"Großvater wollte die SSler nicht hassen"

Gergely Sugar ist Laszlos Enkel, Hornist der Wiener Symphoniker und in ein paar Tagen, am 8. Mai, wird er draußen auf dem Heldenplatz sein.
Sein Großvater überlebte das KZ. Der Enkel spielt jetzt auf dem Heldenplatz.

Damals, 1944, konnte Laszlo Sugar sie schon sehen, die Einfahrt zur Hölle. Er sah den Stacheldraht, die Wachtürme, die SS-Soldaten: das Vernichtungslager Auschwitz. Wie all die anderen Juden, die man mit ihm in einen Güter-Waggon gepfercht und bis vor das Tor des Konzentrationslagers gekarrt hatte, wusste der 35-jährige Ungar, dass hier der sichere Tod wartete.

"Plötzlich machte es einen Ruck und der Zug bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung. Er fuhr in den Süden, dann immer weiter, bis ins KZ Mauthausen. Sie haben nie erfahren, warum ihnen Auschwitz erspart blieb. Sie wussten nur: Sie haben großes Glück gehabt", sagt Gergely Sugar.

Sugar sitzt in einem Zimmer in der Hofburg. Er ist Laszlos Enkel, Hornist der Wiener Symphoniker und in ein paar Tagen, am 8. Mai, wird er draußen auf dem Heldenplatz sein.

Kontrapunkt

Hier, wo Adolf Hitler einst den "Eintritt seiner Heimat in das deutsche Reich" verkündete, setzen die Symphoniker gemeinsam mit dem Mauthausen Komitee, der Bundesregierung und anderen Institutionen am Freitag einen Kontrapunkt: Anlässlich der sich zum 70. Mal jährenden Kapitulation der Wehrmacht und der Befreiung Österreichs durch die Alliierten wird das "Fest der Freude" begangen (siehe unten).

"Bis vor wenigen Jahren gehörten der Heldenplatz am 8. Mai den Ewiggestrigen, die mit Kranzniederlegungen und Totengedenken ein gefährliches Signal aussandten. Das Fest der Freude hat mit dieser unwürdigen Veranstaltung Schluss gemacht", sagt Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees zum KURIER.

Auf dem Tisch vor den beiden liegen Ausweise und Papiere, die Sugars Großvater durch die Zeit gerettet und dem Enkel vermacht hat: Laszlos "Judenpass"; daneben ein Schreiben des Welser Bürgermeisters, in dem bestätigt wird, dass der frühere Holzhändler Gefangener der SS in Mauthausen war.

Laszlo Sugar tat, was andere nicht wollten oder nicht konnten: Er erzählte von seiner Zeit im KZ. Wie sein Bruder in seinen Armen starb; wie er unter Hunger und Typhus litt; und dass er bei der Befreiung nicht sofort zurück nach Budapest wollte, sondern etwas zu erledigen hatte. "Großvater wog nur noch 30 Kilogramm, er wollte sich auf ein vernünftiges Gewicht hinaufessen, ehe er die Rückreise antrat."

Abenteuergeschichten

Für den Buben Gergely waren die Erzählungen des gequälten Großvaters willkommene Abenteuer-Geschichten am Mittagstisch.

Zwei Botschaften gab der Alte dem Enkel mit. Die eine war: Lass dem Zorn nicht zu viel Platz. "Mir schien es, als habe Großvater die SS-Aufseher nicht gehasst, obwohl sie nicht nur einmal wahllos Häftlinge ermordet haben", sagt Sugar.

Rache war für den Großvater nie Thema. "Einmal hat er mir vom Tag der Befreiung erzählt. Die KZ-Häftlinge mussten am Appellplatz antreten und dann legten die SS-Soldaten ihre Waffen nieder und gingen. Mein Großvater und die anderen Inhaftierten standen stundenlang da, konnten die Situation nicht deuten. Keiner wäre auf die Idee gekommen, eine der Waffen zu nehmen und den Soldaten nachzustellen und sie zu lynchen."

Die andere Botschaft war wohl die, dass man alleine nichts ist: "Imre, der beste Freund meines Großvaters, war mit ihm im KZ und es gab da eine kleine Gruppe befreundeter Ungarn, die einander halfen und schützten. Ohne Imre und die anderen hätte Großvater das KZ nicht überstanden."

Solidarität ist das Stichwort, bei dem auch Willi Mernyi einhakt: "Hans Marsalek, Zeitzeuge und Mit-Gründer der Lagergemeinschaft Mauthausen, hat Zeit seines Lebens immer gesagt: ,Ohne den Zusammenhalt der Häftlinge warst Du im Lager verloren. Und trotzdem war es meistens nur Glück, wenn man überlebt hat'."

Für Mernyi und Sugar geht es am 8. Mai nicht nur um die Blick zurück, sondern vor allem um die Zukunft. "Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten haben Angst, Rassismus und Radikalismus Saison", sagt Mernyi. Frieden und Demokratie müssten ständig neu erkämpft und verteidigt werden. "Denn die Vernichtungspolitik im Nationalsozialismus hat nicht mit Auschwitz begonnen. Sie begann mit mit vielen kleinen Schritten der Ausgrenzung und Entsolidarisierung. Das sollten wir nie vergessen."

Am 8. Mai 2015 jährt sich zum 70. Mal die bedingungslose Kapitulationder Deutschen Wehrmacht, die auch die Befreiung Österreichs markiert. Das Mauthausen Komitee Österreich veranstaltet gemeinsam mit DÖW, Israelitischer Kultusgemeinde, Verein GEDENKDIENST sowie Bundesregierung und Wiener Landesregierung am Wiener Heldenplatz das Fest der Freude (www.festderfreude.at), bei dem die Wiener Symphoniker ein kostenloses Konzert geben (Beginn: 19.30 Uhr). Auf dem Programm steht unter anderem Beethovens 9. Symphonie. Das Konzert wird live von ORF III übertragen.

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