Operation Reißwolf: Kurz-Mitarbeiter ließ inkognito Daten aus Kanzleramt vernichten

Operation Reißwolf: Kurz-Mitarbeiter ließ inkognito Daten aus Kanzleramt vernichten
Wie ein Kurz-Mitarbeiter Datenträger aus dem Kanzleramt schreddern ließ. Warum er deshalb ins Visier der „Soko Ibiza“ geriet.

Wenn ein Mitarbeiter des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz sechs Tage nach der Ibiza-Affäre einen Datenträger aus dem Bundeskanzleramt zu einer Privatfirma bringt und dort unter falschem Namen vernichten lässt, dann ist die Optik ziemlich schief.

Genau auf diese Weise stolperte ein Mitarbeiter des Ex-Kanzlers ins Visier der „Soko Ibiza“. Diese geht seit zwei Monaten der Entstehung des Ibiza-Videos und dem Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung auf den Grund.

Hausdurchsuchung

Der besagte Mitarbeiter – nennen wir ihn Max Müller (Name der Redaktion bekannt) – wurde am Donnerstag, den 18. Juli von Polizisten in Zivil an seinem neuen Arbeitsplatz, der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse, abgeholt. Die Polizei fuhr mit ihm zu seiner Wohnung und ersuchte um eine „freiwillige Begehung“. Die Beamten durchsuchten die Räume gründlich.

Tätig ist die „Soko Ibiza“ im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Graz. Max Müller wird vorgeworfen, Beweismittel unterschlagen zu haben.

Auslöser der Affäre ist eigentlich eine Betrugsanzeige – und die Geschichte, die Müller den Kriminalbeamten erzählte, klingt kurios.

Wahlkampfmunition

Wir schreiben Donnerstag, den 23. Mai. In drei Tagen ist die EU-Wahl, am Tag danach findet die Sondersitzung des Nationalrats statt, bei der – so viel ist klar – Sebastian Kurz abgewählt wird.

Im Bundeskanzleramt bereitet man sich an diesem Donnerstag auf den Auszug vor. Umzugskisten werden gepackt, Diensthandys auf Werkseinstellungen gesetzt und private eMails gelöscht.

Die Stimmung ist angespannt: Ein Wahlkampf steht bevor – und die Kurz-Entourage fürchtet, ausspioniert zu werden. Schließlich sei das Kanzleramt jahrelang von der SPÖ geführt worden, SPÖ-nahe Beamte könnten in den türkisen Hinterlassenschaften nach Wahlkampfmunition suchen.

Das sind die Beweggründe, die Müller gegenüber der Polizei für sein fragwürdiges Unterfangen anführt. Ein Vorgehen, das von seinem Vorgesetzten und dem Leiter der IT-Abteilung im Kanzleramt abgesegnet worden sein soll. Aber zu Müllers Aktion später mehr.

Bei Regierungswechsel ist es so geregelt, dass Akten und offizieller Schriftverkehr ins Staatsarchiv wandern. Auch die Aktenbestände der Kabinette werden von den Festplatten geladen, kopiert und dem Staatsarchiv übermittelt. Alles darüber hinaus darf vernichtet werden.

In diesem Fall kommt die IT-Abteilung, baut die Datenträger aus, versperrt sie in einer Kassette, bis sie offiziell und vor Zeugen vernichtet werden. Sensible Daten lässt man nicht herumliegen, sagen Kenner des Kanzleramts.

Auf Nummer sicher

Darauf vertraute die ÖVP aber offenbar nicht: Speziell der Drucker-Server bereitete ihr Sorge.

Sie glaubt nämlich, dass ihr schon 2017 vom Drucker-Server (damals im Außenministerium) Daten geklaut wurden – und zwar das Kurz-Strategiepapier „Projekt Ballhausplatz“ zur Übernahme von ÖVP und Kanzleramt. Das Material wurde im Nationalratswahlkampf 2017 gegen die Türkisen verwendet.

Auf einem Drucker-Server ist alles gespeichert, was in einem gewissen Zeitraum ausgedruckt wurde – darunter können sich Mails mit sensiblen Inhalten befinden, ebenso Protokolle, Flugtickets und Privates.

Also: Müller schnappte sich kurzerhand die Drucker-Festplatte, fuhr damit zur Firma Reisswolf. Dort stellte er sich mit einem falschen Namen vor. Offenbar wollte er damit einen Bezug zum Bundeskanzleramt verbergen.

Drei Mal ließ Müller den Datenträger durch den Schredder jagen – und er schaute persönlich dabei zu. Die Rechnung – dem Vernehmen nach handelte es sich um weniger als 100 Euro – ließ er unbezahlt.

Verdächtig

Damit sind wir wieder beim eigentlichen Auslöser der Affäre: der Betrugsanzeige. Auf die Mahnungen der Firma Reisswolf reagierte Müller nicht. Diese dürfte dann dahintergekommen sein, dass ihr Kunde unter falschem Namen aufgetreten war – und schaltete in weiterer Folge die Polizei ein.

Die Handynummer, die Müller angegeben hatte, führte zu seinem richtigen Namen – und zu seinem Arbeitsplatz, dem Kanzleramt. Wegen dieser ungewöhnlichen Umstände der Schredderaktion schrillten bei der „Soko Ibiza“ die Alarmglocken. Hat das etwas mit der Ibiza-Causa zu tun?, wollten die Polizisten von Müller wissen. Er verneinte.

Für die Polizei ist das übrigens die erste Ermittlungsaktion gegen die ÖVP – in der Parteizentrale gab es bisher weder Beschlagnahmungen noch Befragungen.

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