Nazar: "Das Islam-Gesetz geht zu weit"

„Die Religion ist bei den Jugendlichen zur Identifikationsmarke geworden. Das schafft Probleme.“ Nazar, Rapper.
Der Rapper mit iranischen Wurzeln über das Islam-Gesetz, die Pegida-Demos und seinen Glauben.

Auch drei Tage vor Weihnachten ist der Islam im Brennpunkt: In Deutschland durch die Pegida-Demos, hierzulande durch das Islamgesetz, zu dem die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) morgen, Montag, ihre Stellungnahme abgeben will. Einer der erfolgreichsten Rapper ist derzeit Nazar (30). Der Österreicher mit iranischen Wurzeln sagt im KURIER-Interview, warum das Islam-Gesetz zu weit geht.

KURIER: Herr Nazar, in Deutschland gibt es seit Kurzem die Pegida-Demonstrationen ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes"). Sind Sie schockiert?

Nazar: Das kann ich nicht sagen, da ich mich mit der Thematik bis jetzt zu wenig auseinandergesetzt habe. Aber es wundert mich. Denn bis jetzt habe ich in Deutschland weniger Ausländerfeindlichkeit und weniger Vorurteile gegenüber dem Islam als in Österreich erlebt.

Sie sind in Favoriten auf der Straße aufgewachsen. Welchen Stellenwert hat der Islam heute im Vergleich zu vor 15 Jahren bei den Jugendlichen?

Die Religion ist definitiv zur einer Identifikationsmarke auf der Straße geworden. Früher haben wir uns beim Kennenlernen gefragt: Woher kommst du? Dann habe ich geantwortet: Aus dem Iran. Und der andere meinte: Aus der Türkei. Das war es. Mittlerweile fragen die Jugendlichen auch nach der Religion. Ob man Sunnit, Schiit oder Alevit ist. So wird festgestellt, ob man mit dir reden darf oder nicht. Die Religion ist durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre zum Thema geworden. Heute brüsten sich die Jugendlichen mit der Religion. Jeder glaubt, den richtigen Weg zu kennen. Das hat zu vielen Problemen geführt und wird noch viele weitere schaffen.

Ist die Kampagne von Sebastian Kurz "#stolzdrauf" aus Ihrer Sicht die richtige Antwort auf diese Probleme?

Nein, absolut nicht. Ich verstehe den Hintergedanken der Kampagne. Als Musiker beschäftige ich mich selbst viel mit Sozialen Medien. Doch ich bezweifle, was es bringen soll, ein Foto auf Facebook von mir hochzuladen und zu sagen "Ich bin stolz auf Österreich". Das kann die Probleme nicht lösen, die es bei uns gibt. Ich wurde schon mehrmals gefragt, ob ich bei der Kampagne mitmache. Ich habe abgelehnt, denn ich kann es nicht vertreten.

Sind Sie von Sebastian Kurz enttäuscht?

Nein. Er scheint bis jetzt vieles richtig zu machen. Er hat die richtige Sprache beim Thema Integration gefunden. Aber mit Politikern kann ich generell nichts anfangen. Sie sind für mich alle Heuchler. Zuerst werfen sie sich bei Diskussionen Vorwürfe an den Kopf. Dann schließen sie eine Koalition und schütteln sich die Hand. Es geht ihnen nicht um Prinzipien, sondern um Macht.

Aber die Kampagne ist Ihnen zu oberflächlich ...

Definitiv. Mehr als mich in Interviews und bei öffentlichen Auftritten zu Österreich als meiner Heimat zu bekennen, kann ich nicht. Dafür wurde ich mehrfach kritisiert und als Verräter bezeichnet. Aber auch von den Österreichern ernte ich deswegen Beleidigungen auf Facebook. Wenn ich mich bei einem Fußballmatch mit einem Österreich-Trikot fotografieren lasse, dann fordern mich Österreicher auf, ich soll das Trikot ausziehen. Ich sei eine Schande, weil ich mich als Österreicher bezeichne, obwohl ich ja ein Ausländer bin. Ich glaube, hier sollte man ansetzen, anstatt Menschen mit Migrationshintergrund aufzufordern, Fotos hochzuladen.

Obwohl im Fußball-Nationalteam mehr als die Hälfte der Spieler Migrationshintergrund hat, orten Sie bei den Fans Ausländerfeindlichkeit. David Alaba wurde noch nie ausgepfiffen.

Für mich ist es skurril. Ich bin oft am Fußballmatch und sehe, dass es hier sehr viel Scheinheiligkeit gibt. Ich war mit meinem Bruder beim Türkei-Match. Wir trugen beide Österreich-Schals, saßen im Österreich-Sektor, und dann werden wir als "Scheiß-Ausländer" beschimpft. Gleichzeitig spielen auf dem Spielfeld elf Fußballer, davon sind acht mit Migrationshintergrund. Wenn David Alaba ein Tor schießt, jubeln alle. Aber nach dem Match beschimpfen sie ihn als "Scheiß-Neger". Ich weiß wirklich nicht, warum unsere Gesellschaft bei diesem Thema so krass ist. Ich habe das Gefühl, es wird schlimmer.

Wieso?

Schauen wir doch ein paar Jahre zurück. Als die FPÖ unter Haider in die Regierung kam, gab es noch die Donnerstag-Demonstrationen. Die Menschen hatten das Bedürfnis, zu zeigen, dass sie gegen diese Politik sind. Aber mittlerweile wird die FPÖ unter Strache immer stärker, die Aussagen werden immer extremer. Die Folge ist, dass der Ton in der Politik insgesamt härter gegen Migranten wird. Doch die Menschen, die dagegen auf der Straße demonstrieren, werden weniger. Das finde ich traurig. Wien hätte alle Voraussetzungen, eine weltoffene und liberale Stadt zu sein, aber wenn es um den Bereich Ausländer und Islam geht, machen wir einen Rückschritt. Natürlich gibt es Probleme, die man nicht verschweigen darf. Es gibt auch viele Menschen mit Migrationshintergrund, die sich nicht richtig benehmen. Es ist aber falsch, deswegen auf alle mit dem Finger zu zeigen, und einen ganzen Glauben zu beleidigen. Ein Gesetz zu erlassen, das einem Glauben vorschreibt, wie er und in welcher Sprache er ausgeführt werden darf, geht zu weit. Ich weiß nicht, was hier noch weltoffen, europäisch und demokratisch sein soll? Wir bewegen uns hier in einem Engpass, der immer gefährlicher für uns alle wird.

Das Islam-Gesetz ist für Sie ein Reizthema?

Ich finde es krass, wenn der Koran auf Deutsch übersetzt werden muss. Was die Finanzierung aus dem Ausland betrifft, kenne ich mich zu wenig aus. Wenn es etwas bringt, dass in Österreich keine Zellen entstehen oder zweifelhafte Organisationen hier Einfluss bekommen, dann soll es so sein. Aber dann darf es nicht nur für eine Religion gelten, sondern auch für andere Religionsgemeinschaften in Österreich. Der Aufschrei dagegen wäre so sicherlich kleiner.

Haben Sie kein Verständnis dafür, dass eine Imam-Schule mit Unterrichtssprache Türkisch mitten in Simmering gewisse Ängste weckt?

Es war in diesem Fall sicher der falsche Weg, nicht mit offenen Karten zu spielen. Ich spreche mich auch ganz klar für die deutsche Unterrichtssprache für jede Schule aus. Allerdings eines muss man auch sagen: Egal, wo man in Wien Moscheen bauen wollte, gab es einen Aufschrei. Es passt nicht zur Architektur und Kultur, wird an Argumenten gebracht. Als ich vor 16 Jahren das erste Mal wieder nach unserer Flucht in den Iran reiste, war ich überrascht, dass es in Teheran acht Kirchen und fünf Synagogen gab. Das hätte ich nie gedacht. Also frage ich mich, wenn in Teheran jede große Religionsgruppe mehrere Gebetsstätten hat, warum geht das bei uns nicht?

Wie gläubig sind Sie?

Ich bin Moslem, aber kein stark praktizierender. Ich habe meinen Weg gefunden, in Österreich meinen Glauben zu leben, aber mich auch gleichzeitig in diesem Land wohlzufühlen. Ich finde, es ist an der Zeit, als Moslem, als Christ oder als Andersgläubiger in der Öffentlichkeit nicht zu viel über den Glauben zu sprechen. Die Religion ständig in der Vordergrund zu rücken, hat zu vielen Problemen geführt. Ja, ich bin gläubig. Aber ich tue es für mich. Ich tue es nicht, um anderen Menschen zu zeigen, welcher Glaube richtig oder falsch ist. Religiös zu sein, ist eine schöne Sache. Aber man sollte damit nicht protzen und es nicht zur Schau stellen.

Nazar (30)

Sein Vater war als Soldat im ersten Golfkrieg gefallen, worauf seine Mutter mit ihm und seinem Bruder vom Iran nach Österreich flüchtete. Nazar verbrachte seine Jugend im Wien-Favoriten, wo es oft zu Auseinandersetzungen mit Neonazis kam. 2006 begann Nazar mit seiner Karriere als Rapper. Bei einem Auftritt nahe Stuttgart wurde er vom Label Assphalt Muzik entdeckt. 2007 veröffentlichte Nazar mehrere Songs über das Internet, die sogar in Deutschland schnell zum Erfolg wurden.

Falco-Song

Im Sommer landete Nazar einen großen Hit. In der Single "Zwischen Zeit und Raum" überraschte Nazar mit Samples aus "Die Königin von Eschnapur", einem bis dato eher unbekannten Song von Falco. Auf Facebook hat Nazar mehr als 376.000 Freunde. 2015 wird er nach zwei Jahren Pause in Wien wieder ein Konzert in der Arena geben.

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