ÖVP neu: Szenen einer (R)evolution

Als Erneuerer will Reinhold Mitterlehner in die ÖVP-Geschichte eingehen. „Jünger, moderner, weiblicher“ möchte er die Partei machen.
Das Duell Jung gegen Alt gewann Seniorenchef Khol knapp vor JVP-Chef Kurz. Der Vorstoß für ein neues Mehrheitswahlrecht blieb in der Minderheit. Offene Abstimmung förderte offene Debatte.

Jössas, die Merkel ist da?" Ein ÖVPler, der kurz den Saal verlassen hat, ist aufgeregt, als die Stimme der deutschen Kanzlerin aus den Boxen im Hofburg-Konferenzzentrum dröhnt. Die CDU-Chefin ist per Video aus Berlin zugeschaltet; den österreichischen Gesinnungsfreunden wünscht sie "einen erfolgreichen Abschluss" ihrer "Erneuerung".

An der ist ein Jahr lang gearbeitet worden. Vom "Verzopft"-Image wollte die Volkspartei weg, verhindern, dass weitere Parteigänger zu den Neos überlaufen, die sogar ein Ex-ÖVP-Boss – Erhard Busek – unterstützt. "Ohne die Neos hätte es die ÖVP-Erneuerung wohl nicht so rasch gegeben", sagt ein Nationalratsabgeordneter dem KURIER.

ÖVP neu: Szenen einer (R)evolution
ABD0043_20150512 - WIEN - ÖSTERREICH: Die Alt-Parteiobleute (v.l.) Josef Taus, Josef Riegler, Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer im Rahmen der 37. außerordentlichen Bundesparteitages der ÖVP am Dienstag, 12. Mai 2015, in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Nun legen die ÖVP-Oberen dem Parteivolk das – nach 20 Jahren – erneuerte Programm vor. Frontmann Reinhold Mitterlehner appelliert an die rund 400 Delegierten, es gutzuheißen: "Wir müssen uns verändern, weil die Welt sich verändert hat." Auch die Polit-Gegner bewertet er, ohne sie zu nennen: "Die einen greifen in die Mottenkiste, die anderen flattern herum, andere marschieren stramm an den Werten der EU vorbei." Generalsekretär Gernot Blümel versucht, es plastisch zu machen, mit einem zwei Jahrzehnte alten, unhandlichen Mobiltelefon: Wer glaube, ein neues sei nicht nötig, "der soll dieses heben".

ÖVP neu: Szenen einer (R)evolution
Wien (OTS) - Im Rahmen der überparteilichen Initiative "Talente blühen!" präsentierten Matthias Strolz, Erhard Busek und Beatrice Svoboda am heutigen Montag das Buntbuch zur Schulautonomie "Die mündige Schule". Das Buch umfasst ein Schulautonomie-Konzept sowie 35 Beiträge von Expert_innen aus Theorie und Praxis sowie von Betroffenen und Gestalter_innen des Schulwesens. Lehrer_innen, Schulleiter_innen, Schüler_innen, Eltern und Vertreter_innen von Bildungsinitiativen kommen dabei ebenso zu Wort wie Fachleute aus Bildungswissenschaft, Organisationsentwicklung und anderen Disziplinen.

Die Hand heben brauchen die Delegierten bei diesem Parteitag nicht mehr; elektronisch wird erstmals abgestimmt. Nicht nur über das neue Grundsatzprogramm (289 Pro-Stimmen, 3 Gegenstimmen) und ein neues Parteistatut (um die Hälfte verkleinerter Vorstand), auch über 39 Abänderungsanträge. Etwa über einen zur Grunderwerbsteuer, die SPÖ und ÖVP im Zuge der Steuerreform erhöhen wollen. Dagegen gibt es starken ÖVP-internen Widerstand (siehe unten rechts). Über vieles wird heftig diskutiert.

Verbalschlagabtausch

ÖVP neu: Szenen einer (R)evolution
ABD0051_20150512 - WIEN - ÖSTERREICH: Parteiobmann Reinhold Mitterlehner mit Schülern im Rahmen der 37. außerordentlichen Bundesparteitages der ÖVP am Dienstag, 12. Mai 2015, in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Dass die Junge ÖVP von Sebastian Kurz ein minderheitenfreundliches Wahlrecht (stimmenstärkste Partei bekommt die Hälfte der Mandate minus eins) beantragt, missfällt ÖVP-Seniorenbundchef Andreas Khol: Was Kurz & Co wollten, sei "wie ein heißer Eislutscher, wie zögernde Schnelligkeit. Damit muss die stärkste Partei erst recht wieder einen Koalitionspartner suchen." Mit Verve argumentiert Khol gegen dieses Ansinnen ("Wir sollten die Mehrheit aufgrund guter Politik an den Wahlurnen erringen, nicht durch juristische Tricks") – und befindet: "Ich lehne den Antrag der JVP ab. Ich liebe Kurz und die JVP."

Der "Geliebte" reagiert. "Wenn man dir zuhört, bekommt man den Eindruck, das jetzige System sei perfekt", sagt Kurz. Khol, einst Klubchef unter Schwarz-Blau, kontert: Mit Großen Koalitionen habe er "keine Freude. Kleine Koalitionen – große Semmeln, Große Koalitionen – kleine Semmeln." Eine Zweidrittelmehrheit wäre für Kurz’ Antrag nötig; eine Stimme dafür fehlt.

Keine Freude mit der Delogierung aus dem Parteivorstand haben Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer und EU-Mandatar Otmar Karas. Ein anderer bisheriger Vorständler ortet auch Vorteile: Er könne fortan dort Beschlossenes leichter öffentlich kritisieren.

Die Delegierten zeigten sich mehrheitlich zufrieden mit der neuen Richtung, die die ÖVP eingeschlagen hat. Im großen Festsaal der Hofburg, in dem es im Laufe des Tages fast unerträglich heiß wurde, war aber auch viel Kritik zu hören. "Mir waren einige Passagen des neuen Parteiprogramms zu progressiv", erklärte Helmut Kukacka, ehemals Verkehrsminister in der Regierung Schüssel II. "Deshalb haben wir einen Antrag gestellt, der das christdemokratische Selbstverständnis der Partei stärker betont."

Besonders die Wirtschaftstreibenden kritisierten lautstark. Der Salzburger Wirtschaftsbündler Nick Kraguljac befand fernab von bürgerlicher Noblesse: "Die Steuerreform, wie sie derzeit vorliegt, ist ein Schas." So wollte er das im KURIER-Gespräch zwar nicht wiederholen, die Sache an sich liege ihm aber am Herzen: "Österreich wird immer unternehmerfeindlicher, da müssen wir was tun." Jene EU-Länder, die in den vergangenen Jahren reformfreudig gewesen sind, hätten Österreich längst überholt.

Buh-Rufe

Natürlich sei die Sozialpartnerschaft gut für Österreich, er könne sich aber nicht des Eindrucks erwehren, dass zuletzt immer nur die Arbeitnehmer siegreich blieben. Und Evolution – das Motto des Parteitages – heiße für ihn, sich neu erfinden zu können. Mit Polit-Dinosauriern wie GÖD-Chef Fritz Neugebauer sei das nicht möglich. Er bediene zwar seine Klientel, durch sein dauerndes "Njet" vertreibe er aber viele Wähler. Deswegen die Forderung von Kraguljac, Neugebauer möge in Pension gehen – was auch mit lauten Buh-Rufen quittiert wurde.

Für junge Parteigänger wie Veronika Mikl, Bezirksvorsteherin in Wien-Josefstadt, geht der Evolutionsprozess "sicher in die richtige Richtung". Sie lobt vor allem das größere Gewicht von Vorzugsstimmen, aber auch den erleichterten Zugang von Frauen in die Politik (Reißverschluss-Prinzip) und dass Politik zunehmend als Dienst am Bürger verstanden werde. "Das muss zentrales Anliegen unserer Politik sein."

Unter den Delegierten war auch ÖVP-Urgestein Adi Tiller recht zufrieden. Der Döblinger ÖVP-Chef hat für seine Partei alle Rekorde gebrochen, seit 37 Jahren ist er Chef der Bezirkspartei und Bezirksvorsteher, erzählt der 76-Jährige. Das neue Parteiprogramm sei ganz nach seinem Geschmack, "weil die ÖVP damit auf die Menschen zugeht, ganz so, wie ich das seit 40 Jahren mache. Und die moderne Welt mit den Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme per eMail oder Mobiltelefon müssen wir noch besser nützen."

Dass SPÖ und ÖVP die Grunderwerbsteuer – als Teil der Gegenfinanzierung der Steuerreform – anheben wollen, erzürnt viele in der ÖVP. Eine Gruppe von Delegierten erwog, beim Parteitag einen Gegenantrag einzubringen. Den Parteioberen missfiel das. Obmann Mitterlehner rief den Gesinnungsfreunden zu Beginn des Parteitags zu: Die Causa Grunderwerbsteuer sei nicht auf einem Parteitag zu behandeln; das sei Sache der Regierung. "Das müssen wir nicht hier abstimmen, sondern dort ausverhandeln."

Es gab aber einen Antrag dazu – auch wenn das Wort "Grunderwerbsteuer" nicht vorkam. Zuerst wollte der Bauernbund allein vorpreschen, letztlich gab es aber einen gemeinsamen Antrag von Wirtschafts-, Bauernbund und ÖAAB. Gefordert wurde, "dass Eigentum leistbar bleibt, sowohl im privaten als auch im betrieblichen Bereich". Für die "Übergabe von Eigentum innerhalb der Familie" seien "die Kosten so gering wie möglich zu halten", um "die Eigentumsweitergabe zu ermöglichen und zu garantieren". Und: "Leistungs- und eigentumsfeindliche Anhebungen von bzw. die Einführung neuer Substanzsteuern werden abgelehnt." Der Antrag wurde – wenig überraschend – von der überwiegenden Mehrheit unterstützt: 323 Delegierte stimmten dafür, nur vier votierten dagegen.

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