ÖVP kürt Mitterlehner zum neuen Parteichef

ÖVP kürt Mitterlehner zum neuen Parteichef
Nach dem abrupten Abgang Michael Spindeleggers soll der Wirtschaftsminister die ÖVP aus dem Dauertief führen.

Kurz vor 22 Uhr trat der neu gewählte ÖVP-Obmann mit sichtlich fröhlicher Miene vor die Kameras in der ÖVP-Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse. "Heute Morgen", begann Reinhold Mitterlehner, "hätte wohl niemand gedacht, dass der Tag so enden würde. Ich auch nicht." Eigentlich hätte er Filmstar Tom Cruise treffen sollen, der gerade in Wien den Film "Mission impossible" (Unmögliche Mission) dreht, erzählt Mitterlehner und scherzt: "Ich hoffe aber auf eine machbare Mission."

Einstimmig wurde Mitterlehner knapp davor in der Sitzung der Bundespartei zum neuen Obmann gewählt. Einzig Erwin Pröll, der mächtige Landesfürst aus Niederösterreich, blieb urlaubsbedingt fern. "Ich habe aber auch mit ihm telefoniert", sagt Mitterlehner, um die Einstimmigkeit der Sitzung zu betonen. Als neuer Obmann will er nun die "Kontinuität der Regierung" sicherstellen – eine klare Absage an vorgezogene Neuwahlen. Er möchte der Regierung mehr Profil verleihen.

Ob es dafür eine weitere Regierungsumbildung benötigt? Darauf wollte sich Mitterlehner nicht einlassen, er schloss aber auch nichts aus. Klar sei vorerst nur, dass sowohl ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel als auch Reinhold Lopatka als Klubchef bleiben sollen.

Am Abend meldete sich auch der Bundeskanzler: "Mit Mitterlehner haben wir nun eine Chance, die wir schnell nutzen sollten", sagte er dem KURIER.

„Ich habe mich nicht in diese Rolle gedrängt. Ich glaube aber die Kraft dafür zu haben.“

Der Tag verlief für die ÖVP äußerst turbulent. Über Nacht ist den Schwarzen ihr Parteichef abhanden gekommen; auch das Finanzminister- und das Vizekanzleramt gibt Michael Spindelegger ab. "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo ich es mir selber schuldig bin, diesen Schritt zu setzen", sagte Spindelegger Dienstagfrüh bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Die Schwierigkeiten mit dem Koalitionspartner in Sachen Steuerreform hätte er "durchgestanden". Dass nun aber auch in der eigenen Partei jene "die Oberhand gewinnen, die sagen: wir müssen auf diesen Populismuszug aufspringen", habe seine "Loyalität und Paktfähigkeit überstrapaziert".

Vor allem die Landeshauptleute Platter und Josef Pühringer hatten zuletzt Druck gemacht und Spindelegger kritisiert: Eine Steuerreform müsse her (Oberösterreichs Pühringer: "Nur Nein zu sagen und zu sagen, wir müssen sparen, ist zu wenig. Es braucht auch eine Vorwärtsstrategie"). Und so hat Spindelegger alles hingeschmissen.

Erst eine Stunde vor der gestrigen Pressekonferenz hatte er die Parteifreunde und den SPÖ-Kanzler darüber informiert. Überrascht waren sie alle.

Nachlese - Spindelegger geht, Mitterlehner kommt: Die Ereignisse im Live-Blog

Zwei Lager

Wer soll Spindelegger als Parteiobmann, Finanzminister und Vizekanzler folgen? Zwei Lager gab es vor dem Vorstand in der ÖVP Dienstagabend. Das kleinere, dem Platter angehörte, meinte: Es müsse bereits am Abend defintiv entschieden werden, wie es weitergeht. Die andere Gruppe – mit Pühringer, Salzburgs Wilfried Haslauer, dem Steirer Hermann Schützenhöfer, Wirtschaftskammerboss Christoph Leitl und Seniorenbundobmann Andreas Khol – warnte vor "Schnellschüssen" und plädierte für einen "interimistischen" Chef. Und so deutete zunächst alles darauf hin, dass zugewartet wird; auch, weil ein gewichtiger Player, Erwin Pröll, nicht dabei war. Er urlaubt mit Frau und Enkeln in Italien.

Wer sollte die Partei vorübergehend leiten? Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sei ÖVP-Vize, sagte Khol: "Er wird heute die Führung der Partei und der Regierungsmannschaft übernehmen, um die Kontinuität der Arbeit zu sichern."

Doch Dienstagabend war von vorübergehender Parteiführung keine Rede mehr. Schon am Beginn der Sitzung zeigte sich, dass Mitterlehner die besten Karten hatte. Er wurde von Bauernbund-Chef Jakob Auer offen unterstützt.

Im Raum stand aber eine Trennung von Vizekanzler und Finanzminister.

Rund zwei Stunden dauerte die Beratungen, dann wurde Mitterlehner einstimmig gewählt. "Er hat uns überzeugt", sagte der steirische ÖVP-Chef Schützenhöfer. Mitterlehner bleibt Wirtschafts- und Wissenschaftsminister. Das Finanzressort soll ein Experte übernehmen (siehe Artikel rechts).

An der Sitzung nahm auch noch Spindelegger teil, er verließ die Parteizentrale aber früher und wollte nichts mehr sagen.

Mit der Wahl Mitterlehners hat sich auch die Hoffnung der SPÖ erfüllt, dass er die ÖVP anführt. Er kann als Sozialpartner gut mit den Roten. Und diese glauben, er würde – anders als Spindelegger – nicht zu jeder Form von Vermögenssteuer Nein sagen. In der ÖVP gibt es aber einige, die meinen, man solle dem SPÖ-Kanzler Werner Faymann nicht das Gefühl geben, "weitermachen zu können wie bisher". Zappeln lassen wollen ihn die Schwarzen.

Im Übrigen müsse die ÖVP intern diskutieren, wie sie sich inhaltlich positioniere, vor allem punkto Steuerreform.

Bereits Dienstagfrüh hatte Mitterlehner wissen lassen: Es sei auch zu besprechen, ob ein Spar- oder ein Offensivkurs gefahren werde.

Mitterlehner war im Kanzleramt als Frontmann der schwarzen Regierungsriege aufgetreten. Er äußerte sich auch in deren Namen zu Spindeleggers Abgang – inklusive dessen Tadels. "Wie immer ist an der Kritik etwas dran, subjektiv gesehen bei ihm." Geschlossenheit sei nun nötig, "die weitere Vorgangsweise ist rasch zu klären, um die Handlungsfähigkeit der Regierung sicherzustellen".

Angelobung

Kommende Woche will Bundespräsident Heinz Fischer zeitgleich die Neo-SPÖ-Minister und den ÖVP-Neuen angeloben. Kanzler Faymann geht davon aus, dass die Koalition trotz Turbulenzen bis zum regulären Wahltermin – 2018 – hält. Außenminister Sebastian Kurz, der stets als ÖVP-Parteichef im Gespräch war, ist dann 32 Jahre alt.

Mitterlehner im Porträt

Michael Spindelegger ist seinen Widersachern zuvorgekommen. Den Zeitpunkt seines Abschieds aus der Politik wollte er selbst bestimmen. Dass er – ob der laufenden Kritik aus den eigenen Reihen – alles hinschmeißen könnte, damit haben manche in der ÖVP durchaus gerechnet. Dass es so schnell gehen wird, hat dann Freund und Feind aber doch überrascht.

Die Entscheidung dürfte der Vizekanzler, Finanzminister und ÖVP-Chef am vergangenen Wochenende getroffen haben, schildern Eingeweihte. Da ist wohl für einige Stunden einmal nicht die Politik im Zentrum gestanden – Spindeleggers Vater Erich wurde beerdigt. Und da dürfte auch Zeit gewesen sein, um mit der Familie zu reden.

Der Anfang

Zuletzt war es für den schwarzen Frontmann zunehmend ungemütlich geworden. Er hatte es aber wohl von Beginn an schwer. Vorgänger Josef PröllSpindelegger wurde im April 2011 ÖVP-Obmann – war charismatischer und leutseliger. Der Nachfolger wirkt stets etwas steif und tut sich mit Small Talk schwer.

Dass die durch diverse Korruptionsskandale gebeutelte ÖVP von einem Sachpolitiker geführt wurde, der integer wirkt, fanden dann aber doch viele passend. Der Außenminister verkörperte zwar den farblosen, aber doch seriösen Typus. Er verordnete einen Verhaltenskodex, wollte symbolisieren: "Ich räume auf."

Nicht vergessen werden darf auch, dass Spindelegger der Erfinder von Sebastian Kurz war. Er holte den heutigen Außenminister als Integrationsstaatssekretär in sein Team, was anfangs kritisiert wurde.

Der Vizekanzler hatte offenbar aber kein so feines Gespür dafür, welcher Posten für ihn selbst adäquat ist. Er wollte unbedingt das Finanzressort übernehmen. Das versuchte er schon im Sommer 2012 – und scheiterte. Maria Fekter blieb im Amt. Nach der Nationalratswahl im Herbst 2013 ließ es sich Spindelegger aber nicht nehmen, das Ressort zu leiten – trotz Warnungen. Dieser Schritt markiert den Anfang seines politischen Endes. Von Beginn an war umstritten, dass kein Ökonom das Ruder übernimmt, sondern ein trockener Jurist – und das in einer äußerst heiklen Zeit: Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch nicht ausgestanden, die Causa Hypo harrte damals einer Lösung und die Finanzlage ist prekär.

Doch noch ehe sich der Neo-Finanzminister mit derlei Fachthemen befassen konnte, gab es schon den ersten Wickel mit der "Westachse". Die Tiroler, Vorarlberger und Salzburger Schwarzen drängten auf Modell-Regionen für die Gesamtschule. Dann liebäugelte der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer gar mit Vermögenssteuern.

Da platzte dem ÖVP-Boss in Wien erstmals der Kragen. Er drohte mit Rücktritt.

Nach einer nächtlichen "Routinesitzung" Mitte Jänner, die freilich eine Krisensitzung war, gaben sich alle Beteiligten wieder handzahm. Der Friede währte aber nicht lang. Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl richtete dem Finanzminister bald öffentlich aus, er sei ein "Gefangener" seiner Beamten. Dann wurde parteiintern über die ÖVP-Liste für die EU-Wahl gestritten. Spindelegger signalisierte in dieser Zeit mehrfach, dass ihn nicht die viele Arbeit, sondern seine Partei nerve.

Die EU-Wahl brachte den Schwarzen eine kurze Verschnaufpause. Sie verlor drei Prozentpunkte (27 Prozent), hielt aber den ersten Platz.

Das Ende

Es war dennoch absehbar, dass wieder Querschüsse folgen werden. Die Regierung ist in der Bevölkerung schlecht angeschrieben. Viele Bürger erwarten sich eine rasche Steuerreform, Spindelegger bremste stets. Jene Länderchefs, die sich in absehbarer Zeit einer Wahl stellen müssen, wurden ob des schlechten Images der Bundespartei zunehmend nervös. So kritisierten vor allem Vorarlbergs Markus Wallner und Oberösterreichs Josef Pühringer Bundesregierung und -Partei. Tirols Günther Platter, der ebenfalls gegen Wien pfefferte, steht zwar keine Wahl bevor. Er verzeiht Spindelegger aber nicht, dass dieser 2013 den Tiroler Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle – angeblich entgegen einer Absprache – abgelöst hat. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Platter in dem Rücktritt "eine Chance" für die ÖVP sieht.

Spindelegger im Porträt

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