Offener Brief: Absage an "Gender-Wildwuchs"

Offener Brief: Absage an "Gender-Wildwuchs"
Konrad Paul Liessmann, Chris Lohner, Rudolf Taschner: 800 Sprachkritiker fordern ein Ende des Genderns.

Die durch Andreas Gabaliers strittige Interpretation der Bundeshymne wieder losgetretene Diskussion um geschlechtsneutrale Formulierungen ist um eine Facette reicher: Am Montag haben insgesamt 800 Uni-Professoren, Lehrer, Journalisten und andere Sprachkritiker in einem offenen Brief einen Aufruf zur Abschaffung des Genderns gefordert.

Prominente Unterzeichner

"Ein minimaler Prozentsatz kämpferischer Sprachfeministinnen darf nicht länger der nahezu 90-prozentigen Mehrheit der Staatsbürger ihren Willen aufzwingen", so das Argument der Unterzeichner – unter ihnen finden sich auch so einige prominente Namen. Die Philosophen Konrad Paul Liessmann und Peter Kampits, Mathematiker Rudolf Taschner, Verfassungsrechtler Heinz Mayer, Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, der deutsche Journalist und Sprachpfleger Bastian Sick oder die Schauspielerin Chris Lohner sind in dem an die Minister Mitterlehner und Heinisch-Hosek gerichteten Schreiben angeführt. Daneben scheinen etwa Schulleiter bzw. Lehrer auf; mehr als die Hälfte der Unterzeichner soll laut einer Aussendung der Initiatoren weiblich sein.

Konkret will man eine "Rückkehr zur sprachlichen Normalität": Die Minister sollen, so die Forderung, "dem Wildwuchs durch das sprachliche 'Gendern'" Einhalt gebieten. "Was die Mehrheit der Sprachteilhaber als richtig empfindet, wird als Regelfall angesehen. Wo immer im Laufe der Geschichte versucht wurde, in diesen Prozess regulierend einzugreifen, hatten wir es mit diktatorischen Regimen zu tun."

Unlesbar & unverständlich

Die Briefschreiber verwehren sich gegen eine "von oben her verordnete konsequente getrenntgeschlechtliche Formulierung" in Gesetzen, Behördentexten, aber auch Schulbüchern und universitären Facharbeiten. Geschlechtersensible Sprache (mit Binnen-I, Anführung beider Geschlechter mit Schrägstrichen im Wortinneren etc.) stoße nicht nur auf sehr geringe Akzeptanz, sie "zerstört die gewachsene Struktur der deutschen Sprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit" und widerspreche "zum Teil den Grundregeln unserer Sprache". Diese Maßnahmen "sind daher wieder aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren".

Textverständlichkeit vor politischen Anliegen

Als Lösung sehen die Autoren des Briefes den umstrittenen ÖNORM-Entwurf zu geschlechtergerechter Sprache, der u.a. vorschlägt "beide Geschlechter getrennt und vollständig anzuführen". Damit würden feministische Anliegen maximal berücksichtigt und eine "Rückkehr zur sprachlichen Normalität" ermöglicht. Schließlich sei die Sprache einzig und allein der problemlosen Verständigung und nicht der Durchsetzung partikularer Interessen. Es müsse gewährleistet sein, dass "die Verständlichkeit von Texten wieder den Vorrang vor dem Transport feministischer Anliegen eingeräumt bekommt".

Kritik seitens der SP

Aus der Politik kommen zu dem Vorstoß vorets krische Stimmen: "Ich bin wirklich verwundert über den 'Offenen Brief zum Thema sprachliche Gleichbehandlung', der seit gestern die Runde macht", so SPÖ-Bundesfrauengeschäftsführerin Andrea Brunner. Für sie sei geschlechtersensible Sprache "ein unverzichtbares Element einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind" - dies möchte Brunner allen Unterzeichnenden dieses Offenen Briefes mit auf den Weg geben. Sie verweist zudem auf Studien, in denen bewiesen wurde, dass es keine "geschlechtsneutralen" Formulierungen gibt, so Brunner. "Wer Frauen sprachlich ausblendet, macht sie unsichtbar", so Brunner.

Heinisch-Hosek weist Forderungen zurück

Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat die von Sprachkritikern per offenem Brief an sie erhobene Forderung zurückgewiesen, geschlechtersensible Formulierungen etwa mit Binnen-I "aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren". "Sprache schafft Wirklichkeit. Weibliche Formen unerwähnt zu lassen und Frauen damit auszublenden, das wäre ein völlig falsches Zeichen", so die Ministerin.

Mitterlehner für gängige Praxis

Im Wissenschaftsministerium verweist man auf die gelebte Praxis im Ministerium, wo - sofern lesbar - die "geschlechtsneutrale" Formulierung (z.B. "Studierende" statt "Studentinnen" und "Studenten") verwendet wird. "Wo das nicht möglich ist, werden - wie gesetzlich vorgesehen - durchgehend beide Geschlechter angeführt", so Ressortchef Reinhold Mitterlehner (ÖVP) in einer Stellungnahme zur APA.

ÖH: Abschaffung widerspricht EU-Richtlinien

Bestürzt auf den offenen Brief reagierte indes die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH): "Bei wichtigen Texten wie Gesetzen und Normen weibliche Bezeichnungen wegzulassen, ist mehr als bedenklich und ist absolut unzeitgemäß. Angebliches 'Frauen mitmeinen' reicht noch lange nicht", betonte der ÖH-Vizevorsitzende Florian Kraushofer (Fachschaftslisten/FLÖ). Geschlechtergerechte Sprache sei ein wichtiger Schritt für absolute Gleichstellung von Frauen und nicht mehr wegzudenken, eine Abschaffung widerspräche außerdem zahlreichen EU-Richtlinien und gültigen Gesetzen.

FPÖ: Gender-Geldhahn abdrehen

Die FPÖ hat Mitterlehner indes am Montag aufgefordert, er solle "dem Genderwahn den Geldhahn abdrehen" und Gender-Lehrveranstaltungen aus allen Studienplänen der Unis streichen. "Die sogenannte Genderwissenschaft entwickelt sich zu einem Korsett für unsere Sprache und unser Denken", so der Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek. "Reinhold Mitterlehner muss zeigen, ob der noch christlich-soziale Wurzeln in sich hat, oder ob er längst zum angepassten Klon des grün-affinen Rupprechter wurde."

Kommentare