ÖVP digitalisiert sich zum 70er

Raoul Bumballa (4.v.r.), Edmund Weber, Hans Pernter, Felix Hurdes, Lois Weinberger, Leopold Figl, Julius Raab, Ferdinand Graf und Franz Latzka (v.l.n.r.) – Erste Parteivorstandssitzung der ÖVP im April 1945Edmund Weber, Hans Pernter, Felix Hurdes, Lois Weinberger, Leopold Figl, Raoul Bumballa, Julius Raab, Ferdinand Graf und Franz Latzka (v. li. n. re.) – Erste Parteivorstandssitzung der ÖVP im April 1945
ÖVP nimmt sich Datensammlungen von Google & Co zum Vorbild für "digitale Lebenswelten".

Der Krieg war noch nicht zu Ende, als sich im April 1945 eine Herrenrunde in dunklen Gewändern und weißen Hemden im Schottenstift auf der Freyung in Wien einfand. Unter dem Vorsitz von Leopold Figl gründete sich die Österreichische Volkspartei.

Am 17. April 2015 ist dieses Ereignis 70 Jahre her. Die ÖVP wird ihren runden Geburtstag in jenem historischen Raum im Wiener Schottenstift begehen, in dem sie "geboren" wurde. Es wird aus diesem Anlass eine – medienöffentliche – Parteivorstandssitzung geben. Zuvor wird Kardinal Christoph Schönborn eine Messe lesen. Parteichef Reinhold Mitterlehner hält die Festrede.

Ihre ersten vierzig Jahre nach der Gründung war die ÖVP eine richtige Massenpartei. Es gab kein Wahlergebnis auf Bundesebene, wo nicht ein guter Vierer vor dem Ergebnis gestanden wäre. Bauern, Wirtschaftstreibende, Beamte und gläubige Katholiken bildeten eine verlässliche Basis für die Erfolge der Christdemokraten. Doch die Zeiten änderten sich.

Gab in den Anfängen der Zweiten Republik fast jeder zweite Wähler der ÖVP seine Stimme, ist es heute nur mehr jeder vierte. Die Wählerschaft ist in Bewegung, die klassischen Stammwähler werden weniger, Partei- und Lagerbindungen lösen sich auf. "Früher gab es drei Prozent Wechselwähler bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent. Heute gibt es 30 Prozent Wechselwähler bei einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent", sagt Gernot Blümel, Generalsekretär der ÖVP.

Angesichts dieser Entwicklung ist es keine leichte Aufgabe, den Charakter der ÖVP als möglichst breit aufgestellte Volkspartei zu erhalten. Es sei zwar schwierig, aber notwendig, meint Blümel: "Größere Parteien tragen zur Entschärfung von Konflikten bei. Parteiendemokratien, die über integrative Volksparteien verfügen, haben den Vorteil, dass Konflikte innerhalb der Organisation ausgetragen werden, und nicht auf der Straße."

Wobei die ÖVP an der Wende zu ihren nächsten 70 Jahren gerade dabei ist, eine neue innerparteiliche Konfliktkultur zu entwickeln. "Die Geschlossenheit einer Partei ist zwar grundsätzlich gut, aber sie darf nicht dazu führen, dass eine Partei verschlossen ist", sagt Blümel. Daher wagt die ÖVP bei ihrem Programm-Parteitag mitte Mai das Experiment, kontroversielle Themen absichtlich auf offener Bühne auszutragen, anstatt Gegensätze im Vorfeld zu bügeln. Ein Debatte auf offener Bühne, auf die man gespannt sein darf, wird das Thema Mehrheitswahlrecht.

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Zu ihrem 70. Geburtstag wird die ÖVP das Herzstück der Parteiarbeit digitalisieren. Das Vorbild sind Google, Facebook & Co, deren Geschäftsmodell schlicht und einfach auf Datenmengen beruht. "Daten sind das neue Gold", sagt Blümel. In der ÖVP werden derzeit alle vorhandenen Daten gesammelt und zu einem verwertbaren Datenstock aufgebaut: Daten aus dem Bürgerservice, dem eMail-Verkehr mit den Mitgliedern, den Bünden, den verschiedenen Newslettern etc. Mitglieder, Sympathisanten, potenzielle Wähler sollen über die neue Datenbank neu sortiert werden, und zwar nach "Lebenswelten", um zielgerichteter und spezifischer mit ihnen kommunizieren zu können. Angelehnt sind die "Lebenswelten" an die Sinus-Milieus, die die Wählerschaft anhand von Merkmalen wie wertkonservativ, individualistisch, konsumorientiert etc. charakterisiert.

In der haptischen Welt wird die ÖVP eine Bünde-Partei bleiben – Bauern, Wirtschaftstreibende, Beamte. In der digitalen Welt wird sie ihre Wählerschaft viel feiner untergliedern, deren Interessen und Befindlichkeiten erforschen, in deren Lebenswelten eintauchen. Diese will die ÖVP in ihre politische Arbeit aufnehmen, neue Strömungen bedienen oder auch dagegen steuern. Mit ihrer digitalisierten Grundlagenarbeit will die ÖVP anpassungsfähig werden und so beweglich wie die Wählerschaft. "Wir entwickeln dieses neue Tool zusätzlich zu den bestehenden. Im nächsten Nationalratswahlkampf 2018 wollen wir es bereits einsetzen", verrät Blümel.

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