Nazi-Opfer kämpfen "gegen die Lügen" an

Gedenkveranstaltung im Zeichen der Überlebenden: Ari Rath, Suzanne-Lucienne Rabinovici, Rudolf Gelbard, Lucia Heilman (v. li. n. re.).
Im Parlament wurde am Dienstag der Millionen Opfer der Nazi-Diktatur gedacht.

Es ist still im Historischen Sitzungssaal des Parlaments, die Reihen sind voll gefüllt bei der Gedenkveranstaltung an die Opfer des Nazi-Regimes. Suzanne-Lucienne Rabinovici steht aufrecht am Rednerpult, sie spricht leise als sie die Abgeordneten und die gesamte Regierungsspitze aufruft, "gegen das Vergessen, gegen die Lügen und für die Erinnerung zu kämpfen".

Nazi-Opfer kämpfen "gegen die Lügen" an
Die Erinnerung an die Gräuel der Nazi-Diktatur weiterzugeben – das war die Botschaft der 83-jährigen Dame. Mit ihrer Mutter hat sie zwei Konzentrationslager und einen der sogenannten Todesmärsche überlebt.

Für den Staatsakt zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen am 5. Mai 1945 durch US-amerikanische Truppen, ging Parlamentspräsidentin Doris Bures eine Kooperation mit dem Burgtheater ein. Vorgetragen wurde eine für das Parlament adaptierte Fassung der Produktion "Die letzten Zeugen", bei der vier Schauspieler und vier Überlebende in sehr berührender Weise zu Wort kamen: Suzanne-Lucienne Rabinovici, Ari Rath, Rudolf Gelbard (siehe Gespräch unten) sowie Lucia Heilman.

Nazi-Verbrecher

Nazi-Opfer kämpfen "gegen die Lügen" an
ABD0114_20150505 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.l.) Elisabeth Waldheim, Margit Fischer, BP Heinz Fischer und Margot Klestil-Löffler während der "Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die NS-Opfer" am Dienstag, 5. Mai 2015, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Nachdenklich stimmten die Aussagen des ehemaligen langjährigen Chefredakteurs der Jerusalem Post. Ari Rath: "Führende Nazi-Verbrecher waren Österreicher. Ein Drittel der SS-Truppen in den Vernichtungslagern waren Österreicher." Die Abgeordneten hörten aufmerksam zu. Nachdem er als Jude in Österreich nach dem "Anschluss" keine Zukunft hatte, emigrierte Rath wenige Tage vor den Pogromen um den 9. November 1938 als Vierzehnjähriger mit seinem älteren Bruder Maximilian nach Palästina.

Die Ärztin Lucia Heilman würdigte in ihrer kurzen Rede jene, "die trotz Gefahren geholfen haben". Mit ihrer Mutter überlebte sie als "U-Boot" in einem Versteck in Wien. Ein Freund des Vaters, Reinhold Duschka, rettet die beiden Frauen, in dem er sie hinter einem Holzverschlag in seiner Werkstatt "verschwinden" ließ, einige Monate auch in absoluter Dunkelheit in einem feuchten Keller. Solche Aktionen, wie jene Duschkas, waren im NS-Regime mit höchstem Risiko verbunden.

Die Gedenkrede bei der Veranstaltung gegen Gewalt und Rassismus, so der offizielle Titel, hielt die Schriftstellerin Christine Nöstlinger. Sie wies darauf hin, dass heutiger Rassismus in "Überfremdung" eine Gefahr sieht oder eine "Bevorzugung von Ausländern wittert".

Wachsam bleiben

Mahnende Worte gab es zum Abschluss von Ari Rath, in dem er den ehemaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky zitierte. "Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Wir müssen wachsam bleiben." Auch heute gebe es politische Entwicklungen, die ihn mit großer Sorge erfüllen, stellte Rath fest.

Der Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt, stellt gleich zu Beginn des Gesprächs fest: "Mitleid brauche ich nicht. Mein Anliegen ist, darüber zu informieren, dass es 21 verschiedene Verbrechen des Nazismus gab. Massenerschießungen, sechs Menschenvernichtungsfabriken wie Auschwitz-Birkenau, Euthanasie, etc. ... So etwas darf nie mehr passieren." Gelbard kam als Zwölfjähriger mit seinen Eltern nach Theresienstadt.

Was er im KZ an Gewalt, Erniedrigung und Brutalität erlebt hat, lässt ihn nicht los. Seinen Schmerz transformiert er auf eine andere Ebene: Er informiert und diskutiert unermüdlich. Als Achtjähriger erlebte er in Wien den Einmarsch der Nazis, die Reichspogromnacht, die sogenannten "Reibpartien" (Straße aufwaschen). Als jüdisches Kind wurde er beschimpft, beleidigt, geschlagen. Es gab ständige Schul- und Wohnwechsel, die Lebensumstände wurden immer drückender.In einem Transport in Theresienstadt angekommen, wurde er von seinen Eltern getrennt. Als Häftling im KZ arbeitete er in einer Kette, die Urnen von ermordeten Juden auf Wägen beförderte. Die Asche wurde dann in den Fluss gekippt. Er arbeitete auch am Bahnhof. Seiner Biografie (Walter Kohl: Die dunklen Seiten des Planeten. Rudi Gelbard, der Kämpfer) ist zu entnehmen, dass er Waggons öffnen musste, aus denen Leichen von Häftlingen stürzten.

Gelbard überlebte Theresienstadt. "Ich habe damit nicht gerechnet", sagt er heute. Als Theresienstadt am 7. Mai 1945 von der Roten Armee befreit wurde, wollte er nur zurück nach Wien. Schulbildung wurde in Privatunterricht nachgeholt, ebenso vertiefende Ausbildungen.Zeitlebens verfolgt er ein Ziel: Egal, welchen Beruf er hatte, 15 Jahre war er als Redakteur des KURIER tätig, will er nach diesem "Zivilisationsbruch" nur eines: aufklären. "Überlebende sind auch kommenden Generationen gegenüber verpflichtet."

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