Warum die Schulreform eine halbe Sache blieb

Warum die Schulreform eine halbe Sache blieb
Was läuft schief? Ministerin gibt Lehrern Mitschuld, Experten & Politik fordern mehr Autonomie.

Der Unterricht ist etwa besser geworden, es gibt weniger Gewalt unter den Schülern – aber eine bessere Leistung haben die Schüler nicht erbracht: So lautete das Fazit der großen, vom Bildungsministerium in Auftrag gegeben Bewertungsstudie über die Neue Mittelschule (siehe Fragen und Antworten unten).

Politisch ist die Evaluation für die Ministerin unerfreulich, war es doch das Projekt der SPÖ-Bildungsreform. Für FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz ist "das Vorzeigeprojekt sozialistischer Bildungsreformwut (...) durchgefallen", Ministerin Heinisch-Hosek "rücktrittsreif".

Weniger scharf zieht Harald Mahrer, ÖVP-Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Resümee: Kurz- und mittelfristig brauche es mehr Autonomie an den Schulstandorten; Langfristig bessere Volksschulen. Und auch über Sparpotenzial werde man reden müssen.

Die Bildungsministerin argumentiert, dass es sehr wohl "deutliche Verbesserungen durch das pädagogische Konzept der NMS" gebe, allerdings sei die Umsetzung "noch unvollständig". Je vollständiger das pädagogische NMS-Konzept umgesetzt wird, "desto stärker fallen die Leistungssteigerungen aus". Sie verspricht auch gesetzliche Verbesserungen. Jedoch: "Ein Schlüsselfaktor auf dem Weg zu dieser neuen Lernkultur ist das Engagement der Lehrkräfte."

Bildungsexperte Stefan Hopmann reagiert wütend: "Ich hätte gerne einmal eine Ministerin, die das Wort Verantwortung buchstabieren kann", sagt er gegenüber dem KURIER. Ärgerlich sei, dass jetzt wieder den Lehrern die Verantwortung für das Scheitern gegeben werde. "Schuld am Versagen ist die Politik, nicht die Lehrer!"

Lehrergewerkschafter Paul Kimberger kritisiert wie Hopmann die "pädagogische Bevormundung durch den Minoritenplatz", statt mehr Autonomie zu ermöglichen.

Die größten Herausforderungen an den Schulen seien "Migration und Integration". Am Konzept NMS will Kimberger festhalten: "Und ich wehre mich vehement, Geld aus dem Schultyp wieder heraus zu ziehen." Besser wäre, wenn autonom über die Mittel verfügt werden kann – etwa auch für Sozialarbeiter oder Psychologen.

Welche Ziele wollte man mit der Neuen Mittelschule (NMS) erreichen?

Pädagogisches Ziel ist, dass jedes Kind nach seinem Tempo lernen kann und am Ende das Bildungsniveau aller steigt. Ermöglicht soll das durch neue Lernformen – z. B. offener Unterricht – werden. Soziales Ziel der NMS ist es, eine neue Form des Miteinanders zu finden. Auch mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit soll die NMS bringen, indem die Entscheidung für die AHS nicht wie bisher mit 10 Jahren, sondern erst mit 14 erfolgt (gesellschaftliches Ziel).

Was unterscheidet die NMS von Hauptschulen?

Die Leistungsgruppen gibt es in der NMS nicht mehr. Für die Differenzierung im Unterricht wurde das Team-Teaching installiert: In den Hauptfächern stehen zwei Pädagogen in der Klasse. Anders ist auch die Benotung ab der 3. Klasse. Es wird zwischen grundlegender (entspricht etwa Hauptschulniveau) und vertiefter Allgemeinbildung (entspricht dem AHS-Niveau) unterschieden. Wer nur die Basisausbildung hat, darf nach der 4. Klasse nicht in eine höhere Schule.

Wurde das Konzept so umgesetzt wie geplant?

Jein. In nur einem Viertel der Schulen wurde das Konzept der NMS tatsächlich so umgesetzt, wie es gedacht war. Ein weiteres Viertel hat es überwiegend umgesetzt. In 50 Prozent der Standorte sind die NMS-Merkmale nur wenig ausgeprägt. Sprich: Dort gibt es zwar auch zwei Lehrer in Deutsch, Englisch und Mathematik. Doch der Unterricht sieht kaum anders aus als in einer Hauptschule.

Welche der gesteckten Ziele wurden erreicht?

In den Neuen Mittelschulen, die das Konzept umgesetzt haben, sind laut Studie die Leistungen der Schüler besser. Auch das Miteinander ist in der NMS im Vergleich zur Hauptschule besser geworden – die Gewalt wurde weniger. Besonders profitieren würden von den NMS die Migranten, die das Schulklima positiver bewerten.

Welche Ziele wurden verfehlt ?

Die NMS bietet nicht mehr Chancengleichheit als die Hauptschule. Nach der 8. Schulstufe wechseln kaum mehr NMS-Schüler in eine AHS oder berufsbildende höhere Schule. Die Leistungen der Schüler sind in den NMS im Schnitt um nichts besser als in Hauptschulen.

Wie teuer ist die Neue Mittelschule?

7200 Euro betragen die Personalkosten pro NMS-Schüler, in der Hauptschule sind es 6600 Euro und in der AHS 4700 Euro.

Wäre mehr Schulautonomie die Lösung?

Davon gehen die Studienautoren aus. Das flächendeckende Team-Teaching habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Es müsse deshalb neue Wege geben, die zusätzlichen Ressourcen effizient einzusetzen. Besonders für lernschwache Kinder müsse es Unterstützung geben. Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann sieht in der fehlenden Autonomie eine der Hauptursachen für das Scheitern der NMS: "Man kann nicht eine Form der Neuen Mittelschule allen Standorten überstülpen. Die NMS in einem sozial schwierigen Gebiet muss ganz anders arbeiten können als eine NMS im Zillertal. Doch das ist in dem derzeitigen System kaum möglich."

Warum die Schulreform eine halbe Sache blieb
In der NMS läuft also fast nichts wie geplant. Kaum etwas ist besser als in den Hauptschulen (HS). Aber was hat man erwartet? Die Leistungsgruppen, die in den HS gut funktioniert haben, wurden abgeschafft. Jetzt sitzen jene Kinder, die sich schwerer tun, mit den Besten in einer Klasse – und gehen dort oft unter. Die Lehrer können nicht so gut auf die Schüler eingehen, weil sie sich ja um alle kümmern müssen. Dass die "soziale Durchmischung" in der NMS nicht besser wurde, ist auch nicht überraschend – es gibt ja daneben immer noch die AHS. Die Chancen, in eine höhere Schule aufzusteigen, sind daher natürlich auch nicht gestiegen.

All das kann man nur mit einer Schule für alle 10- bis 14-Jährigen erreichen. Die NMS ist eine halbe Sache.

Jennifer Tobner, 17 Jahre, HAK Baden

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