Karl im Vertrauens-Tief

APA13669268-2 - 12072013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT CI - BM Beatrix Karl (l.) im Rahmen einer Sitzung mit Leitern sämtlicher Justizanstalten zum Jugendstrafvollzug am Freitag, 12. Juli 2013, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Vertrauensindex: Die Endlos-Debatte über Lehrer setzt der Regierungsspitze zu.

Justizministerin Beatrix Karl ist auf Platz eins – freilich auf keinem löblichen. Sie hat laut aktuellem APA/OGM-Index von allen Bundespolitikern am meisten Vertrauen eingebüßt (siehe Grafik). Der Grund: Die hilflose und zu späte Reaktion auf die schlimmen Zustände im Jugendstrafvollzug. Wie steht es um die Koalitionsspitzen? ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger liegt zwar weiter vor SPÖ-Kanzler Werner Faymann, aber beide haben verloren; Spindelegger mehr als Faymann. Die Endlos-Debatte über das Lehrerdienstrecht tut besonders ihm nicht gut. Die ÖVP hat sich ja anfänglich auf die Seite der Gewerkschaft gestellt.

Auch Bienenstreit wirkt nach

Auch Unterrichtsministerin Claudia Schmied schadet die leidige Causa. Sie hat die schlechtesten Vertrauenswerte aller SPÖ-Regierenden. Von den ÖVP-Ressortchefs ist Finanzministerin Maria Fekter seit Juni am meisten abgesackt. Nikolaus Berlakovich ist aber nach wie vor jener Minister, denen die Bürger am wenigsten vertrauen; der Bienenstreit wirkt nach. Noch schlechter sind Beamtengewerkschaftsboss Fritz Neugebauer und FPÖ-Nationalratspräsident Martin Graf angeschrieben.

Das größte Vertrauen genießt weiter Heinz Fischer. ÖVP-Staatssekretär Sebastian Kurz und SPÖ-Heeresminister Gerald Klug halten ihre Top-Positionen.

Karl im Vertrauens-Tief

Politiker erleben gute Wochen – und nicht so gute. Selten durchleben sie so katastrophale Tage wie zuletzt ÖVP-Justizministerin Beatrix Karl. Auslöser war eine menschliche Tragödie rund um einen 14-Jährigen, der in der Justizanstalt Wien-Josefstadt von drei jugendlichen Mitgefangenen mit einem Besenstiel vergewaltigt worden war.

Ressortchefin Karl war in Erklärungsnot, wie das geschehen konnte – und stellte sich den Medien in Interviews. Statt mit größtmöglicher Empathie für das Opfer reagierte Karl mit Gefühlskälte und Härte. Sätze wie „Strafvollzug ist nicht das Paradies“, brachten ihr wütende Empörung der Polit-Gegner und in sozialen Netzwerken im Internet ein.

„Muss geprüft werden“

Auf die Frage in einem TV-Interview, ob der Bursche eine Entschädigung bekommen wird, antwortete sie zuerst: „Ähm, das kann ich jetzt juristisch nicht beurteilen.“ Und dann: „Das muss erst geprüft werden, bitte.“

Wie konnte einer Spitzenpolitikerin wie Karl, die seit 2006 in der Bundespolitik tätig ist, so etwas passieren?

„Wenn ihre Aussagen zuerst als Signal für mehr law & order gedacht waren, dass man eben nichts anstellen soll, damit man nicht ins Gefängnis kommt, verlief das sehr unglücklich. Dafür hat sie bei ihren Antworten zu viel herumlaviert. Und das kommt bei keiner Zielgruppe gut an“, analysiert der Politstratege Josef Kalina, der einst für die SPÖ tätig war. Nach solch einem Vorfall könne man nicht bekräftigen, dass das Justizsystem gut wie nie sei. „Das ist einfach unangebracht.“

Verwunderung

Verwundert ist Kalina auch, dass Karl keine klare Antwort auf die Frage parat hatte, ob sie sich beim Opfer bereits entschuldigt habe. „Mit so einer Frage muss man doch rechnen. Darauf keine Antwort zu haben, geht gar nicht.“

Milder im Urteil ist die Kommunikations- und Strategieberaterin Heidi Glück, die jahrelang für Wolfgang Schüssel die medialen Kohlen aus dem Feuer holen musste. „Das Ganze hat mit einer unglücklichen Wortwahl begonnen, sich schnell sehr hochgespielt. Und dann kommt man als Politiker immer mehr unter Druck.“ Sie kenne Karl persönlich, „glauben Sie mir, die Frau ist alles andere als ein eiskalter Engel“. Im Nachhinein eine Aussage zu revidieren, das klappe nicht, weiß Glück. „Es ist traurig, aber das wird nur ganz selten akzeptiert.“ Dass sie sich politisch gut verkauft habe, werde Karl selbst wohl nicht behaupten können, urteilt die Expertin. „Und im Wahlkampf gibt es letztlich für alle noch schärfere Rahmenbedingungen.“

Der ehemalige ORF-Journalist Gerald Groß, der inzwischen als Medientrainer und -berater tätig ist, kann sich über Karls öffentliche Auftritte in der vergangenen Woche nur wundern: „Manche Menschen haben einen politischen Instinkt, sie hat den nicht. Daran hätte sie arbeiten müssen. Kompetenz kann ihr niemand absprechen, aber daneben braucht es eben Ausstrahlung.“

Groß’ Ansicht nach könne man Karls politisches Vorgehen nicht losgelöst von ihrer gesamten Polit-Karriere sehen. „Ihr Grundproblem war und ist, dass sie die Sozialisierung als Politikerin bis heute nicht geschafft hat. Als Wissenschaftlerin, als trockene Juristin, ist sie authentisch. Als Politikerin nicht.“ Karl war Arbeits- und Sozialrechtlerin an der Uni Graz.

Fatale Körpersprache

Fatal sei auch Karls Körpersprache, befindet Groß. Sie wirke immer angespannt, gar verbissen: „Das hat sie nie in den Griff bekommen.“ Einzig die Wandlung ihres Erscheinungsbilds sei scheinbar der bewusste Versuch gewesen, am Image zu arbeiten. Problematisch sei auch, dass sie eine wichtige politische Regel missachtet habe: „Wer nicht zur Empathie fähig ist, kann vom Volk keine Sympathie ernten.“

Freitagnachmittag, drei Tage, nachdem durch den Falter die Geschichte um den Jungen erstmals bekannt wurde, zog Karl die Notbremse: „Es tut mir leid, wenn meine Reaktion falsch rübergekommen ist. Ich bin zutiefst betroffen“, erklärte sie. Und: „Es sind Fehler passiert.“

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