Niki Glattauer: „Was nervt in der Schule? Natürlich die Lehrer“

Niki Glattauer: „Was nervt in der Schule? Natürlich die Lehrer“
Autor Niki Glattauer (55) weiß, wovon er schreibt. Er unterrichtet an einer Schule mit hohem Ausländeranteil. In seinem neuen Buch schreibt er erstmals über die Schule aus der Sicht der Eltern. Im Interview sagt er offen, was alles schiefläuft.

KURIER: Herr Glattauer, am Montag startet die Schule, und Ihr drittes Buch „Leider hat Lukas…“ kommt in die Buchshops. Dieses Mal schreiben Sie nicht aus der Warte des Lehrers, sondern skizzieren die Schule aus der Sicht der Eltern. Warum?

Niki Glattauer: Nach zwei Büchern wollte ich einen Perspektivenwechsel. Das hängt natürlich auch mit meinen Kindern zusammen. Beide sind nun schulpflichtig und drängen mich damit automatisch immer mehr in die Elternrolle – ich bin jetzt nicht mehr nur Lehrer. Aus dieser Perspektive gewinne ich aber immer mehr die Überzeugung, dass eine wirkliche Reform im österreichischen Bildungssystem nur über den Druck der Eltern passieren kann und wird.

Warum kann die Reform nur über den Druck der Eltern passieren?

In Österreich gibt es zu viel Interessens- und Klientelpolitik, sodass die Reform nie über die Politik passieren wird, weil sie keinen freien Handlungsspielraum hat. Wenn die Eltern endlich erkennen, Schule muss nicht so sein, wie sie im Moment gelebt wird, und dass unsere Vorwürfe zu Recht existieren, dann erst wird die Politik zu handeln beginnen.

Dann verraten Sie uns, was nervt Sie an der Schule aus der Sicht eines Vaters?

Zuerst muss ich vorausschicken, dass die Erzählungen aus dem Buch nichts mit den Erlebnissen meiner Tochter zu tun haben. Meine Quellen sind Freunde, Lehrer, und ich habe mir extra Mitteilungshefte von anderen Schülern besorgt, damit ich Stoff für mein Buch bekomme. Aber um es auf den Punkt zu bringen: Was nervt? Natürlich die Lehrer nerven. Und die Tatsache, dass ich als Vater plötzlich wieder in die Schule gehen muss. Es ist unfassbar, wie das System in den höheren Schulen funktioniert. In den Schulen, wo ich unterrichte, läuft es anders ab. An den sogenannten Restschulen, mit einem relativ hohen Anteil an Ausländern, gehen die Eltern nicht zu den Lehrern in die Schule, weil sie nicht gut Deutsch sprechen. Deswegen erledigen wir Lehrer alles gemeinsam mit den Kindern. Im Gymnasium ist es nicht so, da müssen plötzlich die Eltern die Schule der Kinder erledigen. Sei es, dass wir selber unseren Kinder Nachhilfe geben, Referate vorbereiten müssen und mit ihnen die Hausaufgaben erledigen. Das ist ungeheuerlich und eine Frechheit, denn eigentlich ist das alles Sache der Schule, da sollen sich gefälligst die Lehrer darum kümmern.

Die Ganztagsschule ist für Sie das ideale Schulmodell?

Ich bin absolut für Ganztagsschulen. Ich bin auch dafür, dass sämtliche Stehzeiten in der Schule während der Ferien abgeschafft werden müssen. Die Schule muss das ganze Jahr offen stehen, denn die Schließung der Schule ist ja auch enorme Ressourcenverschwendung. Schauen Sie sich eine moderne Schule einmal an, die sind ja bestens mit Turnsälen, Aufenthaltsräumen etc. ausgestattet. Gleichzeitig wissen die berufstätigen Eltern in den Ferien nicht, wo sie die Kinder unterbringen sollen. Das ist doch ein Wahnsinn.

Sie sind auch für eine Ganzjahres-Schule?

Ja, und jetzt spricht wieder der Lehrer aus mir: Die Lehrer können nicht das ganze Jahr über unterrichten. Die meisten Lehrer arbeiten und leisten sehr viel. Allerdings gehört die Schule entflechtet und der Druck rausgenommen, indem man den Unterricht auf den ganzen Tag verteilt. Man könnte in den Ferien einen Art lockeren Betrieb mit Freizeitpädagoginnen oder Studenten aufrechterhalten, die beispielsweise Nachhilfe geben. Warum sperrt man zu?

Wenn man sich allerdings den Standpunkt der Lehrergewerkschaft anschaut, gewinnt man nicht das Gefühl, dass da der Wille zur Reform besteht. Haben Sie das Gefühl, dass die Lehrergewerkschaft dem Image der Lehrer oft mehr schadet als nützt?

Wenn man von der Lehrergewerkschaft spricht, muss man sehr stark differenzieren. Es gibt in der Gewerkschaft auch reformwillige Köpfe. Derzeit sind leider ausschließlich Leute an den Spitzen der einzelnen Fraktionen, die alle eine retardierende Einstellung an Reformen haben. Und das liegt meiner Meinung nach weniger am Neugebauer, sondern an der AHS-Lehrergewerkschaft. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich mir da jetzt wenig Freunde mache: Die AHS-Lehrergewerkschaft betreibt Partei- und Klientelpolitik. Sie glaubt zu verhindern, dass die AHS-Lehrer in eine schlechtere Situation kommen. Ich bin überzeugt, dass das vollkommen verkehrt gedacht ist. Ich glaube, dass die AHS-Lehrer durch eine vernünftige Reform wesentlich bessere Zu- und Umstände hätten als jetzt.

Warum?

Weil das momentane System dafür sorgt, dass alle Eltern ihre Kinder in die AHS drängen, pressen und drücken. Obwohl viele Kinder gar nicht in die AHS gehören. Die Lehrer sind mit überfüllten Klassen und falschen Schülern überfordert. Und die AHS wird letztlich auch aushungert, weil das meiste Geld in die Neue Mittelschule fließt. Nur eine Reform, die dieses System völlig aufbricht und neu aufsetzt, wäre eine Lösung.

Es gab 33 Verhandlungsrunden ohne Ergebnis, nun will die Regierung das neue Lehrer-Dienstrecht ohne die Zustimmung der Gewerkschaft noch vor den Wahlen umsetzen. Das sind alles keine guten Vorzeichen für eine Reform. Wer könnte eine schaffen?

Es wird keine Reform geben, weil es zu keinem Konsens kommen wird. Eine wirkliche Schulreform, die diesen Name auch verdient, kann es, wie gesagt, nur auf Druck der Eltern und unter einem grünen Bildungsminister mit einem roten Kanzler geben. Ein Teil der ÖVP, wie etwa der Landeshauptmann in Tirol oder in Vorarlberg, sowie die Industriellenvereinigung sind für eine gemeinsame Schule. Aber ein bestimmter Flügel in der ÖVP boykottiert und blockiert dieses Schulmodell bis ans Lebensende.

Die Zeit von Bildungsministerin Claudia Schmied scheint nach den Nationalratswahlen abgelaufen zu sein. Wie würden Sie ihre Bilanz beurteilen?

Es ist eine Bilanz, die aus lauter Konjunktiven besteht. Alles, was sie angepackt hat, könnte, sollte, müsste sein – und nichts ist.

Sie hat die Neue Mittelschule durchgesetzt. Ist das nichts?

Niki Glattauer: „Was nervt in der Schule? Natürlich die Lehrer“
Interview mit Niki Glattauer zu seinem neuen Buch "Mitteilungsheft: Leider hat Lukas ..." am 05.08.2013 in Wien.
Die Neue Mittelschule ist in der jetzigen Form ein totaler Rückschritt , weil sie die Segregation fortsetzt. Die Neue Mittelschule wäre eine gute Idee gewesen bei gleichzeitigem Einfließenlassen der AHS-Unterstufe. So ist die Neue Mittelschule ein Etikettenschwindel, denn es ist die alte Hauptschule – auch wenn dort pädagogisch viel probiert wird. Es nutzt aber nichts, weil wir das gleiche Restpublikum wie in den Hauptschulen haben, und wir brauchen Mischung. Die Eltern sollten endlich begreifen, dass die Durchmischung im Niveau nach oben führt. Niemand braucht Angst vor einer Nivellierung nach unten haben. Da ist ein völliger Humbug. Diese Nivellierung gibt es nicht in Finnland trotz gemeinsamer Schule. Und auch die Polen klettern bei den PISA-Tests immer weiter hinauf, seit sie die gemeinsame Schule eingeführt haben.

Und das wäre die neue durchmischte Grundschule für alle Sechs- bis 14-Jährigen?

Zuerst muss es einen verpflichtenden Kindergarten geben. Nicht für ein Jahr, sondern ab drei Jahre. Die Kindergartenpädagoginnen müssen auch universitär mitausgebildet werden. Der Übertritt von der Volksschule in eine Mittelschule sollte erst dann erfolgen dürfen, wenn sie lesen, rechnen, schreiben wirklich können. Wenn man etwas verzögern oder verlängern sollte, dann in die Volksschule, bis die Kinder wirklich reif sind. Dadurch würden in der Mittelstufe automatisch Mehrstufenklassen entstehen. Nach der Mittelstufe sollte es noch ein polytechnisches Jahr geben, wo die Kinder wirklich auf die Berufswelt vorbereitet werden. Und erst danach soll entschieden werden, ob der Schüler weiter in die AHS , in eine Lehre oder in eine berufsbildende Schule gehen will.

Sie haben erst vor 13 Jahren begonnen zu unterrichten. Sind Sie ein anderer Typ Lehrer, weil Sie ein Quereinsteiger sind?

Ich glaube, es ist wichtig, welche Einstellung die Lehrer zu Kindern haben. Werde ich Lehrer, um einen Stoff oder um Kinder zu unterrichten? Und wenn Studenten Lehrer werden, weil sie auf der Universität Musik studiert haben, aber das Talent nicht zur Geigerin im Orchester reicht, und dann wird man als Last Exit Lehrer. Das ist der falsche Zugang. Zuerst sollte man „Lehrer“ studieren und sich erst danach für ein Fach entscheiden.

Alles zum Thema Schulstart lesen Sie hier.

Niki Glattauer: „Was nervt in der Schule? Natürlich die Lehrer“
Vor kritisch pointierten Aussagen über das heimische Schulsystem schreckt Autor und Lehrer Niki Glattauer (55) nicht zurück. Der frühere Journalist unterrichtet seit 13 Jahren in einer sogenannten „Restschule“ in Wien Döbling, die einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund hat. In den Buchhandlungen gibt es seit wenigen Tagen sein drittes Buch zum Thema Schule zu kaufen. Hinter dem Titel „Mitteilungsheft: Leider hat Lukas...“ (Kremayr & Scheriau Verlag um 22 Euro) versteckt sich ein amüsantes Buch über den Schulalltag aus der Sicht der Eltern.

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