 22. Jänner 2015, anl. eines ersten Treffens der Bildungsreform-Arbeitsgruppe der Bundesregierung in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Strittig war bis zuletzt, für welchen Zeitraum dieser Wert gelten soll. Die ÖVP plädiert für vier Jahre, das ergäbe 30.000 Flüchtlinge pro Jahr. Die SPÖ will drei Jahre – das wären 40.000 pro Jahr.

Was soll geschehen, wenn das Limit erreicht ist? Dann müsse man zusehen, dass jene, die dann noch kommen, „gar nicht den Grenzübertritt gestattet bekommen“, sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner Dienstagabend im ORF-Report. Welche Möglichkeiten Österreich hier hat, „das muss noch rechtlich abgeklärt werden“. Denn eine vorab fix festgelegte Obergrenze ist heikel – sie würde das Menschenrecht auf Asyl beschneiden. Im Raum steht das „schwedische Modell“, ab Erreichen des Limits Asylanträge nicht mehr zu bearbeiten. Denkbar sei auch, sie eine Zeit lang nicht mehr entgegenzunehmen. Dazu könnten „Wartezonen“ im Grenzraum eingerichtet werden.

Der Richtwert, auf den sich die Koalition geeinigt hat, gilt jedenfalls bei den Behörden als verkraftbar, fast 30.000 Asylanträge galt es bereits 2014 zu bewältigen. Die 90.000 Asylanträge aus 2015 sollen die Ausnahme bleiben.

Regierung einig: Nur noch 30.000 Flüchtlinge pro Jahr
ABD0077_20151016 - SALZBURG - ÖSTERREICH: ZU APA0409 VOM 16.10.2015 - (v.l.n.r.) BM Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), LH Wilfried Haslauer (ÖVP) und Polizeidirektor Franz Ruf am Freitag, 16. Oktober 2015, anl. eines Lokalaugenscheins zur Flüchtlingssituation am Hauptbahnhof Salzburg. - FOTO: APA/NEUMAYR/MMV

Hand in Hand damit gehen die verschärften Grenzschutzmaßnahmen im Süden Österreichs. Konsens bei SPÖ und ÖVP herrscht auch bei „Asyl auf Zeit“ und den Verschärfungen beim Familiennachzug. Gelöst ist damit das Flüchtlingsproblem noch nicht. Zu viele sind unterwegs Richtung Europa, selbst bei winterlichen Temperaturen.

Beispiel: Der Grenzübergang in Spielfeld soll künftig der einzige Zutrittspunkt für Flüchtlinge nach Österreich sein. Flüchtlingsexperten sehen darin nichts anderes als eine Einladung an Schlepper, Spielfeld zu umgehen.

Der Plan der Regierung ist freilich ein anderer: Sie will in Spielfeld möglichst viele Flüchtlinge abweisen (Wirtschaftsmigranten, Flüchtlinge ohne Papiere etc.) und hofft, dass Slowenen und Kroaten genauso vorgehen. Das ergibt auf der Balkanroute zwangsläufig einen Rückstau und soll den Leidensdruck erhöhen, damit es endlich zu einer EU-Lösung kommt.

Faymann folgt Kurz

So argumentiert Außenminister Sebastian Kurz – und Kanzler Werner Faymann folgt ihm darin. Ein gewisser Rückstau sei nicht vermeidbar, sagte Faymann nach dem Ministerrat. Und so lange die europäische Lösung nicht und nicht gelinge, sei man eben gezwungen, nationalstaatlich zu handeln, auch wenn das alles „Notlösungen“ seien.

Landeshauptmann Niessl frohlockt im KURIER-Gespräch: „Die Regierung beschließt, was ich das letzte halbe, dreiviertel Jahr gefordert habe. Jedes Jahr 100.000 Flüchtlinge wären nicht zu verkraften. Das wäre das Ende des Sozialstaates.“

Was das Einlenken Faymanns letztlich bewirkt habe? Merkels Probleme in Deutschland? Niessl: „Vielleicht habe ich auch meinen Beitrag geleistet.“

Wo früher nur Absperrgitter waren, stehen jetzt fix montierte Drehkreuze. Ein beheizbarer Container nach dem anderen reiht sich vor den Großzelten, in denen bis zu 4500 Menschen Platz haben: Sie sind so ziemlich das Einzige, das von der Sammelstelle am Grenzübergang in Spielfeld geblieben ist.

Regierung einig: Nur noch 30.000 Flüchtlinge pro Jahr
Alles andere wurde neu errichtet. So wie der Grenzzaun: Zwischen zweieinhalb und vier Meter hoch – und fast fertig – ist er. Gestern hatten die Pioniere des Bundesheeres noch 800 Meter Länge offen. Insgesamt wird er 3,7 Kilometer lang, eine kleine Lücke von acht Metern inklusive.

Heute geht das sogenannte "Grenzmanagement" in den Probebetrieb. Mit den slowenischen Kollegen sei vereinbart, dass bis Ende des Monats täglich maximal 500 Flüchtlinge nach Spielfeld gebracht werden, schildert der steirische Polizeidirektor Josef Klamminger. Die übrigen reisen bis Februar über Kärnten nach Österreich ein. 180 Beamte Polizisten und Soldaten machen während der Testphase Dienst.

Im Vollbetrieb können es je nach Bedarf mehr sein: Das Heer hat um 150 auf 450 Soldaten aufgestockt. Sie patrouillieren etwa beim Zaun und übernehmen die Feldküche, während die Polizisten für die Registrierung der Flüchtlinge zuständig sind.

Erlass regelt Einreise

Gerade rechtzeitig ging gestern jener Erlass des Innenministeriums ein, der regelt, wie die Beamten in Spielfeld vorzugehen haben, wen sie ins Land lassen dürfen – und wen nicht. "Jeder Einzelne wird kontrolliert, es gibt Personen- und Gepäckkontrolle", beschreibt Klamminger die Aufgabe. Das sei bisher in dieser Weise gar nicht möglich gewesen, erinnert er an die stürmischeren Zeiten im Oktober: Die Sammelstelle war dem Andrang nicht gewachsen.

Doch nun gilt Überprüfung von Pass oder Visum sowie der Angaben, die die Menschen in Slowenien gemacht haben. Danach werden die Flüchtlinge nach dem Zielland gefragt: "Wenn Asyl in Deutschland gewünscht ist, dann dürfen sie weiter. Wenn sie woanders hin wollen, nach Schweden vielleicht, nicht", erklärt Klamminger. Das bedeutet, Zurückweisung nach Slowenien und fußt auf dem Grenzkontrollgesetz. Nur wer Schutz in einem unmittelbaren Nachbarstaat Österreichs (wie z. B. Deutschland) suchen will, dem ist das zu gewähren. Zurückgewiesen wird aber, wer bereits in Slowenien falsche Angaben gemacht hat.

Wartezone

Einreisen darf, wer Asyl in Österreich beantragen will. Das gelte unabhängig von der Nationalität, betont Klamminger: "Ich kann auch jemanden aus Marokko nicht zurückweisen, wenn er sagt, er will Asyl. Das ist Gesetzeslage." Wo die von der ÖVP angedachte "Wartezone" im Grenzgebiet sein soll, ist offen. Logisch wäre das fünf Gehminuten entfernte Sentilj. Die Polizei kommentiert die politische Debatte nicht, aber "wir brauchen Zeit, bis wir die Menschen abarbeiten. Diese Frist können sie nur auf fremden Boden verbringen", überlegt der Polizeichef. "Für mich ist so etwas eine Wartezone. Das war Sentilj jetzt schon."

Die nackten Zahlen belegen, wie groß das Problem geworden ist: 2013 wurden 17.503 Asylanträge gestellt, 2015 waren es rund 90.000 (plus 414 Prozent). Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2015 rund 442.000 Asylanträge gestellt. Am Dienstag zog der Direktor des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Wolfgang Taucher, eine Bilanz seiner Behörde für das vergangene Jahr.

85.058 Entscheidungen
"Wir haben mit einem Drittel mehr Personal doppelt so viele Entscheidungen getroffen als im Vorjahr, allerdings gab es drei Mal so viele Anträge", sagte Direktor Taucher. Von den rund 85.000 Entscheidungen seiner Behörde betrafen je zur Hälfte Fremdenrechtsentscheidungen und Asylentscheidungen.

Afghanen vor Syrern
Die meisten Asylanträge (Top 5) wurden von Afghanen (25.202), Syrern (25.064), Irakern (13.528), Iranern (3434) und Pakistani (3038) gestellt. Nur Flüchtlinge aus Syrien erhielten zu rund 90 Prozent einen positiven Asylbescheid. Afghanen bekamen zu rund einem Drittel einen positiven Bescheid, bei einem Drittel wurde das Ansuchen abgelehnt, und bei einem Drittel subsidiärer Schutz gewährt – sie bekamen also kein Asyl, dürfen vorerst aber hier bleiben, weil die Lage im Herkunftsland zu gefährlich ist.

Ausreisen, Abschiebungen
Statistisch jeden 12. Tag ließ das Asyl-Bundesamt eine "Charter-Rückführung" mit Bussen oder per Flugzeug durchführen, 8365 Menschen haben Österreich also wieder verlassen. Etwas mehr als 5000 Personen gingen freiwillig, 3278 wurden "zwangsweise" abgeschoben. Innerhalb der EU (Dublin-Überstellungen) wurde vor allem nach Ungarn, Italien und Polen abgeschoben.

Verfahrensdauer
Im Schnitt dauerte es rund 6,3 Monate pro Fall, bis eine Entscheidung getroffen werden konnte. Für Menschen aus sicheren Gebieten wie dem Kosovo dauerten die "beschleunigten" Verfahren nur rund zehn Tage, komplizierte Fälle, etwa bei Afghanen, dauern im Schnitt länger.

Rückstau
Fast 900 Mitarbeiter, 200 mehr als im Vorjahr, hat die Behörde. Dennoch gibt es alleine seit August einen Rückstau von rund 60.000 Anträgen (75 Prozent aus 2015). Weitere 500 Mitarbeiter sollen zusätzlich aufgenommen werden, müssen aber erst ausgebildet werden.

U-Boote
Keine Auskunft konnte über die Anzahl jener Personen gegeben werden, die einen negativen Bescheid haben, aber nicht abgeschoben wurden. Und rund 20 Prozent der Asyl-Verfahren werden eingestellt, weil die Asylwerber nicht mehr greifbar (und wahrscheinlich im Ausland) sind.

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