Ostermayer: „Werner und ich verstehen uns blind“

Josef Ostermayer im Interview mit Ida Metzger.
Wie der neue Superminister tickt: Josef Ostermayer über den Kanzler, Kunst und Kultur.

KURIER: Herr Ostermayer, Sie werden in den Medien als der mächtigste Mann in der Regierung bezeichnet. Wie fühlt man sich, wenn man mit so viel Macht ausgestattet ist?

Josef Ostermayer: Das bin ich nicht. Der mächtigste ist der Bundeskanzler, dann kommt der Vizekanzler. Ich habe in der letzten Legislaturperiode und auch in der neuen die Aufgabe der Regierungskoordination. Das führt dazu, dass viele Dinge über meinen Tisch wandern, bevor sie in den Ministerrat kommen. Wahrscheinlich resultieren daraus meine Macht-Zuschreibungen in den Medien. Aber ich sehe das nicht so.

In den Medien wurde Ihre enge Freundschaft zu Werner Faymann schon oft kommentiert. Wie würden Sie die Beziehung beschreiben?

Ostermayer: „Werner und ich verstehen uns blind“
APA2751082 - 21082010 - RAMSAU - ÖSTERREICH: BK Werner Faymann (l.) und Sts. Josef Ostermayer am Samstag, 21. August 2010, am Gipfel des Hohen Gjaidstein im Rahmen einer Wanderung im Dachsteinmassiv. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Wir lernten uns vor 27 Jahren bei der Wiener Mietervereinigung kennen, und haben uns von Anfang an sehr gut verstanden. Das Glück zu haben, in einer Arbeitssituation zu sein, wo man sich mit dem Chef gut versteht und sich gleichzeitig eine persönliche Freundschaft entwickelt – das hat nicht jeder. Ich hatte es. Werner Faymann und ich verstehen uns fast blind. Er weiß, wie ich denke und arbeite. Und ich weiß es umgekehrt von ihm. Und wir stimmen die Dinge aufeinander ab. Ich bin der Sammler und suche alle Details zusammen und er ist der bessere Analytiker als ich. Das ist eine fruchtbringende Kombination. So schaut der berufliche Teil unserer Freundschaft aus. Im Privatleben macht eine Freundschaft aus, dass wir uns Dinge anvertrauen, die man wahrscheinlich nur dem Ehepartner oder den Kindern anvertrauen würde. Das Schöne ist, dass sich auch unsere Ehefrauen sehr gut verstehen – und wir dadurch auch in unserer Freizeit zu viert Dinge unternehmen können. Obwohl es Werner Faymann eher auf die Berge zieht. Und ich eher der bin, der gerne liest. Aber wir sind nicht Menschen, die die gleiche Geschichte und völlig idente Interessen haben – das wäre ja absurd.

Bei den Gipfelbesteigungen lassen Sie Werner Faymann alleine?

Wir haben eine Skitour über den Dachstein gemacht. Im Sommer waren wir gemeinsam in Salzburg auf einem Berggipfel. Ich finde das Naturerlebnis toll, aber ich brauche einen inneren Anstoß, bis ich mich dazu überwinde.

Sie mussten vor dem U-Ausschuss wegen der Inseratenaffäre aussagen. Bevor Werner Faymann vor dem U-Ausschuss erscheinen sollte, wurde dieser abgedreht. Sind Sie der Mann fürs Grobe, wenn es für Werner Faymann heikel wird?

Ich habe da nie so empfunden. Im U-Ausschuss gab es zwei Themen, wo mir ganz konkret ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht wurden. Die hätte Werner Faymann gar nicht beantworten können. Es ist auch üblich, dass der Kabinettchef viel detaillierter an den Projekten arbeitet.Der Chef selber muss die großen Linien sehen. Deswegen war klar, wenn dort jemand Auskunft geben kann, dann bin ich es.

Man sagt Ihnen nach, dass Sie bei Ihren Handlungen stets überlegen: „Kommt die Maßnahme gut in den Medien an – und schadet sie der ÖVP. “

Wäre das so, dann hätte ich auch den Job der Regierungskoordinierung nicht übernehmen dürfen. Bei der Regierungskoordinierung gibt es immer wieder Situationen, wo es an einigen Ecken knirscht. Da gilt es, Steine aus dem Weg zu räumen; und nicht daran zu denken, ob es der ÖVP schadet.

Das hat aber selten funktioniert. Sonst würde die Regierung nicht mit Stillstand assoziiert werden.

Ich sehe das so nicht. Wir haben viele Dinge geschafft, die jahrelang oder sogar jahrzehntelang aufgeschoben wurden, wie etwa die Mindestsicherung, eine Gesundheitsreform oder eine Reform bei den Verwaltungsgerichten. Wäre Stillstand, hätten wir nicht diese harten Daten mit einem hohen BIP-Einkommen pro Kopf. Oder auch die niedrige Arbeitslosenrate im EU-Vergleich, auch wenn sie im Moment viel zu hoch ist. In diesem Jahr gedenken wir dem Ersten Weltkrieg, der vor hundert Jahren ausbrach, und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren. Das soll uns daran erinnern, dass die letzte große Krise dieser Art, die wir in Europa hatten, zu Katastrophen geführt hat. Wir und natürlich auch Europa haben es geschafft , dass die Krise der letzten fünf Jahre zu keiner Katastrophe führte. Aber die großen Umbrüche, die wird es hoffentlich in einer Demokratie nicht geben. Denn das Wesentliche einer Demokratie ist, dass es eine schrittweise Weiterentwicklung gibt.

Sie haben als Kanzleramtsminister mit den Agenden Beamte, Medien und Verfassung ein Superressort übernommen. Als Ihr persönliches Steckenpferd haben Sie von Werner Faymann auch noch Kultur dazu bekommen. Haben Sie für das Kulturressort überhaupt noch genügend Zeit?

Ich hatte in der Vergangenheit schon Zeit, Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Das, was in der Vergangenheit Neigung war, ist jetzt auch noch Pflichterfüllung. So gesehen ist es tatsächlich eine schöne Sache für mich.

Ihr erstes Neujahrskonzert als Kulturminister hat Ihnen offenbar imponiert. Sie verfolgten es mit strahlenden Augen. Haben Sie es erstmals live erlebt?

Es war mein erstes Neujahrskonzert, das ich im Wiener Musikverein erlebt habe. Es ist eine angenehme und unterhaltsame Musik. Dem Konzert zu folgen, ist nicht die große Anstrengung. Strauss ist die Pop-Musik des 19. Jahrhunderts, die noch immer funktioniert.

Klar ist, die Kunst benötigt mehr Geld. Weniger Inserate, dafür mehr Budget für die Kultur, wäre doch eine Ansage ...

Im letzten Jahr war das Wirtschaftswachstum sehr gering. Das führte dazu, dass wir eine schwere Budgeterstellung hatten, wo ich mit Maria Fekter im November und Dezember noch 50 Verhandlungsstunden hinter mich brachte. Auch Operndirektor Dominique Meyer und Burg-Direktor Matthias Hartmann ist klar, dass wir nicht in der Lage sind, groß Geld zu verteilen. Wir werden versuchen, zufriedenstellende Lösungen zu finden, um die nächsten zwei Jahre über die Runden zu kommen, ohne Schließtage in Kauf nehmen zu müssen.

Sammeln Sie auch Kunst?

Ich sammle lieber Bücher, das geht leichter, da ich sehr gerne lese. Meine letzten zwei Bücher waren von Eva Menasse Quasikristalle und von Wolfgang Herrndorf Arbeit und Struktur. Das war ein Blog, wo Herrndorf, der 2010 an Gehirntumor erkrankte, das einige Sterben beschreibt. Arbeit und Struktur heißt das Buch deshalb, weil er nach der Diagnose entschied, sich nicht fallen zu lassen, sondern strukturiert und intensiv weiterarbeitet. Über den Anfang dieses Buches bin ich nur sehr schwer drübergekommen.

Warum haben Sie sich diesen Titel ausgesucht?

Es war so ein wenig die Frage: Trau ich mich? Denn vor fünf Jahren ist mein Vater an Krebs gestorben; und vor zwölf Jahren ist meine Schwester mit erst 42 Jahren ebenfalls an Krebs gestorben. Für mich war es eine Art Experiment: Schaffe ich es, dieses Buch zu lesen?

Ist dieses Buch eine späte Aufarbeitung Ihres Verlustes?

Nein, das ist es nicht. Aber ich denke oft an den Krebstod meines Vaters und meiner Schwester. Gerade in Situationen, wenn man sich im Job über etwas ärgert oder Probleme auftauchen, dann hilft mir die Erinnerung an diese schwierige Zeit, Probleme leichter wegzustecken.

Wenn man zwei Familienmitglieder an Krebs verliert, spielt man nicht manchmal mit dem Gedanken den Stressjob Politiker an den Nagel zu hängen und das Leben zu genießen?

Nein, ich finde, dass ich bis jetzt viel Glück hatte. Ich habe meine Frau mit 18 kennengelernt – und wir sind immer noch glücklich miteinander. Ich habe zwei erwachsene Kinder, mit denen ich glücklich bin. Und sie hoffentlich auch mit mir. Das Glück war immer ein wenig mein Begleiter. In meinem ersten Gymnasiumjahr haben meine Eltern die Schulbücher noch von Vorgängerklassen gekauft; und dann gab es plötzlich die Gratisschulbücher. Ich kann mich noch heute erinnern, als ich mit den Gutscheinen in die Buchhandlung ging und zum ersten Mal diesen Duft der frischen Schulbücher roch. Meine Eltern haben mir trotz geringer finanzieller Mittel, weil wir ein Arbeiterhaushalt waren, das Studium ermöglicht. Deswegen sehe ich den Job nicht als Bürde, sondern als Glück.

Sie waren auch ein aktiver Vater und waren vor über 20 Jahren in Väterkarenz ...

Ich war in Teilzeitkarenz. Meine Frau ist Lehrerin; und wir haben uns quasi die Karenz geteilt. Wenn sie vormittags in der Schule unterrichtete, war ich bei den Kindern zu Hause. Am Nachmittag hat dann sie sich um die Kinder gekümmert – und ich ging arbeiten bis in die Nacht. Denn der Unterschied ist, dass die Arbeit nicht weniger wurde, sondern nur später begann.

Nächste Woche stehen die Gehaltsverhandlungen mit den Beamten an. Denken Sie in Zukunft ein leistungsorientiertes Gehaltsschema an?

Die Frage ist: Führt man das System, das wir nun bei den Lehrer beschlossen haben, auch bei allen öffentlich Bediensteten ein. Das wird in dieser Legislaturperiode ein Thema sein. Die Frage ist, was kostet es? Denn das System bedeutet eine Kostenerhöhung gerade am Beginn. Und erst in späteren Jahren flachen die Kosten ab.

Werden die Biennien abgeschafft?

Beim neuen Lehrerdienstrecht hat man weit weniger Gehaltsstufen gemacht. Das ist sicher das Modell, über das wir in Zukunft reden werden.

Was soll das Motto Ihrer Ministerzeit sein?

Es gab den Architekten Mies van der Rohe, der den Satz geprägt hat: „Less is more“. Mit einem bekannten österreichischen Architekten habe ich über diesen Satz diskutiert. Und wir haben uns darauf geeinigt, dass „Less and more“ das Bessere ist. Das passt wahrscheinlich am besten zu mir.

In der Oper orten Sie noch Ihre Defizite. Daher eine leichte Frage zum Schluss: Wo liegt der stimmliche Unterschied zwischen Anna Netrebko und Elīna Garanča?

Ich glaube, die eine ist Sopran – und die andere Mezzosopran. Also, Netrebko ist Sopran und Garanča ein Mezzosopran. Habe ich Ihre Testfrage bestanden? (lacht)

Kanzler Werner Faymann und der Burgenländer lernten sich vor 27 Jahren in der Mietervereinigung kennen. Faymann ist Obmann, Ostermayer tritt seinen ersten Job in der Rechtsabteilung an. Seither haben sich ihre Wege nicht mehr getrennt.

Als Faymann 1994 Wohnbaustadtrat wird, nimmt er Ostermayer mit. 2007 wird Faymann Infrastrukturminister und macht seinen Freund zum Kabinettchef. 2008 folgt der Karrieresprung zum Staatssekretär. Am 16. Dezember 2013 wird Ostermayer zum Kanzleramtsminister angelobt.

Ostermayers Familie wurde durch den Justizpalastbrand 1927 bekannt. Der Bub, der in Schattendorf von rechten Milizionären erschossen wird, ist der Bruder seiner Großmutter. Als die Täter freigesprochen werden, brennt der Justizpalast.

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