Erfolg hat die "großen Parteien kleiner gemacht"

Karl Renner nach der Konstituierung der provisorischen Staatsregierung
Anton Pelinka im Interview. SPÖ & ÖVP haben das Land normalisiert, jetzt verlieren sie an Bedeutung.

Gibt es für SPÖ und ÖVP 70 Jahre nach ihrer Gründung noch eine Zukunft? Der renommierte Politikwissenschafter Anton Pelinka hat darauf eine klare Antwort: "Die Demokratie setzt Parteien voraus." In diesen Tagen feiern SPÖ und ÖVP Geburtstag. Am 14. April 1945 entstand die SPÖ, die ÖVP folgte am 17. April. Der Gewerkschaftsbund (ÖGB) war im Übrigen die erste demokratische Organisation, dessen Gründung am 13. April 1945 vereinbart wurde.

KURIER: Herr Professor, naht mit 70 nicht bald das Ende der Parteien?

Erfolg hat die "großen Parteien kleiner gemacht"
Anton Pelinka:Es ist sicher so, dass die Parteien 1945 Funktionen hatten, die es heute nicht mehr gibt. SPÖ und ÖVP stellten eine Kontinuität zur Ersten Republik dar. Sozialdemokraten und Christlichsoziale waren es, die die Bundesverfassung von 1920 durch einen Kompromiss zustande gebracht haben. Beide Parteien hatten Funktionen, die weit über das übliche Maß an Funktionen anderer Parteien in anderen Demokratien reichten.

Welche Aufgaben hatten die Parteien nach 1945?

Neben der verfassungsgebenden Funktion haben Parteien Loyalitäten gebündelt. Ihre primäre Loyalität war nicht die Republik Österreich, ihre Loyalität basierte auf Lagern. Die Menschen waren Anhänger eines Lagers, damit waren sie Stammwähler einer Partei und erst sekundär österreichische Patrioten. Das war ein Ersatz für die schwach entwickelte nationale österreichische Identität.

Was hat sich bis heute maßgeblich verändert?

Die nationale Identität ist langsam selbstverständlich geworden. Die politische Loyalität haben die Parteien allmählich abgebaut. Die Folge sind weniger Stammwähler. Es gibt neue Parteigründungen, die aus dem Nichts entstehen und sich wieder rasch ins Nichts bewegen, wie das Team Stronach. Diese Beweglichkeit der Parteien war in den Jahrzehnten nach 1945 völlig unbekannt. Die großen Parteien haben die ökonomische und politische Normalisierung herbeigeführt, und sie haben sich durch diesen Erfolg auch selbst kleiner gemacht.

Wie sehen Sie die Zukunft?

Ich glaube nicht, dass die Parteien verschwinden werden. Ihre Kernfunktion in einer Demokratie wird bleiben: Das ist die Rekrutierung von Personen, die zur freien Wahl stehen. Ein demokratisches System braucht Parteien. Es braucht nicht spezielle Parteien, es sind ja auch schon Parteien verschwunden. Demokratie und das parlamentarische System setzen aber Parteien voraus.

Ist das die einzige Legitimität, die Parteien noch haben?

Das ist letztlich die Kernlegitimität. Sie haben noch Reste der Funktionen nach 1945. Im öffentlichen Dienst ist es immer noch von Vorteil, wenn man sich an eine Partei bindet. Der Parteiproporz in Schulen ist auch noch nicht verschwunden.

Welche Aufgabe hat der ÖGB als Interessensvertretung der Arbeitnehmer heute noch?

Der ÖGB war 1945 wirklich eine Neugründung. Es kam zu einem Friedensschluss von Parteigewerkschaften. Ohne den ÖGB wäre keine Sozialpartnerschaft möglich gewesen. Dass der ÖGB mit einer Stimme gesprochen hat und noch spricht, hat viele Konflikte friedlich austragen lassen. Natürlich kommt auch der ÖGB in die Krise, weil er auf den Säulen der Fraktionen errichtet ist. Der ÖGB ist betroffen vom Bedeutungsverlust der Parteien.

Was ist die Zukunft der Parteien in der EU und im globalen Kontext?

Die österreichischen Parteien sind im EU-Parlament über Fraktionen in die europäischen Parteienfamilien eingebunden. Die FPÖ noch nicht, aber das wird noch kommen. Die europäischen Parteien haben bei der EU-Wahl 2014 eine Sternstunde erlebt – durch die Abmachung, dass die stärkste Fraktion den Kommissionspräsidenten und die Nummer zwei den Parlamentspräsidenten bekommt. Die österreichische Parteien haben sich daran gehalten. Das erinnert an 1945. Bei der Novemberwahl 1945 haben SPÖ und ÖVP auch eine Vereinbarung getroffen: Wer die Mehrheit der Sitze erhält, stellt den Bundeskanzler, der andere bekommt den Bundespräsidenten.

Haben Jahrestage einen Einfluss auf die aktuelle Politik?

Direkt nicht, indirekt schon. In Österreich gibt es eine Konkurrenz zwischen den Daten 27. April 1945 (Unabhängigkeitserklärung Österreichs) und 15. Mai 1955 (Unterzeichnung des Staatsvertrags). Das sogenannte Dritte Lager war von den Wahlen im November 1945 ausgeschlossen. Das Narrativ der Freiheitlichen neigt nach wie vor dazu, das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Unabhängigkeitserklärung Österreichs eher mit dem Begriff der Niederlage zu verbinden. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung, ehemalige Nationalsozialisten, war ausgeschlossen. Der 27. April 1945 einigt SPÖ und ÖVP, aber nicht die Freiheitlichen.

SPÖ und ÖVP holten ehemalige Nazis rasch ins Boot ...

Das ist auch ein Grund für die geringe Abgrenzung der Zweiten Republik in ihren Anfängen gegenüber Österreichs Mitverantwortung für den Nationalsozialismus. Der erste Minister war Reinhard Kamitz, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied. Es gab eine innenpolitische Versöhnung zum Preis fehlender Schärfe, was die eigene Vergangenheit betrifft. Das hat aber auch dazu beigetragen, dass sich Ex-Nazis langsam mit der Zweiten Republik identifiziert haben.

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