Muslime fürchten um Kleinmoscheen

Muslime fürchten um Kleinmoscheen
Rund die Hälfte aller Islam-Vereine Österreichs bekennt sich nicht zu Glaubensgemeinschaft.

Viele Muslime in Österreich sind besorgt. Ein Passus im Entwurf für das neue Islamgesetz befasst sich nämlich mit der Gründung sogenannter Kultusgemeinden. Wer eine solche gründen will, braucht mindestens 300 Mitglieder. Eine Hürde, die kleine Vereine vor Probleme stellen würde: Müssten sie sich – wie vielerorts befürchtet – neu konstituieren, wären allein in Wien bis zu 35 „Grätzelmoscheen“ weit von der Mindestanforderung entfernt. Von Gotteshäusern in ländlichen Gegenden ganz zu schweigen.

Im Integrationsministerium beruhigt man umgehend: Für Vereine, die sich zur Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) bekennen, ändere sich gar nichts.

Bei der „Arabisch-österreichischen Kulturvereinigung“ ist man zurzeit jedenfalls verunsichert. Der Verein betreibt eine kleine Moschee im Jean-Jaures-Hof in Favoriten, versteht sich in erster Linie aber als sozialer und kultureller Treffpunkt für die Muslime aus der näheren Umgebung. Eine klassische Grätzelmoschee – finanziert aus privaten Spenden. Im Normalfall kommen 60 bis 70 Leute, wenn Imam Hosni Hasan – der studierte Theologe und Architekt arbeitet in Wien mangels Alternativen als Taxifahrer – ehrenamtlich das Gebet leitet. Eingetragene Mitglieder hat der Verein aber nur sechs. Wie viele andere Muslime befürchten die Gläubigen auch hier, dass sich kleine religiös tätige Vereine (mit weniger als 300 Mitgliedern) neu konstituieren müssen – oder eben gezwungen sind, ihre Statuten zu ändern.

„Das läuft darauf hinaus, dass man sich offiziell als Sport- oder Kulturverein bezeichnet – und inoffiziell wird gebetet“, meint Omar Al-Rawi von der Initiative der muslimischen ÖsterreicherInnen. Der Stadtentwicklungssprecher der Wiener SPÖ befürchtet das Aus für etliche Kleinmoscheen und merkt daher an: „Wir sprechen von Wien immer als der ,Stadt der kurzen Wege‘. Grätzelmoscheen gehören zur Nahversorgung der Menschen. Warum sollen sie längere Anfahrtswege in Kauf nehmen? Zumal sich sofort Widerstand regt, wenn irgendwo eine größere Moschee geplant ist.“

Von 300 Mitgliedern ist man auch in Wiens einziger afrikanischer Moschee – der Ar-Rasheed-Moschee in der Brigittenau – weit entfernt. „Maximal 80 Leute kommen zum Beten“, schätzt Schriftführer Olayigbade Abass.

250 „wilde“ Vereine

Im Büro von Integrationsminister Sebastian Kurz (VP) versucht man, die Ängste zu zerstreuen: „Man braucht keine Kultusgemeinde, um eine Moschee betreiben zu können. Es geht bloß darum, dass religiöse Lehren ausschließlich von Glaubensgemeinschaften verbreitet werden dürfen – wie zum Beispiel von der IGGiÖ. Vereine, die religiös tätig sein wollen, müssen sich unterordnen.“

Vereine, die bereits zur IGGiÖ gehören, hätten nichts zu befürchten. „Unabhängig von ihrer Mitgliederanzahl.“ Das trifft momentan allerdings bloß auf die Hälfte aller muslimischen Vereine in Österreich zu: Von 500 bundesweit erfassten, bekennen sich nur etwa 250 zu einer Glaubensgemeinschaft. Diejenigen, die das auch weiterhin ablehnen, müssen nun tatsächlich ihre Statuten ändern – oder sie werden vom Innenministerium aufgelöst.

Im Büro von Kulturminister Josef Ostermayer (SP), der gemeinsam mit Kurz für den Entwurf des Islamgesetzes verantwortlich zeichnet, erklärt man: „Die IGGiÖ hat immer wieder betont, dass sie keine rechtliche Handhabe gegen Vereine hat, die etwa besonders radikal auftreten. Diese Möglichkeit wird mit dem neuen Islamgesetz geschaffen.“ Sprich: Religionsgesellschaften kümmern sich um sämtliche Glaubensangelegenheiten, soziale und kulturelle Aktivitäten können weiterhin auf Vereinsbasis betrieben werden.

Wer eine Kultusgemeinde gründen will, benötigt aber tatsächlich 300 Mitglieder (genauso steht es auch im Israelitengesetz). Als spezielle Rechtspersönlichkeit genießt so eine Gruppierung mehr Autonomie gegenüber der Glaubensgemeinschaft als herkömmliche Vereine.

Auslandsfinanzierung

Ein Punkt im Islamgesetz, der ebenfalls für Unruhe unter Muslimen sorgt und von Verfassungsjuristen infrage gestellt wird, ist das Verbot von Auslandsfinanzierungen für Moscheen (Spenden bleiben erlaubt, der laufende Betrieb soll aber in Österreich finanziert werden). Das zielt darauf ab, externe Einflüsse zu unterbinden. IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac sieht dadurch den Gleichheitsgrundsatz verletzt (mehr dazu siehe hier). Von den rund 500 muslimischen Vereinen sind etwa 70 bis 90 ausländisch finanziert, meinen Experten. Dazu gehören 65 von Atib – dem verlängerten Arm der türkischen Religionsbehörde sowie das von Saudi-Arabien unterstützte Islamische Zentrum in Floridsdorf – die größte Moschee Österreichs.

Dort hofft man auf ein Einlenken des Gesetzgebers – denn das neue Gesetz könne „das Aus bedeuten“. „Wir sind auf Spenden von außen angewiesen. Wir haben keine Mitglieder und sind eine Moschee, die für jedermann offen ist“, sagt Direktor Hashim Mahrougi. Es stelle sich allerdings die Frage, „ob der Staat Österreich bereit wäre, den Betrieb unserer Moschee zu finanzieren. Wenn ja, können wir auf die Spenden aus dem Ausland verzichten“.
Der Gesetzesentwurf, meint Mahrougi, stelle die Muslime in Österreich „unter den Generalverdacht, dass von ihren Gotteshäusern, nur weil sie von außen unterstützt werden, eine Gefahr ausgeht."

Kritisch äußert sich auch Atib-Generalsekretär Selfet Yilmaz. Ohne Auslandsfinanzierung der Imame müsse man auf „exzellent ausgebildete Religionspädagogen verzichten“ – „dadurch würde die Qualität der Religionsausübung und des Religionsunterrichts leiden“. Und überlasse man den 65 Ortsvereinen selbst die Gehälter der Imame, könnten diese gleich zusperren.

102 Jahre ist Österreichs Islamgesetz alt, älter als unsere Bundesverfassung. Österreich konnte zu Recht stolz sein, schon damals den Islam als Religionsgesellschaft anerkannt und den Muslimen Selbstbestimmung zugesichert zu haben. Das Gesetz wird nun reformiert, "weil sich seither viel geändert hat", hatte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer bei der Präsentation des Gesetzesentwurfs erklärt.

Ehrlicherweise ist das nur die halbe Wahrheit. Machen wir uns doch nichts vor. Es geht um unsere tief sitzende, diffuse Angst vor einem radikalen politischen Islam. Vor IS, Steinigungen, Köpfen, Burkas und dem Heiligen Krieg, im Namen eines göttlichen Rechts, das für uns nicht nachvollziehbar ist und daher eine Bedrohung aller unserer Werte, Normen und Gesetze darstellt.

Die Regierung versucht nun eine legistische Antwort auf diese Situation zu formulieren. Das ist durchaus ehrenhaft, obschon ein Islamgesetz die vielen unterschiedlichen Strömungen (Shia, Sunna, Alaviten etc.) kaum abbilden kann. Offen ist, wie die gesellschaftliche Antwort aussehen soll. Denn ein kleiner Teil der muslimischen Jugend beantwortet ihre Ausgrenzung als gesellschaftliche Verlierer mit Aggression – nicht wie bisher mit blinder Wut (wie bei den Aufständen in Paris vor wenigen Jahren), sondern sie findet im heiligen Krieg eines radikalen Islam ein Ventil und letztlich einen Sinn.

Eine Gesetzesreform alleine entbindet uns als Gesellschaft mit Sicherheit nicht, das selbstverständliche Miteinander zwischen den muslimischen Österreichern und dem Rest der Bevölkerung durch offensive Bildungs- und Integrationsmaßnahmen voranzutreiben. Angst und Panik sind dabei schlechte Lehrmeister.

Außenminister Sebastian Kurz beschäftigt sich derzeit intensiv mit Österreichs Muslimen und dem Islam in Österreich. Am Sonntag stellte er gemeinsam mit dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Fuat Sanaç einen Info-Folder vor, der an junge Muslime verteilt wird und vor den Gefahren einer Radikalisierung warnt und einen Missbrauch der Religion verhindern soll.

Gegen Krieg und Terror

Im Folder finden sich klare Aussagen von Muslimen gegen Krieg und Terror. Diese werden durch Zitate aus dem Koran und Aussprüche des Propheten Mohammed in der Broschüre belegt.

"Mit dem Info-Folder setzen wir ein klares Zeichen. Auf Basis religiöser Quellen verteidigen darin österreichische Muslime die Grundwerte des Islam gegen jegliche Art von radikaler Vereinnahmung. Wir wollen aber deutlich machen, dass in Österreich das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen kein Problem sein soll und möglich ist", erklärt Kurz die Aktion. Auch Sanaç begrüßt die Aktion: "Wenn wir als gläubige Muslime entschieden gegen die Pervertierung unserer Religion auftreten, können wir aufklären und durch religiöses Wissen eine Art Immunisierung gegen die Terrorpropaganda erreichen ."

Er sei derzeit aber "sehr besorgt, dass sich Tendenzen breitmachen, Muslime unter eine Art Generalverdacht zu stellen". Umso wichtiger sei das gemeinsame Auftreten. Muslime selbst seien wichtige Akteure im Kampf gegen Extremismus.

Muslime fürchten um Kleinmoscheen
Bundesminister Sebastian Kurz trifft Fuat Sanac, Präsident der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Wien, 12.10.2014. Foto: Dragan Tatic
Deutlich problematischer sind die Töne von Sanaç und Kurz bezüglich der Reform des Islamgesetzes. Sanaç hat den vorliegenden Entwurf von Kurz und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer heftig kritisiert. Am Sonntag gab sich Sanaç deutlich milder: "So wie wir hier gut zusammenarbeiten, sehen wir die Chance, auch in der Novellierung des Islamgesetzes durch Dialog einige Schieflagen noch auszugleichen."

Kurz verteidigt den Gesetzesentwurf. "Es war unser Ziel, ein neues modernes Gesetz zu schaffen, das den Muslimen Rechte als auch Pflichten gibt." Wichtig sei ihm auch, dass der Staat zum Schutz moslemischer Vereine besser gegen ausländische Kontrolle oder Einflussnahme aus Ländern wie Saudi-Arabien oder der Türkei vorgehen könne.

Imame dürften künftig nicht mehr Angestellte der türkischen Regierung sein, verlangt der Außenminister. "Wir wollen, dass österreichische Muslime, die hier aufgewachsen sind, die Aufgaben als Religionslehrer oder Imame übernehmen."

Zudem seien Regelungen auf den Weg gebracht, um etwa gegen Personen vorzugehen, die sich aus Österreich den IS-Terroristen in Syrien anschließen. "Wer das tut, macht sich in Österreich strafbar und wird die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen."

Weitere Aktionen

Maßnahmen der Regierung Gipfel der Regierung gegen Hass und Hetze am Dienstag; Videokampagne im Oktober mit österreichischen Muslimen, die sich gegen den IS-Terror aussprechen („Not in our name“); Entwicklung einer „Charta“ gegen Radikalisierung; Anti-Radikalisierungs-Workshops

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