Michael Ikrath: "Die Not der ÖVP ist groß"

Interview mit Peter Michael Ikrath, Generalsekretär des Sparkassenverbandes und ehemaliger Nationalratsabgeordneter der ÖVP, am 06.05.2014.
Der ehemalige Nationalratsabgeordnete kritisiert seine Partei und die Regierung scharf.

Ex-Nationalratsabgeordneter Michael Ikrath ist angefressen – auf seine ÖVP. "Sie läuft Gefahr, sich auf eine Beamten- und Bauernpartei zu verengen." Urban-Weltoffenen, Leistungsorientierten, Bildungsaffinen biete die Volkspartei nichts, beklagt Ikrath im KURIER-Gespräch: "Das liberale Segment, das es unter Erhard Busek und Heinrich Neisser gab, scheint keine Bedeutung mehr zu haben. Ich bedaure das sehr, weil ich mich dem zugehörig fühle."

Falsche Entscheidung

Ein Obmann-Problem? "Michael Spindelegger hat zu viele Kugeln in der Luft, er muss sich auf das Finanzministeramt konzentrieren. Da bleibt zu wenig Raum und Energie für die Partei." Hätte Spindelegger, der auch Vizekanzler ist, das Finanzressort nicht übernehmen sollen? "Es war ein Fehler, sich das umzuhängen. Er bemüht sich sehr, hat aber wohl die aktuell extremen Anforderungen unterschätzt. Die ÖVP hätte ein großes Potenzial an Menschen mit Sachkompetenz und Praxiserfahrung."Hätte Ikrath das Finanzministerium gereizt? "Ja, wenn ich auch drei Mal überlegt hätte, weil in dieser Legislaturperiode unglaubliche Schwierigkeiten zu meistern sind. Ich bin aber nicht gefragt worden." Wie beurteilt er das Hypo-Handling der Regierung? "Ich war von Anfang an für eine Bad Bank, weil das der einzige Weg ist, eine Bank strukturiert abzuwickeln. Ich bedaure, dass Finanzministerin Maria Fekter diesem Vorschlag nicht gefolgt ist. Nun wäre aus meiner Sicht die Insolvenz, sofern professionell gemacht, die kostengünstigste Variante gewesen. Deshalb unterstützte ich Spindeleggers Bemühen, diese genau zu prüfen. Ich akzeptiere aber nun die Entscheidung für die Anstaltslösung. Enttäuschend ist es, dass die SPÖ permanent versucht, sich aus ihrer Regierungsmitverantwortung zu stehlen."

Der Widerstand der ÖVP-Spitze gegen einen Hypo-U-Ausschuss missfällt Ikrath: "Ich verstehe die Sorge, dass die Opposition ein Tribunal daraus macht, aber nicht, dass sich meine Partei so gegen politische Aufklärung sträubt. Dem Anspruch der Öffentlichkeit nach Transparenz ist Vorrang zu geben." Dass die U-Ausschuss-Reform nun kommt, davon geht Ikrath aus: "Der öffentliche Druck ist sehr groß."

Das ist er auch in Sachen Steuerentlastung. Und so sagt Ikrath: "Die ÖVP soll nicht nur über Leistungsträger reden, sondern für diese Taten setzen, sie entlasten." Dass eine Steuerreform jetzt "nicht leistbar" sei, wie Spindelegger sagt, lässt Ikrath nicht gelten: "So hat schon Maria Fekter argumentiert, warum es bei der ,kalten Progression‘ bleiben müsse. Die muss weg. Die CDU hat die Zeichen der Zeit erkannt. Das sollte die ÖVP auch."Anderweitig sollte die Regierung ebenfalls tun, "wozu sie da ist: handeln, Tatkraft beweisen, reformieren". Der Einwand von Rot und Schwarz, Ländervertreter blockierten, regt Ikrath auf: "Diese Ausrede kann ich nicht mehr hören. Ich erwarte von einer Regierung, dass sie sich durchsetzt. Das muss das Management einer Firma auch. Das gehört zur Kompetenz einer Führungskraft. Wenn die Regierung das nicht schafft, muss sie anderen Platz machen. Sie ist verzichtbar für die Menschen, wenn sie nichts bewirkt."

Rücken an der Wand

Auch seine Partei habe sich rasch zu wandeln: "Die Not der ÖVP ist groß. Sie steht bei wesentlichen Zielgruppen mit dem Rücken zur Wand. Sie muss sich öffnen." Vier "Hoffnungsträger" ortet Ikrath: "Ministerin Karmasin mit ihrem liberalen Familienbild, Landwirtschaftsminister Rupprechter mit seiner Offenheit, Mitterlehner, der noch Wirtschaftskompetenz der Partei verkörpert, Othmar Karas als glühender Europäer. Vier Schwalben machen aber noch keinen neuen Sommer für die ÖVP."

Geschockt sei er gewesen, dass diese das Wissenschaftsministerium "mit einem Federstrich geopfert hat. Wer das macht, setzt ein schlechtes Signal. Da werden Wahlen auch wegen Fritz Neugebauers Lehrerklientelpolitik verloren, und dann wird das Wissenschaftsressort aufgelöst!" Eine "radikale Evolution" sei angesagt, "Galapagos-Evolution" nennt Ikrath sie. Weil sie auf diesen Inseln zehn Mal so schnell vonstatten gehe als anderswo. "Ausgehend vom Wertekanon muss sich die ÖVP der Zeit anpassen, auch bildungspolitisch." Die Parteioberen haben "Evolution" zugesagt. "Ich werde mich für dieses Vorhaben engagieren, bin aber gespannt, wie wir vermeiden können, dass dann wieder alles von der konservativ ausgerichteten Kern-ÖVP abgeschmettert wird", sagt Ikrath. Dass ÖVPler den Neos zuliefen, liege nicht an pinker Stärke: "Es ist die Schwäche der ÖVP." Deren Negativcampagning gegen den Polit-Konkurrenten erzürnt Ikrath: "Diese Primitivagitation ertragen die Bürger doch nicht mehr. Mit dieser Keule treibt man sie erst recht den Neos zu."

Der Private: Der 1953 in Linz geborene Peter Michael Ikrath hat Politik und Jus in Wien studiert. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder.

Der Banker: Ikrath startete seine berufliche Laufbahn in der Industriellenvereinigung und als Sekretär von ÖVP-Generalsekretär Michael Graff. 1984 wurde er Produktmanager bei Henkel Austria. Dann wechselte er in den Bankensektor: In die GiroCredit, die dann mit der Ersten fusioniert wurde. Seit 1999 ist Ikrath im Vorstand, seit 2004 Generalsekretär des Sparkassenverbandes.

Der Politiker: Ikrath begann in der ÖH-Politik, bei der JES, einer ultrakonservativen
Studentengruppierung (1977 bis 1979). Dann ging es in die ÖVP, deren Milizsprecher er 1984 wurde. 2003 war Ikrath kurzzeitig im Bundesrat, im Mai des gleichen Jahres zog er in den Nationalrat ein, in dem er zehn Jahre lang (zuletzt in der Funktion des Justizsprechers) war – bis zur Wahl im Herbst 2013. Trotz engagierten Vorzugsstimmen-Wahlkampfes schaffte er das angestrebte Direktmandat nicht.

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