Verschärfte Maßnahmen werden am Samstag präsentiert

Verschärfte Maßnahmen werden am Samstag präsentiert
Regierung und Experten traten vor die Pressevertreter und sprachen über die Auslastung der Spitals-Kapazitäten. Lockdown-ähnliche Maßnahmen wurden noch keine verkündet.

Mehr als 4.400 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden: Das ist ein weiterer, besorgniserregender Rekordwert. Ein zweiter Lockdown steht vor der Tür. Nachbarstaat Deutschland wird diesen trotz geringerer Infektionszahlen als Österreich bereits mit Montag verhängen. Er soll den gesamten November über gelten.

Österreichs Regierungsspitze hat sich heute, Donnerstag, vorab mit einer Experten-Runde über Ressourcen in den Spitälern beraten. Dabei ging es nicht nur um Betten, sondern auch um verfügbares Personal und Ausrüstung. In einem öffentlichen Statement wurde das Ergebnis dieser Besprechung näher erläutert.

(Noch) kein Lockdown - Info zu Maßnahmen am Samstag

Kurz: "Mutmaßungen bringen nichts"

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hielt das Eingangsstatement. "Wir erleben in Europa gerade eine intensive zweite Welle", sagte Kurz. Im Schnitt würden sich die Infektionszahlen in Österreich innerhalb einer Woche verdoppeln. Man habe zwar mehr Kapazitäten als andere Länder im Spitalswesen, aber: Auch diese seien begrenzt. Vor zwei Wochen habe er einmal versucht eine ungefähre Zahl zu nennen, ab wann die Kapazitäten überfordert seien: ab 6.000 Neuinfizierten pro Tag - über mehrere Wochen. "Das bedeutet im Extremfall auch, dass Experten entscheiden müssen, wer behandelt wird oder nicht." So eine Situation werde man nicht zulassen, meinte Kurz. Er verwies etwa auf Frankreich, wo "bereits Krebsoperationen verschoben werden müssen".

"Wir haben daher heute mit einigen Experten noch einmal kritisch hinterfragt, ob die Zahl von 6.000 Neuinfektionen pro Tag wirklich ein kritischer Schwellenwert ist", so Kurz. Die Experten hätten ihm das bestätigt. Als Bundesregierung müsse man nun reagieren und habe für Freitag die Sozialpartner eingeladen. Mit den anderen Parteien im Nationalrat wolle man am Samstag sprechen, mit den europäischen Nachbarstaaten sei man im engen Austausch. Am Samstag wird die Regierung die Öffentlichkeit über neue Maßnahmen informieren.

Diskutiert wurde im Vorfeld ein sogenannter "Lockdown light", inklusive einer nächtlichen Ausgangssperre. Kurz wollte noch nicht ins Detail gehen: "Es ist nicht so, dass wir als Regierung abwarten", meinte er und verwies auf die kommenden Gespräche. "Es bringt nichts, jetzt mit Mutmaßungen zu arbeiten." Man bereite die "weiteren Schritte" vor und wolle sie dann klar kommunizieren. An den entsprechenden Verordnungen arbeite man bereits.

Zudem meinte Kurz: "Nichts von dem, was wir gerade in Europa oder Österreich erleben, ist überraschend." Als Gesellschaft müsse man jetzt "gemeinsam gegensteuern", dass es zu keiner Überlastung des Systems komme.

Anschober: Bald 5.800 Neuinfizierte pro Tag

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sprach von einer "höchst problematischen Dynamik". Es sei wichtig, dass man mit den Experten gesprochen habe. Seit Dienstagabend habe man "zunehmend alarmierende" Prognosen "am Tisch". Und diese sind offenbar verheerend: "Die aktuellen Prognosen gehen davon aus, dass wir eine Steigerung von über 5.800 Fällen pro Tag bis Ende nächster Woche haben werden", sagte Anschober. Setzte sich dieser Trend so fort, könne "eine Überschreitung der Kapazitätsgrenzen Mitte, Ende November eintreten". Anschober: "Wir haben einen akuten Handlungsbedarf, um diese Entwicklungen zu stoppen."

Europaweit befinde man sich in "einer gewaltigen Dynamik", meinte Anschober. Im Wesentlichen gehe es darum, "jetzt zu handeln", um eine "ausführliche, gute, medizinische Betreuung" sicherzustellen. Im Vergleich zu den aktuellen Maßnahmen müsse man jedenfalls "deutlich, deutlich nachjustieren".

700 Betten für Covid-Patienten

Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich, bestätigte Anschobers Ausführungen. Ein Corona-Patient müsse im Schnitt zwölfeinhalb Tage auf einer Intensivstation versorgt werden. Zwar habe man aktuell nur 250 Personen auf Intensivstationen, doch diese Zahl würde infolge der Prognosen beträchtlich steigen, so Ostermann. Er mahnte: Man müsse "das gemeinsame gesellschaftliche Verhalten so ändern, dass Testen und Contact Tracing wieder funktionieren".

Auf den Intensivstationen sei die Situation folgende, erklärte Ostermann: Man habe nicht nur einen Zufluss, sondern auch einen Abfluss an Patienten. "Mit Mitte November ist ein Bereich von 400 bis 500 Patientinnen auf den Intensivstationen möglich." Im Schnitt habe man 2.000 Intensivbetten in Österreich. Die könnten aber nicht vollständig belegt seien, um bei Notfällen reagieren zu können. "Als Oberkante" könnte man insgesamt 1.800 Intensiv-Patienten versorgen. 700 bis 800 Betten könnte man in Ausnahmefällen mit Covid-Patienten besetzen, doch dann könne man "das normale Programm" nicht mehr abspulen.

"System war nicht auf Pandemie vorbereitet"

Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, sagte, dass die Intensivmedizin die "teuerste Ressource in einem Krankenhaus" sei. "Kleine Spitzen" könne man jederzeit abfangen. "Für eine Pandemie ist dieses System nicht vorbereitet gewesen", meinte Markstaller. Man müsse entweder den Zufluss an Patienten ändern oder die Kapazitäten erweitern. Eine Erweiterung sei allerdings nur in einem geringen Umfang möglich, alles andere  würde "Jahre" dauern.

"Wir leben in einem der besten Gesundheitssysteme weltweit", so Markstaller. Würde man dieses "gute System" an die Grenzen bringen, wäre man nicht mehr in der Lage, jeden Patienten bestmöglich zu behandeln. "Das gilt es zu vermeiden."

Wer sich am Donnerstag aller beraten hat

An dem Experten-Treffen am Donnerstag im Bundeskanzleramt nahmen auf Seiten der Regierung Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Anschober teil.

Folgende Personen bildeten das Experten-Gremium: Die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der MedUni Wien, Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Oswald Wagner, Vizerektor der MedUni Wien, Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich und Thomas Hausner, Facharzt für Unfallchirurgie am Wiener Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler.

Rendi-Wagner will österreichweite Strategie

Rendi-Wagner sieht Lockdown in spätestens zehn Tagen

Das Covid-Gesetz schreibt vor, dass Lockdown-ähnliche Maßnahmen nur verhängt werden dürfen, wenn das Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps steht. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner schlug bereits Donnerstagvormittag Alarm.

Derzeit liegt man laut AGES bei einem Viertel der Auslastung der Intensivbetten. Sollten die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung nicht reichen und es zu einer Auslastung von 50 Prozent der Ressourcen im intensivmedizinischen Bereich kommen, "ja dann, meine Damen und Herren, ist ein Lockdown unvermeidlich", so Rendi-Wagner im Roten Foyer.

Derzeit komme es zu einer Verdopplung der Covid-Intensiv-Kapazitäten innerhalb von zehn Tagen, rechnete Rendi-Wagner vor. Würde diese Entwicklung so weitergehen, wäre die Covid-Kapazität im Intensivbereich innerhalb der nächsten 20 Tagen ausgeschöpft.

Neos fordern Zahlen, FPÖ verortet Desaster

Die Neos wollen vor dem Gespräch am Samstag erst einmal genaue Kenntnis über die Zahlen erlangen. Die Regierung solle den Parteien alle Daten der AGES zukommen lassen, forderte Vizeklubchef Nikolaus Scherak. Jede einzelne Maßnahme brauche Evidenz, müsse verhältnismäßig sein sowie mit den Grundrechten im Einklang stehen. Die Kommunikation der Regierung sei "verwirrend", so Scherak.

Verärgert zeigte sich FPÖ-Chef Norbert Hofer in einer Aussendung. Die "Corona-PK" sei als "Tiefpunkt des Regierungsmarketings" zu werten, so Hofer. Außer verwirrenden Floskeln und Uneinigkeit zwischen ÖVP und Grünen habe er nicht viel vernommen: "Was soll ein Gastronom nach den heutigen Worten der Regierung machen? Noch Waren einkaufen oder gleich aufgeben?", fragte Hofer.

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