SPÖ beharrt auf Markteingriff

Wohnbau in Wien
Mietervereinigung: Einkommen und Wohnkosten driften immer mehr auseinander.

Nach der Steuerreform kommt dann das Mietrecht dran, die Meinungen über das grundsätzliche Problem gehen auseinander: Die SPÖ beharrt zur geplanten Mietrechts-Reform auf einem "Eingriff in den Markt". Das sei nötig, damit alle Menschen leistbaren Wohnraum finden können, sagte SP-Bautensprecherin Ruth Becher bei einer Diskussion. Mietervereinigungs-Chefin Nadja Shah urgierte zum SP-Vorschlag von Dezember einen Gegenentwurf der ÖVP. Das Thema ist die nächste Großbaustelle der Regierung nach der Steuerreform.

Becher sagte, das Mietrecht gehöre vereinheitlicht. Derzeit sei es zu zerklüftet, was sich speziell in Ballungsräumen negativ auswirke. Dort würden oft in einem einzigen Haus fünf, sechs verschiedene Regime aufeinandertreffen. "Das muss sich ändern. Das steht ja auch im Koalitionsabkommen drin", so Becher am Donnerstagabend bei einem Wohn-Symposium in Wien.

"Leistbares Wohnen" im Regierungsprogramm

Eine Mietrechtsreform mit dem Ziel "leistbares Wohnen" war Ende 2013 ins Regierungsprogramm aufgenommen worden. Im Dezember ist die SPÖ mit einem Entwurf für ein "Universal-Mietrecht" vorgeprescht, das für Mietverträge nach 20 Jahren einen Deckel von 5,50 Euro/m2 für den Basiszins vorsieht - plus Zu- und Abschläge für Lage und Ausstattung. Bis Juni solle die Koalition das Pensum erledigt haben, hatte Becher im Jänner erklärt. Zum Zahlen-Vergleich: In Wien liegt der Richtwert bei 5,39 Euro/m2 - laut Experten "künstlich niedrig" und so tief, dass kaum in Wohnraum investiert wird.

"Dass im SP-Entwurf 10 Euro pro Quadratmeter drinnen stehen statt 5,50 Euro werden Sie doch nicht erwartet haben", meinte Mietervereinigungs-Geschäftsführerin Shah vor zahlreichen Vertretern der Immo-Branche. Derzeit belohne der Immo-Markt nur den, der etwas habe. Die Mittel müssten so verteilt werden, "dass alle etwas davon haben, nicht nur eine Branche. Das Geld muss durch alle Sektoren der Wirtschaft zirkulieren." Durch "ein Mietrecht für alle" solle soziale Gerechtigkeit hergestellt und für einen Interessensausgleich zwischen Vermietern und Mietern gesorgt werden. Grund und Boden seien ein endliches Gut, und die zentrale Frage sei, wie es verteilt werden solle.

Einkommen und Wohnkosten

Die Mieten seien zum politischen Thema geworden, weil Einkommen und Wohnkosten immer mehr auseinanderdriften würden, sagte Mietervertreterin Shah. Speziell junge Menschen mit ungesicherten Einkommensverhältnissen täten sich hier schwer. Vorstandsdirektor Bernd Rießland von der Sozialbau AG wies darauf hin, dass das monatliche Netto-Medianeinkommen in Österreich vom Rechnungshof für Frauen mit 1.075 Euro und für Männer mit 1.620 Euro (14 mal im Jahr) ermittelt worden sei. Dabei verdiene das unterste Quartil (Einkommenszehntel) im Schnitt nur 1.000 Euro, in Wien sogar lediglich 700 Euro, da hier wie in allen Ballungsräumen die Einkommensschere größer sei. "Die unteren 20 Prozent bleiben ohne Intervention über", warnte Rießland.

"Nur über ein großes Wohnungsangebot können wir das Mietenproblem lösen", meinte der Sozialbau-Vorstand: "Solange Not an der Menge ist, greift eine Preispolitik nicht. Erst muss das Mengenproblem gelöst werden." Auch nach Ansicht von Herwig Teufelsdorfer, dem Geschäftsführer der Buwog Bauen und Wohnen GmbH, ist die einzige Möglichkeit gegen unverhältnismäßig hohe Mietbelastungen für junge Familien und junge Neumieter "mehr Mietflächen auf den Markt zu bringen. Die Politik sollte schauen, dass ausreichend Grundflächen auf den Markt kommen", kann er sich sogar eine Abgabe auf nichtgenutzte Grundstücke vorstellen.

22 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnen

Der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen für alle Haushalte in Österreich sei von 2005 bis 2012 von 16,7 Prozent auf 18,9 Prozent gestiegen, erinnerte Teufelsdorfer an eine neue Zusammenstellung von Agnes Streissler-Führer für den Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI). Dieser Wert sei niedriger als in Deutschland, Schweden und den Niederlanden, aber höher als etwa in Frankreich (17,9 Prozent). Im Schnitt würden in Österreich 22 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnen (inkl. Energie und Instandhaltung) ausgegeben, bei Mietwohnungen seien es 34 Prozent, bei Genossenschaftswohnungen 27 Prozent.

Diese hohen Einkommensanteile fürs Wohnen kann sich der Buwog-Geschäftsführer angesichts des hohen Sozialwohnungsanteils nicht erklären. Seinen Angeben zufolge gibt es bundesweit rund 3,7 Millionen Hauptwohnsitze - darunter 862.000 in Wien; davon seien wiederum 280.000 private Mietwohnungen, dabei 224.000 mit Vollanwendung des Mietrechtsgesetzes (MRG). Sora-Chef Günther Ogris warnte vor einer Gefährdung des sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft, für den könne abseits von Einkommenspolitik nur das Mietrecht sorgen. Hermann Schuster von der Caritas Wien geißelte vor allem zu kurze Befristungen von Mietverträgen: "Drei Jahre sind ein Drama, das ist familien- und beziehungszerstörend."

„Wiener Problem“?

Für Michael Pisecky, den Wiener Fachgruppenobmann der Immo-Treuhänder, ist freilich unverständlich, warum von der SPÖ eine Gesamtreform verlangt wird, obwohl das MRG doch nur für einen kleinen Teil bestimmend sei. 60 Prozent der Menschen in Österreich würden im Eigentum wohnen, außerhalb Wiens sogar 70 Prozent, "an denen geht das Thema vorbei". Samt den 24 Prozent sozialer Wohnbau komme man auf 84 Prozent, sodass es letztlich nur um die 16 Prozent im privaten Sektor gehe. Davon sei fast die Hälfte, 7 Prozent, mit einer freien Mietzinsvereinbarung, sodass man über ein Minderheitenprogramm rede. Man solle "nicht ein Wiener Problem verösterreichern". "Wir brauchen erst einmal ein ausreichendes Angebot und eine Nachverdichtung: In Wien könnten wir 80.000 Wohnungen auf die Dächer bringen", so Pisecky, Geschäftsführer der sReal. Die Architektin Renate Hammer, Sprecherin der Plattform Baukultur, plädierte für eine zeitgemäße Neudefinition der Wohnungsstandards; nötig sei eine "hochqualitive Einfachheit und Angemessenheit", daher müsse die Mindestausstattung funktionsbezogen neu beschrieben werden.

„Beseitigen der größten Blödheiten“ wünschenswert

Zivilrechts-Professor Andreas Vonkilch von der Uni Innsbruck wünscht sich für die Mietenreform "zumindest ein Beseitigen der größten Blödheiten im bestehenden Recht". Dazu verwies er auf knifflige Mietzinsbildungs-Fragen etwa bei der Umwandlung von Geschäftslokalen in Wohnraum. Der Experte hofft, dass die gravierendsten Probleme im Rechtsbestand, echte Ungleichheiten, selbst dann beseitigt werden, wenn es zur besonders strittigen Frage von Mietobergrenzen keinen Polit-Konsens gibt. Zum SP-Entwurf hat Vonkilch errechnet, dass demnach eine 90-m2-Wohnung in der Wollzeile in Wiens Innenstadt nur 495 Euro im Monat kosten dürfe, wohl unrealistisch. Vor Experimenten wie der deutschen "Mietpreisbremse" warnte der Jurist, dieses "Versuchslabor" könnte sich nämlich als "Rohrkrepierer" erweisen. Kuriositäten wie die Streitereien um Thermensanierungen gebe es im Nachbarland nicht, dort seien die Erhaltungspflichten klar geregelt, teils auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

Mieten in Österreich unter jenen in Deutschland

Sektionschef Georg Kathrein, Leiter der Zivilrechtssektion im Justizministerium, berichtete, dass zur Mietenreform derzeit Gespräche zwischen den Bautensprechern am Laufen seien, er vertrete nur seine persönliche fachliche Meinung. Das heimische Mietrecht sei gar nicht so schlecht wie sein Ruf, meinte er, es werde auch sozialen Forderungen gerecht: Denn die Mieten lägen in Österreich unter jenen in deutschen Städten oder in anderen Ländern; auch sei es bei uns zu keiner echten Immo-Blase gekommen. Man sollte sich zur sozialpolitischen Dimension ersten Ranges bekennen, die das Mietrecht habe. Freilich gebe es darin auch Schwächen, doch wo sollte man Anleihen nehmen? Die Mietpreisbremse in Deutschland stelle auf ganz andere Verhältnisse ab, "wir sollten autochthon bleiben".

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