ÖVP-Wartefrist für Sozialhilfe ist für SPÖ ein Zivilisations-Bruch

Familien mit vielen Kindern sollen nicht zu viel Geld bekommen, fordert ÖVP.
Die Deckelung hält rechtlich nicht, Teile der ÖVP wollen sie dennoch. Wahlkampf-bedingt?

Kann eine Großfamilie von 1500 Euro leben? Im Kern ist das die Frage, um die seit Wochen in der Regierung und in den Ländern diskutiert wird. Es geht um die "Bedarfsorientierte Mindestsicherung", kurz BMS – und wie diese reformiert werden soll.

Die ÖVP, oder zumindest Teile von ihr, sagen: 1500 Euro sind genug und berufen sich unter anderem auf ein Gutachten des renommierten Arbeitsrechtlers Wolfgang Mazal (Uni Wien).

Hier wird die Sache zum ersten Mal kompliziert. Denn gegenüber dem KURIER sagt Mazal nicht nur, dass eine simple Deckelung "sicher verfassungswidrig" ist ("Es kann rechtlich nicht sein, dass eine Familie mit zwei Kindern die gleiche finanzielle Hilfe bekommt wie eine mit fünf oder sechs.")

Interessant ist zudem, dass der Experte eine Deckelung des Bargelds für möglich, ja sinnvoll hält, wenn alle Grundbedürfnisse gedeckt werden. Anders gesagt: Käme ein Deckel, so müsste bedürftigen Großfamilien mit Essensmarken oder Wohnungen geholfen werden.

Womit wir bei Alois Stöger sind. Schon vor Wochen hat der Sozialminister der ÖVP einen Reformvorschlag geschickt, der folgendes vorsieht: Ab dem fünften Kind wird der Kinderzuschlag gestrichen. Die Konsequenz: Der Grundbetrag für Großfamilien würde de facto bei 1570 Euro gedeckelt, die Hardliner in der ÖVP könnten zufrieden sein.

Da Stöger den Wohnkostenanteil (25 % des Mindeststandards) weiter gewähren will, hat Sozialsprecher August Wöginger für seine ÖVP bereits abgewinkt.

Nicht einfacher macht die Angelegenheit, dass die BMS nicht nur ein emotional aufgeladenes, sondern grundsätzlich komplexes Thema ist: So regelt sie zwar im Bundesgebiet, wie viel ein Bürger/eine Familie mindestens zum Leben braucht. Die maximale Höhe ist in jedem Bundesland aber anders, die Sätze für Kinder, Erwachsene und Wohnen, werden unterschiedlich berechnet und ausbezahlt – der Vergleich ist bisweilen kaum möglich.

Bei gutem Willen, so hieß es gestern in Regierungskreisen, wäre eine Annäherung durchaus möglich. Allerdings zweifeln manche in der SPÖ an der Ernsthaftigkeit der Debatte.

"Das letzte Netz"

"Wenn man Vorschläge von Teilen der ÖVP ernst nimmt, wonach für Sozialleistungen eine dreijährige Wartefrist gelten soll, so muss man klar sagen: Das wäre das Ende des Österreichs, wie wir es kennen", sagt Wiens Soziallandesrätin Sonja Wehsely zum KURIER. "Die Mindestsicherung ist das allerletzte Netz, eine zivilisatorische Leistung. Fällt sie, werden Kinder ihrer Zukunft beraubt und Familien in Obdachlosigkeit getrieben."

Wehsely plädiert für eine Versachlichung: "Sehen wir uns doch die Zahlen an: Von den Haushalten, die Mindestsicherung beziehen, haben nicht einmal 0,7 % fünf minderjährige Kinder." Es sei schlicht unseriös die Mindestsicherung zum budgetären Mega-Problem zu stilisieren. Warum forcieren Teile der ÖVP dann die "Fairness-Debatte"? Wehsely: "Offenbar wird hier ein Wahlkampfthema aufbereitet."

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