"Salafismus ist der neue Punk"

"Salafismus ist der neue Punk"
Der KURIER sprach mit den Chefs eines der größten muslimischen Jugendverbände in Österreich.

Mit 30.000 Aktiven ist die Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ) eine der größten Vereine. Der KURIER sprach mit Alexander Osman und Dudu Kücükgöl über Probleme junger Muslime, Wahlkampfrhetorik und warum die MJÖ angefeindet wird.

KURIER: Seit dem Anschlag in Paris ist die Radikalisierung von Muslimen Thema in Europa. Wie haben Sie das erlebt?

Dudu Kücükgöl: Wir waren schockiert, und dann wütend. Der Anschlag war nicht nur an sich unmenschlich und grausam, sondern er bedeutet auch einen Anschlag auf unser Zusammenleben in Europa. Wütend waren wir, weil diese Leute behaupten, sie machen das um den Propheten zu rächen – so ein Schmarr’n.

Alexander Osman: Wir haben geschaut, was wir machen können. Die MJÖ hat sich spontan entschlossen mit einem Bus mit über 50 jungen Menschen zur Kundgebung nach Paris zu fahren, aber auch für hier einiges geplant. So etwa die Aktion am Mittwoch "Schenk ein Lächeln", gemeinsam mit der Bundesjugendvertretung und anderen, etwa der Jungen Generation, JVP oder der Katholischen Jugend.

Sehen Sie Pegida, die am Montag erstmals in Wien marschieren will, als ein Problem?

Osman: Das ist für uns natürlich ein Thema, deswegen wollen wir ja das Gemeinsame sichtbar machen. Ich finde es mutig, dass die anderen Jugendverbände unsere Aktion unterstützen.

Inwiefern mutig?

Osman: Vor zehn oder zwanzig Jahren mag es mutig gewesen sein, sich gegen Muslime zu stellen. Heute ist es mutig, mit den Muslimen zu stehen.

Wie soll der Staat reagieren, wenn sich junge Menschen aus Österreich dem IS anschließen?

Kücükgöl: Das hat zwei Seiten. Das sind Menschen, die radikalisiert werden und mit dem Leben abschließen. Die ziehen in den Tod, Rückkehr ist keine Option. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr des Generalverdachts gegen Muslime, wenn Kinder in Schulen als Islamisten bezeichnet werden. Was bewirkt das in den Schülern, wenn sie sich nicht mehr gut aufgehoben fühlen? Die Schule muss doch ein Ort des Vertrauens sein.

Aber wer wird radikal?

Kücükgöl: Die Faktoren sind überall gleich: Junge Menschen aus bildungsferne Schichten, mit teils krimineller Vergangenheit, Alkohol- und Drogenmissbrauch, männlich geprägt, und sehr wenig Ahnung vom Islam. Dazu eine große Einsamkeit.

Osman: Diese jungen Leute suchen oft nicht Religion, sondern Anschluss oder Rebellion. Es gibt ja die These, das salafistische Gehabe sei der neue Punk – eine Art Widerstand gegen herrschende Verhältnisse.

Kücükgöl: Eine Studie der London University belegt: Jugendliche mit einer religiösen Erziehung sind geschützt vor Radikalisierung. Nur wer keine Ahnung hat, kann von den Wahnsinnigen eingefangen werden.

Osman: Und genau so sehen wir unsere Arbeit – als Prävention. Bildung schützt, religiöse Bildung schützt, ein soziales Umfeld schützt. Das sind die Dinge, die wir als MJÖ anbieten. Es geht um emotionale Integration. Das Problem ist, dass manche Jungen eben nicht sagen: Das ist mein Land. Aber das ist auch unser Österreich, und die gesellschaftlichen Probleme sind auch unsere.

Sind die großen muslimischen Vereine aktiv genug?

Osman: Es tut sich viel Positives, aber wir sind sicher, dass da viel mehr geht. Ich bin der Meinung, dass es in vielen dieser Vereine einen Generationswechsel braucht. Dort sitzen oft Funktionäre, die sich immer noch als Gäste sehen.

Kücükgöl: Die Vereine haben oft das Problem, das sie die Jungen nicht erreichen. Weil sich niemand mit der Führung identifizieren kann. Sie müssen es schaffen, junge Menschen und Frauen stärker einzubinden. Nur so ist ein Wandel möglich.

Osman: Da gibt es sogar Menschen in der IGGiÖ die zum Thema Islamgesetz sagen: Wenn das Gesetz zum Problem wird, packen wir die Koffer und fahren nach Hause.

Kücükgöl: Für uns ist das keine Option. Ich habe keine Koffer zu packen, ich bin schon zu Haus. Das ist meine Heimat.

Warum glauben Sie hat der Präsident der Glaubensgemeinschaft, Fuat Sanaç, kürzlich gesagt: Hinter der MJÖ stehen alte Männer mit langen Bärten?

Osman: Ja, da haben wir sehr gelacht. Dabei ist das Problem doch eher, dass dort die alten Männer mit Bärten sitzen und ihre Jugendorganisationen auch so funktionieren. Ich bin Gründungsmitglied und wohl einer der älteren Semester, so alt schau ich dann auch nicht aus.

Wie erklären Sie sich dann, dass sie angefeindet werden?

Kücükgöl: Weil wir mit unserer Kritik sehr viele Leute vergrämt haben.

Osman: Wir haben zum Islamgesetz einen Alternativvorschlag vorgelegt, für den wir selbst von Experten gelobt wurden. Unter Muslimen hieß es dann: Das könne man doch nicht machen. Dahinter steht eine Denke, und die heißt: Ich bin hier nur Gast, Gäste tun das nicht. Deshalb gibt es da kaum eine Gesprächsbasis mehr.

Kücükgöl: Hätten Leute der 2., 3. Generation das Islamgesetz verhandelt, hätte es sicher anders ausgesehen, weil die nicht mehr diese unterwürfige Haltung an den Tag legen.

Osman: Und das ist nach unserem Verständnis ein Islam österreichischer Prägung. Nicht abnicken, sondern mit allen Projekten ein stark verankertes Bewusstsein in Österreich schaffen. Aber auch, sich als politischen Menschen verstehen, der widerspricht, wenn etwas nicht passt.

Jugendverein

Die MJÖ sieht sich als Vertretung von deutschsprachigen, muslimischen Jugendlichen (www.mjoe.at) und ist Mitglied der Bundesjugendvertretung.

Dudu Kücükgöl

Sie bezeichnet sich selbst als muslimische Feministin, und sieht darin auch keinen Widerspruch. Die Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitet wie ihr Kollege Osman ehrenamtlich für die MJÖ.

Alexander Osman

Der Wiener Kommunikationswissenschaftler ist Gründungsmitglied der MJÖ.

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